Love & Mercy - Bill Pohland
Brian Wilson ist für mich persönlich das größte Genie der Popgeschichte. Wenn man so will der Mozart unter den Einäugigen. Niemand schrieb schönere Harmonien, keiner arrangierte schöner und niemand hatte eine vergleichbare Vision von Popmusik. PET SOUNDS gilt bis heute als eines der größten Werke der Popgeschichte und wahrscheinlich kann man seine Genialität innerhalb der Popgeschichte nur mit der eines Phil Spectors oder der Biographie der Beatles vergleichen.
Zu Beginn seiner Karriere waren die BEACH BOYS, quasi eine Boyband die im Schatten des übermächtigen Vaters Murry Wilson stand. Es gab strikte Regeln und die familiäre Band um Brian seinen Brüdern inkl. Cousin Mike Love und Al Jardine litten stark unter dem EInfluß des Tryrans. Kurzerhand kündigte Brian einfach seinem Vater und schmiß ihn raus. Trotzdem kam der Erfolg, jede Menge Geld, Drogen, Alkohol, Missverständnisse. Brian heiratete früh, seine Brüder feierten wild, Mike Love hatte keine Ahnung von Musik und Al Jardine keinen Einfluß. Denn schon damals war es Brian, der den kreativen Anschub gab.
Gemeinsam mit Tony Asher produzierte Brian Wilson fast im weiteren Alleingang PET SOUNDS. Die restlichen BEACH BOYS (sic!) waren auf Japan Tour und kamen erst hinzu, als die Gesangsspuren eingesungen wurden.
Was folgte waren psychische Probleme, exzessiver Drogen- und Alkoholkonsum und Streitereien. Insbesondere mit Cousin Love, der eine Art Bewahrer war. Brian Wilson wurde krank. Nicht nur sein halb-fertiges Werk SMILE machte ihn fertig. Die Beatles überholte ihn mit SERGEANT PEPPER’s LONELY HEARTS CLUB BAND und seine Paranoia setzte sich fort.
Die Beach Boys wollte zu der Zeit keiner mehr hören (es war der Sommer der Liebe 1967 und die Songs galten ehr als Schlager für eine ältere Zielgruppe), zumindest in den USA. Wilson verließ kaum noch sein Haus, sein Bett und der komplette Ansatz von SMILE wurde auf Eis gelegt.
Wilson wurde ein menschliches Wrack und war praktisch zu nichts mehr fähig. Unter anderem nahm er über 50 Kilogramm zu und ein jahrelanger Kampf mit und gegen Drogen begann.
Brian Wilson Biographie wird ab diesem Moment tatsächlich mal richtig wirr und eigentlich unfassbar. Denn seine Familie und auch er selbst (in seiner Selbstverzweiflung) legten sein Leben in die Hände des Psychodoktors Eugene Landy, der die totale Kontrolle über Wilsons Leben übernahm. Zwar gelang es ihm, dass Wilson abnahm, seinen Drogenmissbrauch in den Griff bekam und wieder ein Stück weit lebensfähig wurde. Zeitgleich stopfte er ihn aber auch mit Psychopharmaka voll und machte sich zu einem neuen Dealer von Wilson auf den er nicht verzichten konnte.
Der Teil Geschichte wird in der Popgeschichte unterschiedlich bewertet. Nahe Angehörige, Familienmitglieder und Wilson selbst geben noch heute (Landy ist bereits gestorben) sehr unterschiedliche Meinungen zu diesem obskuren Doktor ab.
Wir „normalen“ Menschen werden das niemals be- oder verurteilen können. Außer, dass es keinen Menschen gibt, der Brian Wilsons Comeback Platte 1988 tatsächlich ernsthaft gut finden kann. Landy taucht sogar als Produzent auf und bei seinen ersten Comebackauftritten gab es grauenhafte Beobachtungen zahlreicher Freunde und Journalisten, die bestätigen, dass Wilson noch immer in einer geistigen Abhängigkeit zu Landy stand.
Zufällig lernte Wilson seine heutige Frau Melinda kennen, die ihn letztendlich aus den Klauen des Menschendieb befreite. 2004 beendete Brian Wilson gemeinsam mit Texter Van Dyke Park das überragende Werk SMILE. Von da kann man von einem aufsteigenden Trend sprechen und meinen aktuellen Stand der Tatsachen hier nachlesen: http://www.lomax-deckard.de/article-33657805.html oder Rick Deckards Sicht der Dinge zu dem famosen Album/DVD THAT LUCKY OLD SUN: http://www.lomax-deckard.de/article-30946782.html erfahren.
Ich kann von mir selbst behaupten, dass ich der Mensch auf der Welt bin, der am häufigsten den Song WOULD’T IT BE NICE gehört hat! Vermessene Aussage! Kann sein! Ich kenne alle Outtakes und habe jedes Kauf- und Miet- und Sehbare Dokumentationsobjekt der Sessions gesehen und gehört. Ich kenne jedes verdammte Tamburin, jede Hupe und jedes Tier auf PET SOUNDS. Sogar die Gespräche die im Hintergrund geführt werden, habe ich versucht zu isolieren und mit anzuhören. Man kann sagen, dass ich kein Album besser kenne als dieses wohl wichtigste Album der Pop- und Rockgeschichte.
Hat man erstmal so einen Fetisch, ergibt sich der Rest wie von selbst. Man erforscht das restliche Universum und Biographien. So habe ich z. B. über PET SOUNDS einen meinen Lieblingssänger Glen Campbell (spielt hier allerdings Gitarre) und die legendäre Wrecking Crew kennengelernt, die so fast jeden Hit der 1960ziger Jahre, also das komplette American Song Book eingespielt hat.
Egal, wie man nun zu dem Thema Bio-Pics steht oder zu mir bzw. generell zum Thema Fantum oder „sich intensiv fast wissenschaftlich mit einem Thema zu beschäftigen“. Man kann uns Nerds vieles nachsagen, insbesondere dass sie sich ein objektives Urteil erlauben dürfen. Aber eben nicht, dass sie subjektiv Stellung zu der Biographie eines Künstlers nehmen dürfen. Denn das Leben eines Menschen zu verdrehen oder zu interpretieren kann nicht erlaubt sein. Es gibt in der Kunst zum Glück viele Fakten, nämlich das Werk des Musikers, Filmemachers, Dichters oder Künstlers. Aber was das wirkliche Leben angeht, darüber kann man sich nur Vorstellungen machen.
Und so entsteht Stück für Stück ein eigenes Bild im Kopf des Enthusiasten. Ich persönlich habe die Geschichte mit Eugene Landy’s und Wilson nie so richtig glauben können. Auch in der heutigen Zeit kommen mir viele Sachen, die Wilson angehen komisch vor. Insbesondere was die Obhut seiner Frau angeht, aber auch das merkwürdige devote Verhalten zu Bandleader Jeffrey Foskett zu TLOS Zeiten ist merkwürdig.
Noch merkwürdiger ist, dass Brian Wilson und seine Frau Melinda milde und fast beiläufige Aussagen zu dem Film LOVE & MERCY treffen! So macht Wilson in einem Stern-Inverview aus dem letzten Jahr einen völlig dummen Understatement Witz und seine Frau sagt, man hätte das damals gar nicht so düster erlebt, auf die Frage, was ihr erster Gedanke war, als sie ihn gesehen haben.
Mal ehrlich!? Stellen Sie sich vor Sie sehen ihr Alter-Ego auf der Leinwand. 120 Minuten ihres Lebens! Sie sehen, wie Sie das größte Werk der Popgeschichte schreiben. Dargestellt werden sie von 2 Schauspielern (wie immer sehr gut John Cusack und ganz toll Paul Dano). Ihr ganzes Leben breitet sich vor ihnen aus. Ihr Zerfall, die Stimmen im Kopf, sie sehen, dass sie ein verwirrter Mann sind. Ihnen wird von Komponist Atticus Ross vorgespielt, welches Stimmen, Sounds und Geräusche sie im Kopf gehabt haben und von Bill Pohland Bilder gezeigt, die es vielleicht nie gegeben hat. Zudem verlieben sie sich in die schöne Elizabeth Banks (Melinda Ledbetter bzw. Mrs. Wilson) und erleben ihre schlimmsten Gespenster erneut in schauspielerischer und auferstandener Reinkarnation in Form der Darsteller Bill Camp (ihrem Vater) und Paul Giamatti (Dr. Eugene Landy).
…dann sitzen sie da, haben den Film gerade gesehen und sagen spaßeshalber: „Sind die Songs von mir?“.
Ich bin kein Weltverschwörer und auch kein Agnostiker, aber im Leben von Brian Wilson stimmt auch heute irgendwas nicht. Und man hat ja auch immer das Gefühl, dass er ferngesteuert wird, egal, ob er live auftritt, ein Interview gibt oder irgendwo auftaucht.
Mein Hauptkritikpunkt an dem Film LOVE & MERCY über das Vermächtnis von Brian Wilson, ist die Tatsache, dass Regisseur Bill Pohland wir Bruder Leichtfuss durch das Leben von Wilson streift, verurteilt, Meinungen macht, Wahrheiten ignoriert, vieles vergisst und auch vieles falsch darstellt (z. B. das Bruder Dennis Wilson mit auf der Japan-Tour war, als Brian, PET SOUNDS einspielte, obwohl er bei seinem Bruder geblieben ist, um auf ihn aufzupassen und nachweislich die Drumparts eingespielt hat). Also der Mann lügt, inszeniert fröhlich vor sich hin, ohne scheinbar auch nur eine Minute darüber nachzudenken, dass Wilson und seine Frau noch am Leben sind! Und was machen die beiden? Laufen wie ein paar genügsame Rentner in der Gegend rum und finden es „düster“. Also, ich bitte sie! Was ist das denn?
Man kann den Film also von zwei Seiten betrachten! Und ich würde Ihnen und Euch diesmal dringend empfehlen sich daran zu halten;-) …A) Sie sind Hardcore Wilson Fan, kennen seine Biographie, seine Musik und lieben diesen Mann, dann sollten sie sich den Film ansehen und selbst urteilen, diskutieren und sich wundern. Denn er ist trotz meiner Kritik, gut gemacht, unterhaltsam und dramatisch nachvollziehbar, vielleicht sogar detailverliebt und liebevoll! oder B) Sie wissen gerade mal, dass GOOD VIBRATIONS von den Beach Boys ist. Dann belassen sie einfach dabei und laden sich das neue David Guetta Album runter, denn über den Knaben, muss man nicht so viel nachdenken und seine Biographie ist bestimmt ein Garant für das große Blockbusterkino, welches wir hier ja in letzter Zeit so abfeiern und neu verstehen!
The world could show nothing to me
So what good would living do me
Vom Strand
Alan Lomax