Midnight's Another Day - Brian Wilson And That Lucky Old Sun

von Alan Lomax und Rick Deckard  -  2. Mai 2009, 19:48  -  #Populäre Musik






Ich glaube von Sophokles stammt der Satz "Hoffnung erhält den grössten Teil der Menschheit". Was immer Brian Wilson in seinem Leben Hoffnung gegeben haben mag, mann kann nur dankbar dafür sein. Der neue Tag beginnt tief in der Nacht und nicht mit den ersten Sonnenstrahlen. Allein dieser Umstand drückt vielleicht die Stärke der Sehnsucht nach Veränderung aus. Hat der neue Tag dann begonnen, beobachtet man seinen guten alten Kumpel die Sonne, die am Himmelszelt nichts besseres zu tun hat, als von einem Horizont zum nächsten zu rollen, während man selbst den ganzen Tag schuften muss.

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Zeilen schreibe, denn nach dem Konzert auf der DVD war ich erschlagen und ich gebe Lomax, der mich motiviert hat dieses Konzert zu erstehen, vollkommen recht wenn er sagt, dass einem langsam die Superlativen ausgehen um das Gesehene zu beschreiben. Das ist bereits das zweite epochale Ereignis in Kürze nach Tom Waits, was einem den Boden unter den Füssen entzieht.

Was die Beach Boys betrifft habe ich mich erst sehr spät in der eigenen Musik Entwicklung mit Ihnen angefreundet, klang doch am Anfang alles sehr "gewohnt und stereotyp". Die Harmonien und die Melodien waren dermassen eingängig, dass ich mich nicht mühte hinter die Zeilen und die Noten zu blicken. Erst mit dem wunderschönen Song 'Caroline No' von Wilson begann die Euphorie für die Jungs aus Southern California.

Brian Wilson sitzt in einem blauen Hemd vor den Keyboards und ist umgeben von einer Background-Sängerin, Bläsern, einem Schlagzeuger, einem weiteren Percussionisten, sowie einem Gitarristen und Bassisten und nicht zuletzt Streichern. Dieses Gesicht zu sehen, zerfurcht und gebeutelt vom Leben ist das Ansehen alleine Wert. Was aber er und diese Band in einer halben Stunde singen und spielen ist Musik in Perfektion. Ohne Pause wird das ganze neue Album unterbrochen von Erzählungen und kleinen Filmen gesungen und am Ende sieht man ihn aufstehen, kurz einige Sätze mit einem der Bandmitglieder wechseln und das Studio verlassen. Effizienter und professioneller geht es kaum und es erinnerte mich an den Stil von Sinatra, von dem seine Mitstreiter ähnliches berichteten: Er stieg am Hinterausgang aus, genehmigte sich einen Drink schaffte die Takes meist beim ersten Mal und ging so schnell wie er gekommen war.

Es gibt Momente bei diesem Konzert, in denen man körperlich werden möchte um durch den Fernseher in das Studio zu gelangen nur um Wilson zu umarmen. Was für ein Leben, was für Höhen und Tiefen, was für ein Talent und jetzt sage ich etwas, was ich in der PoP Musik selten vergebe: WAS FÜR EIN GENIE! Natürlich in der Gesamtheit seines Werkes. Ein unglaublich talentierter und begnadeter Musiker. Die sich anschliessende Dokumentation in Spielfilmlänge bezeugt das in jeder Szene. Wilson sitzt ungeduldig hinter dem Mischpult und gibt den Musikern Anweisungen wie sie zu spielen haben. Allein dem beiwohnen zu können macht eine unglaubliche Freude und führt zur unkontrollierbaren Euphorie, weil man sieht wie viel Verständnis dieser Mann für die Musik besitzt und worin das geniale begründet ist: Ähnlich Alfred Hitchcock, der den gesamten Film bereits vor Drehbeginn fertig im Kopf hatte, hat Wilson eine exakte Vorstellung von dem was er hören will und fordert deswegen seine Mitstreiter auf dieses schnellstmöglich umzusetzen, weil er es endlich hören will. Er ist alt geworden und seine Schritte werden kürzer, die Mimik ist sehr sparsam und auch die Worte fallen schwer, aber sein Falsett klingt fast genauso wie vor Jahrzehnten.

Die Band in Ihrer Gesamtheit ist überragend! Mit unglaublicher Souveränität, Timing und einem grossen Mass an Musikalität werden die einzelnen Songs gespielt. Es ist berauschend. Ob exotische Percussions, Xylophon, Querflöte, Bläser oder Streicher, die Arrangements werden mit ungeheuerlicher Präzision dargeboten.

Und immer wieder schwenkt die Kamera auf den mittlerweile 65-jährigen, der mit minimalen Gesten und sehr sparsamer Mimik seine Songs singt und manchmal auch dabei lächelt.

In der Dokumentation kommen viele Wegbegleiter, ein Schauspieler und ein Mitglied der Fleet Foxes zu Wort, die alle versuchen auszudrücken, was man letztendlich nicht kann: Einen Genius zu umschreiben.

Allein die Tatsache in dem ehrwürdigen Capitol Building in Los Angeles singen und spielen zu dürfen ist schon grossartig, aber wenn man alles hört und sieht, dann hat man gerade in diesen sonnendurchfluteten Tagen nur noch einen Wunsch: Sich ein Surfboard zu nehmen und den ganzen Tag auf dem Ozean zu reiten, mit Californian Girls die Abendsonne zu betrachten und die Wärme zu geniessen. Es gibt kaum einen Menschen, der durch seine Musik dieses Gefühl so um- und beschrieben hat wie der Mann ganz oben.

Was für ein grossartiger Musiker! Es gibt nur wenig Worte um Ihm Tribut zu zollen, deswegen bemühe ich schlauere Menschen als ich einer bin:

"Wie schnell alle Sterne verschwinden, sobald sich die Sonne erhebt!"
Friedrich Martin von Bodenstedt (1819-1892), dt. Dichter

Und für die Fleet Foxes Bewunderer folgendes:

"Das Genie macht die Fussstapfen, und das nachfolgende Talent tritt hinein, tritt sie aber schief!"
Wilhelm Raabe (1831-1910), dt. Dichter

Lucky Old,

R.D.

Bildquelle: Copyright Capitol Records/ 2009 DEAG Deutsche Entertainment AG

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