Der Tod von Steve Albini und das Ende der Helden: Ein Kulturjournalistischer Blick
Steve Albini, der legendäre US-Musikproduzent, hat die Musikwelt nachhaltig geprägt. Ohne ihn hätte das ikonische Nirvana-Album „In Utero“ anders geklungen, und Bands wie The Pixies oder Shellac wären uns vielleicht entgangen. Solche Verluste erfahren wir aus den Medien, begleitet von Phrasen wie „viel zu früh verstorben“ oder „die Musik-Welt wird nie wieder dieselbe sein“.
Ich bin Mitte 50, und meine kulturellen Wurzeln liegen in den siebziger Jahren: Das Krümelmonster, die Augsburger Puppenkiste, The Beatles, Udo Jürgens, James Last, Burt Bacharach. Diese Namen und Erlebnisse haben mich geprägt. Jahrzehntelang habe ich dieses Universum verteidigt. Peter Hein von Fehlfarben sang „nicht erreicht meine Welt“, was zu meinem Mantra wurde.
Mein kulturelles Leben wurde täglich durch neue Einflüsse bereichert. Doch nun habe ich das Gefühl, dass die Bedeutung von kulturellen Vorbildern und Helden gesellschaftlich abnimmt. Das Heldenzeitalter geht zu Ende.
Jan Böhmermann hat in seiner letzten Sendung den Mythos des Genies entzaubert. Die Erkenntnis, dass auch Jahrhunderte alte Entwicklungen oft eine Darstellung der Macht und Wichtigkeit weißer Männer waren, ist nicht neu. Aber es überrascht, dass solche Themen erst jetzt intensiv diskutiert werden. Wir alle sind Teil dieser dichotomen Einteilungen: Männer – Frauen; Europa – Rest der Welt; Weiße Menschen – Schwarze Menschen; Beatles – Rolling Stones; Punk – Pop.
Auch wenn ich und mein Umfeld nie intolerant waren, haben wir zu wenig über den Kern nachgedacht. Wir sind daran gescheitert, unsere Geschichten weiter zu erzählen.
Die Bedeutung von Idolen und Helden schwindet. Fragen Sie in Ihrem Umfeld nach Montgomery Clift oder David Lean. Bemerkungen über den Tod von Schriftstellern wie Paul Auster treffen oft auf Unwissenheit. John Romita Sr., eine Legende im Marvel-Universum, ist vielen unbekannt. Warum fördert die Medienwelt nicht mehr die kulturelle Bedeutung solcher Persönlichkeiten?
Im digitalen Zeitalter kann jeder Kunst machen und veröffentlichen. Vorher brauchte man Instrumente, Agenturen oder Verlage. Heute dominiert Selbstvermarktung. Dennoch sind die erfolgreichen Künstler oft die mit einem Team, das strategisch vermarktet.
Früher, bis etwa 1996, gab es in Deutschland rund 20 Musikmagazine und viele Fanzines. MTV und VIVA prägten die Musikwelt, und selbst öffentlich-rechtliche Musikformate boten Plattformen für Bands. Radiomoderatoren beschäftigten sich intensiv mit Musik. Heute ist die Radiolandschaft von eintönigen privaten Sendern geprägt.
Wir setzten uns aktiv mit Kultur auseinander, besuchten Konzerte, stöberten in Plattenläden, diskutierten über Musikrichtungen. Diese intensive Auseinandersetzung fehlt heute. Die Generation Y und Z zeigen Uniformität und Anpassung, statt durch Kunst aufzufallen und zu provozieren.
Ich möchte auf das Phänomen des Vergessens und die Bedeutung der Geringfügigkeit für das Wissen und Lieben von Kultur hinweisen. Das Heldenzeitalter endet derzeit durch Schuldzuweisungen, sondern durch die fehlende Anerkennung von Genies und Vorbildern.
Nach dem Prozess der Hinterfragung sollten wir überlegen, ob eine Welt ohne Genies – männlich oder weiblich – gut genug ist. Die Antwort ist klar: Nein. Bereits bei Kindern beginnt die Notwendigkeit, Vorbilder zu haben, sei es in Wissenschaft, Kultur oder Popkultur. Ein homogenes Kollektiv ohne Unterschiede bringt keinen Konsens.
Ich suche Antworten darauf, wer in Zukunft das Wissen und die Kunst vermitteln wird, um uns zu begeistern und unsere Herausforderungen zu lösen. Wir steuern auf eine gleichgeschaltete Metamedienwelt zu, die den Tod der Subkulturen in der Kunst bedeutet. Wenn alle Inhalte nur noch von großen Medien kommen, geht die Vielfalt verloren.
Steve Albinis Band Shellac ist die einzige Band der Welt, die seit Jahrzehnten, jedes Jahr in Barcelona und Porto auf dem Primavera Festivals spielte. Egal, was passiert: Shellac war schon da. Und egal welche andere Band mich gerade gelangweilt hat, Shellac spielten irgendwo. Und zwar nicht immer auf den Bühnen, sondern auch schonmal einfach spontan irgendwo mittendrin. Die Kuratoren bzw. Festivalmacher des Primavera Sounds konstatierten, dass nach dem Tod von Albini, nichts mehr wie vorher sein wird, da die Band Shellac, die Idee des Festivals am allerbesten repräsentiert hat.
Bei dem oben gezeigten letzten Auftritt von Shellac, den ich sehen durfte, singt Steve Albini den Song "Wingwalker". Auch wenn Ihnen die Musik nicht zusagt. Sehen Sie sich ab 4:45 Minuten den wunderbaren Einschub von Steve Albini an. Er fasst eigentlich alles zusammen, was notwendig ist. Wir hören Punkmusik in seiner besten, reinen Form. Verzweiflung, Kritik, Empathie, Leidenschaft, Experiment, Rausch. Egal! Aber es ist sein, unsere KUNST! Mach es gut da oben Steve...
"And the plane becomes a metaphor for my life
And as I suffer for it
Like I'm insane, as it says...
So she suffers under the weight of my plane
You know? It's my art! When I disguise my body in the shape of a plane..."