Brian Wilson - Bonn Museumsplatz

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  10. Juli 2009, 07:04  -  #Konzerte

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In Tagen wie diesen, wo Michael Jackson als das größte Popgenie aller Zeiten gefeiert wird, als Phänomen und mythologischer Songschreiber muss man sich fragen, ob das alles so gerechtfertigt ist oder ob da nicht jemanden Tribut gezollt wird der es aus künstlerischer Sicht nicht so verdient hat wie z. B. ein Brian Wilson.

 

Musik ist kein Wettkampf und kein Sport! Wir schrieben bereits darüber. Diese ewigen Vergleiche sind aus meiner Sicht nicht zeitgemäß.

„Fabrum esse suae quemque fortunae“ und einem 27-jährigen der mit 17 Jahren jeden Michael Jackson Zeitungsschnipsel gesammelt hat und zu „Man in the Mirror“ geweint hat brauche ich nicht zu erzählen, dass Wilson das eigentliche musikalische Genie ist! Unnötiger Kleinkram und Kulturpädagogik der übelsten Sorte.

 

Aber man kann natürlich versuchen junge Menschen mit dem „Pet Sounds“-, „Smile“- „Lucky Old Sun…“-Virus anzustecken. Ihnen von einem unfassbar interessanten Leben erzählen!

 

Wenn man Brian Wilson in Bonn auf der Bühne so sieht, fallen einem zahlreiche Adjektive ein: „milde“, „weise“ und „unerschütterlich“, vielleicht auch „freundlich“, aber auch „schlechtangezogen (Jogginghose und Jacket), „körperlich und gesundheitlich bedenklich“ und „alt“! Wilson hat in einem Interview zu Michael Jacksons Tod gesagt, dass er sehr traurig und berührt ist. Sinngemäß weiter: „…und obwohl ich ihn nur einmal getroffen habe, konnte ich eine Geistesverwandtschaft, zumindest Parallelen zu seinem Leben feststellen“. Grausamer Vater, ewiger Druck, Familiengeschichten, Depressionen, Drogenprobleme und die ewige innere Stimme.

 

In den letzten Tagen habe ich den Eindruck gewonnen, dass jeder Künstler in dieser Welt, Michael Jackson mindestens einmal in seinem Leben getroffen hat! Aber lassen wir das "Jackson Thema" ruhen und beschäftigen uns mit einem anderen Prominenten neben ihm. Hugh Jackman!

 

Jackman ist als Hauptdarsteller in X-Men-Tetralogie bekannt geworden und wird demnächst Brian Wilson in einem Hollywood Film verkörpern. Hollywoodverfilmungen von berühmten Musikern konzentrieren sich weitestgehend immer auf den Drogenkonsum des Hauptakteurs. Eine schlimme Angewohnheit. Das große Publikum interessiert nicht, warum „Pet Sounds“ so spektakulär historisch ist. Die Story um den Menschen Wilson,  fasziniert die Menschen. Das Spektakel! Und Jackman wird Wilson auf genau das reduzieren. Kurz bevor „God Only Knows“ gespielt wurde nuschelte Brian Wilson etwas von „…and now, the best Song I’ve ever...“. Das sind Momente für die Ewigkeit!

 

Daher meine Empfehlung: Geht nicht ins Kino, sondern auf Konzerte von Brian Wilson und „The best touring Band in the World“:

 

Wilson’s Band wird angeführt von Jeff Foskett, der neben dem Meister steht und ihm zwischenzeitlich die schwierigen Gesangsparts abnimmt. Foskett ist ein merkwürdiger und im Musikgeschäft wahrscheinlich, einzigartiger Typ. Er hat sich in seinem Leben als Musiker fast ausschließlich mit der Musik der „Beach Boys“ auseinandergesetzt. Spielt seit Jahrzehnten in Coverbands und gehört seit ebenso vielen Jahren zur „Beach Boys Touring Band“ (nicht der von Mike Love). Seit einiger Zeit ist er nur noch mit Wilson unterwegs. Foskett ist auf der Bühne merkwürdig da er keine Aura hat. So vermittelt er auf der Bühne keine Ausstrahlung und trumpft eindeutig mit seiner unfassbaren Stimme auf. Die nicht nur die des „jungen“ Wilson ähnelt, sondern im Falsett und hohem Oktavbereich perfektionistischer ist. Er zelebriert keine eigene Kunst und ist Anführer seiner eigenen Coverband, die das Original am Keyboard sitzen hat.

 

Um die Band zubeschreiben ist es am einfachsten Deckards Worte zu zitieren:

 „Die Band in Ihrer Gesamtheit ist überragend! Mit unglaublicher Souveränität, Timing und einem grossen Mass an Musikalität werden die einzelnen Songs gespielt. Es ist berauschend. Ob exotische Percussions, Xylophon, Querflöte, Bläser oder Streicher, die Arrangements werden mit ungeheuerlicher Präzision dargeboten.“ http://lomax.over-blog.de/5-categorie-10924691.html

 

Was im Laufe des Konzertes passiert ist magisch, zum Schluss sogar „körperlich“. Man weiß nicht wohin mit seiner Gefühlswelt. Am liebsten möchte man bei einigen Passagen gleichzeitig onanieren, schwitzen, weinen, sterben, lachen, tanzen, töten, streicheln, schreien und leben. Ich denke an mein Leben, an meine Eltern, an meine Geschwister, an meine Frau, an meine Kinder, meine Freunde. An vergangenes, an kommendes und an aktuelles. Schöne poetische, aber abgeschmackte Aufzählung!? Klar, aber alles während eines Taktes, liegt schon in der Kunst des Musikers.

 

Gespielt werden über 37 Songs. Der erste Teil des Konzertes könnte als Warm-Up gelten. Wenn nicht gleich „Surfer Girl“ gespielt wird. Ein erster emotionaler Höhepunkt, den es schwer ist wahrzunehmen, da sich die Hälfte des Publikums immer noch nicht eingefunden hat bzw. mit Bier und Wurst in der Hand auf der Suche nach seinen Plätzen ist. Direkt im Anschluss „In my Room“. Die Situation wirkt surreal. Freund, Bruder und Kollege im Herzen, Ewing,  bringt es auf den Punkt: „Wie in einem amerikanischen Bierzelt“. „Soul Searchin“ bleibt mir im Gedächtnis. Ein Song von Wilson’s Platte „Gettin’ in over my Head“, den er mit seinem Bruder Carl gesungen hat. Als vorletzten Song des regulären Sets, wird Wilson später folgende Textzeile aus Southern California singen:

 

I had this dream

Singing with my brothers

In harmony,Supporting each other
Tailwinds, rear spin,
Down the Pacific coast
Surfing on the end
Heard those voices again


Ich muss zwischenzeitlich an die Hollywood Bowl denken. Auf der Lucky Old Sun DVD kann man dort Brian Wilson mit der unendlich niedlichen Zooey Claire Deschanel sitzen sehen. Zooey fragt Wilson, was er den hier wohl als schönstes Konzert gesehen hat. Er antwortet selbstverständlich und gelassen: Die Beatles.
Zooey antwortet: „Oh, hey, really, I mean Unbelivibel, The Beatles, wow! Ich denke gleichzeitig an ein Interview mit mir und irgendeinem Indiemädchen in 30 Jahren. Das Interview findet auf dem Museumsplatz der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn statt. Gleiche Frage, andere Antwort: Brian Wilson!

 

Die Beatles haben immer wieder beteuert, dass Pet Sounds sie maßgeblich zu Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band beeinflusst hat. Das ist der Grund dafür, dass Sgt. Pepper’s zu den überschätzen Alben der Weltgeschichte gehört. Das eigentliche Referenzwerk ist Pet Sounds. Das weiß jeder, der sich mit Musik beschäftigt. Nicht die Beatles haben als erste verschiedene Aufnahmekanäle genutzt und sie haben auch nicht den Overdub erfunden, Brian Wilson war es. Von Harmonielehre mal ganz abgesehen. Lennon/ McCartney sind geniale Songschreiber gewesen, aber von Harmonien hatten beide keine Ahnung gehabt.

 

Trotzdem, die Welt spricht von den Beatles. Zu Brian Wilson sind gerade mal 1.500 Menschen gekommen. Und wenn ich meinen Kollegen von dem heutigen Konzert erzählt habe, erntete ich Fragezeichen, Spott und Gedanken wie: „Oh, Gott, jetzt geht er schon zu Oldieveranstaltungen“. Popmusik ist gemein und ungerecht. Die Masse, das Publikum entscheidet, was wirklich groß wird, nicht die Genialität des Künstlers. Zwar hat sich Brian Wilson im Laufe der Zeit aus seiner Seifenblase befreien können, aber zu den ganz Großen gehört er nicht und von der breiten Masse wird er nicht geschätzt. Obwohl mindestens 5 Songs von ihm über 1.000.000 in der ganzen Welt Tag für Tag gespielt werden.

 

Wir können nichts daran ändern, sondern uns nur an dieser phantastischen Musik erfreuen, Party dazu machen, tanzen, mit singen, weinen und Gefühle entwickeln die wir vorher nicht kannten. So, wie im Zugabeteil. Vielleicht könnte man es auch Party-Set nennen: Johnny Be Good, Help Me Rhonda, Barbara Ann, Surfin USA, Fun Fun Fun. Was für ein Spaß und was für ein Erlebnis, insbesondere in 5 m Entfernung von Wilson zu stehen.

 

Um mich herum steht ein Publikum bei dem ich mir nicht genau sicher bin, ob es glaubwürdig ist und ob da Empathie dahinter steht oder nicht vielleicht doch die Aussage vor einigen Wochen, die zahlreiche Rheinländern zu ihren Frauen gesagt haben: „Du Schatz, im Juli spielt der Brian Wilson in Bonn. Genau der mit den Beach Boys. Ist doch super bei schönem Wetter! Gut, dann hole isch morgen zwei Karten….“ Böse natürlich! Und genau dieser abscheuliche Gedankengang unterscheidet uns (in diesem Fall mich) von den Amerikaner, so wie sie Deckard derzeit beschreibt. Ich glotze und ich schätze ab!

 

Bei der  Lucky Old Sun Dokumentation auf der DVD sieht man Brian Wilson & Band bei irgendeinem Festival in der amerikanischen Provinz spielen. Das Publikum sieht fürchterlich aus. Alles Rednecks, Bauern und Menschen in schlecht gekleideten Freizeitoutfits. Sie tanzen, singen mit, sind begeistert. Wilson stört sein Publikum nicht. Er nimmt es ernst. Er kommt aus Kalifornien. Er ist entspannt, muss nicht mit alltäglichen Indipolizisten diskutieren die dogmatisch an ihrer Musik festhalten und kann es sich gefallen lassen zwischen den Byrds und Van Hallen im Radio gespielt zu werden. Denn es geht um ein Lebensgefühl, nicht um die Schwanzlänge, das größere Auto oder das Sandkastenförmchen welches wir gerade nicht haben.

 

Kurzweilig eskaliert Wilson. Er hängt sich seinen Bass um. In was für einer schlechten körperlichen Verfassung er tatsächlich ist sieht man erst jetzt. Ich bin kurz davor zu klatschen, über das Fußwippen bin ich schon lange hinaus. Aber es wird nicht mehr passieren. Klassisch wird dieses Konzert mit Wilsons Signatur „Love and Mercy“ beendet.

 

Am Ende verlässt Wilson die Bühne als erster. Fast so als, wenn er froh wäre, dass es vorbei ist. Er ist einfach nur erschöpft. Er ist ein alter Mann. Wahrscheinlich fährt er direkt ins Hotel, isst noch einen Salat und guckt sich dann kurz dem Schlafen gehen ein Baseballspiel auf ESPN an.

 

Ich fahre zur gleichen Zeit nach Hause. Denke über mein Leben nach und darüber, was mir wirklich Spaß macht und was mir fehlt. Schlagartig wird es mir wieder bewusst. Ich habe Sehnsucht, Sehnsucht nach Süd-Kalifornien. Ich möchte mit einem Mietwagen (ohne Verdeck) am Pazifik lang fahren, dabei laut Brian Wilson oder Steely Dan hören. Ich möchte in ein 7elven gehen, mir einen Sixpack kaufen, mich an den Strand setzen. Ich möchte ein paar Surfer in mittelgroßen Wellen sehen, davor spielen meine Kinder im Sand und neben mir sitzt meine Frau. Das fehlt mir gerade und ich werde es im nächsten Jahr ändern. Ein neues Ziel, ein neuer Plan und meine Gedankenwelt ist final aufgeräumt.

 

Kurz vor Köln. Ein Gedanke stößt den anderen an. Ich höre noch mal „Lucky Old Sun“. Diesmal in der ursprünglichen Version von Louis Armstrong. Ich habe Tränen in den Augen, nicht das erste Mal an diesem Tag.

 

Noch mal denke ich an Brian Wilson, wie er erschöpft im Bonner Hotelbett liegt, vielleicht noch mal aus dem Fenster in Richtung Siebengebirge schaut. Ein unpassender Blick.

 

Ich denke an Van Dyke Parks. Der die schönen, poetischen und historischen Worte zwischen den Songs auf der neuen Brian Wilson CD geschrieben und gesprochen hat. Ich denke an „Midnight's Another Day“. Ich denke an Brian Wilson, wie er in einem schwarzen Anzug auf einem Strandstuhl auf dem Dach des Capitol Towers in LA sitzt. Genauso schwermütig überblickt er die Stadt der Engel, wie er nun auf den schönsten Teil des Rheinlandes sieht. Verdammt das hier ist mein zu hause. Ich fahre über die Zoobrücke. Der Dom ist angestrahlt über ihm leuchtet der Mond. Eine sensationelle Skyline. Ich denke, eine der schönsten Städte Europas. Ich denke hier bin ich zu hause. Ich denke, schade, dass ich Brian Wilson, dass hier nicht zeigen kann….

 

Eine etwas morbide Vorstellung habe ich noch, welche die einleitenden Gedanken „Brian Wilson Genie vs. Michael Jackson Genie“ aufgreift. Szenario: Wilson ist gestorben. Sein Sarg ist im Staples Center aufgebahrt. Eine Trauerfeier. Zum Schluss wird „God Only Knows“ gespielt! Direkter Vergleich zu „We are the World“! Wer ist hier das Genie gewesen, was rührt wirklich zu Tränen, welche Melodie ist wirklich tiefgründig. Im Zusammenhang mit der Textzeile: If you should ever leave me, Well life would still go on believe me, The world could show nothing to me, So what good would living do me”. Da stellt sich dann wohl keine Frage mehr! Oder, Ihr Jacko Fans da draußen!? Und dann ist es nämlich doch ein Wettbewerb. Nämlich eine Wettbwerb der nicht auf einer geistigen bzw. intellektuellen Ebene stattfindet, sondern im Herzen. Und da gibt es keine Erklärungen mehr zwischen Gut und Böse und Schlecht und Brilliant und Beste Band der Welt oder unglaublich zu herzen gehende Melodien. Alles ist eins

 

Ahhhhhhhh!
Good good good good vibrations
oom bop bop....

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