THE FRENCH DISPATCH - Wes "The Genius" Anderson
Ich bin so überwältigt, dass ich gar nicht weiss, womit ich anfangen soll? Vielleicht hilft der Philosoph Byung-Chul Han als Einsteig in diese wunderbare, vielschichtige und zauberhafte Welt eines Wes Anderson:
"Das Problematische in der heutigen Kunst ist, dass sie dazu neigt, eine vorgefasste Meinung, eine moralische oder politische Überzeugung mitzuteilen, das heisst Informationen zu vermitteln. Die Konzeption geht der Ausführung voraus. Dadurch verkommt die Kunst zu Illustration. Kein unbestimmtes Fiebern bestimmt den Ausdrucksprozes. Die Kunst ist kein Handwerk mehr, das die Materie intentionslos zu einem Ding formt, sondern ein Gedankenwerk, das eine vorgefertigte Idee kommuniziert. Eine Ding-Vergessenheit erfasst die Kunst. Die Kunst lässt sich von der Kommunikation vereinnahmen. Sie wird informations- und diskurslastig. Sie will belehren, statt zu verführen."
Aus Byung-Chul Han, Undinge - Umbrüche der Lebenswelt, Ullstein, 2021.
Wes Andersons Film DIE FRANZÖSISCHE DEPESCHE ist eine Ode an das Analoge im Leben, das Dingliche, ein Aufruf wider der Faulheit. Kellner laufen Treppen hoch, statt Rolltreppen zu benutzen, Journalisten tippen auf Schreibmaschinen, statt über glatte Oberflächen zu wischen, Journalisten benutzen Rennräder statt E-Bikes, um Erfahrungen zu machen, Roebuck Wright benutzt einen herkömmlichen Plan, um das Zimmer des Commisaire zu finden, Moses Rosenthaler benutzt Pinsel und Leinwand statt Kamera und Finger, Zeffirelli eine Jukebox. Dieses greifbare, das "Dinghafte" ist es, was an Andersons Film so berührt. Er erinnert mit THE FRENCH DISPATCH daran, dass es eine Wirklichkeit abseits des Digitalen gab, etwas, was dingfest und greifbar war.
Jedesmal, wenn ich einen Wes Anderson Film gesehen habe, habe ich Lust mich in meinem Zimmer einzuschliessen, an die Decke zu starren, zu verweilen, die Ruhe zu geniessen, Schallplatten zu hören, Postkarten zu schreiben, inmitten eines Turms aus Büchern und Zeitungen, Zeitschriften zu schmökern. Anderson macht das Ästhetische wieder greifbar, man verspürt ein Verlangen die Dinge an sich zu nehmen, bei und an Ihnen zu verweilen, sie zu betrachten, sie zu geniessen. Er hält mit seinen Filmen die Zeit an, dieses hektische, rauschhafte, aus einem Tsunami von Informationen bestehende Zeitalter. Anderson vermittelt: Pure Schönheit.
In einer Zeit, in der jede/r alles kann und "Regisseure:innen" aus dem Nichts emportreten und genauso schnell wieder bedeutungslos in der Versenkung verschwinden, bietet Wes Anderson Halt, eine Stütze und erinnert daran, dass Filme nicht nur Unterhaltung sind, sondern auch Kunst sein können, Kunst die unterhält. Ich schrieb es bei THE HOUSE OF GUCCI: Dieses Alleinstellungsmerkmal, sich auf den neuesten Film eines namhaften Regisseurs zu freuen, ist am schwinden.
In einer Zeit, in der der alles verfliegt, nichtig ist, noch bevor es erscheint, in der der Konsum alles andere übersteigt, bieten die Film eines Wes Anderson eine Alternative. Sie laden ein zum Verweilen, zum gemeinsamen Sehen, zum Diskutieren, zum erneuten Betrachten.
THE FRENCH DISPATCH ist so voller Details und Liebe zum Detail, dass man bei der ersten Betrachtung vieles gar nicht wahrnimmt. Das gilt auch für den Funken sprühenden Kommentar aus dem Off. Doch nicht nur der Detaillreichtum beeindruckt, sondern auch die sensationelle Machart des Films! Anderson ist so unglaublich innovativ und dabei voller Humor, dass man nicht weiss, ob man staunen oder lachen, oder beides gleichzeitig soll. Achten Sie zum Beispiel auf seine "Schnittechnik" in der Szene, in der die Geschichte von Moses Rosenthaler gezeigt wird, wie aus dem jungen der alte wird. Was soll man dazu noch sagen?
Ich könnte an dieser Stelle jede Szene des Films besprechen und würde kein Ende finden, daher beschränke ich mich auf einige wenige. Übrigens: Ist das nicht herrlich, eine so klare, gut strukturierte und übersichtliche Pinnwand zu sehen, vor der Bill Murray steht? Wie wollen Sie so etwas auf einem kleinen digitalen Bildschirm darstellen?
Trotzdem der Film keine zusammenhängende Handlung hat und aus vier Episoden besteht, unterhält er auf eigentümliche Weise. Man hat das Gefühl, gleichzeitig zu lesen und zu sehen. Dabei überflutet einen Anderson mit Bildern, Text, Informationen, aber anders als im digitalen Zeitalter verpuffen diese nicht nach einem Klick, sondern bewirken Staunen, Neugier und den Reiz, den Film nochmals sehen zu wollen. Dabei wechselt Anderson von Cinemascope über Schmalbild zu Schwarz-Weiss und Farbe bis zum Split Screen, dass es eine wahre Freude ist. Was für ein Spektakel!
Der Anfang ist furios (wie der ganze Film)! Achten Sie mal darauf, was der Kellner alles auf dem Tablett zusammenstellt! Was trinkt Bill Murray da? Allein diese Sequenz könnte ich mir wieder und wieder ansehen. Dann geht er raus und will - in einer nicht endenwollenden Sequenz - das Tablett in das Büro bringen. Herrlich zu beobachten, wie er dabei durch das Haus geht und uns zu beobachten, wie wir ihn dabei beobachten. Diese Szene könnte man sich wieder und wieder ansehen und sie würde nicht langweilen.
Die erste Episode ist ein Rausch und Owen Wilson sollte für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert werden! Eine weitere, furios inszenierte und ungemein lustige Sequenz mit einem Feuerwerk an Bildern und Texten. Was für eine visuelle Vorstellungskraft dieser Regisseur hat, welche Ideen und wie er sie umsetzt ... zutiefst beeindruckend! Übrigens: Ich bin ein grosser Fan von Namen (und Spitznamen) und in dieser Hinsicht kann Anderson keiner etwas vormachen, er ist der König aller Namensgebungen und der Erfindung fiktiver Charaktere: Der Reisereporter dieser Episode heisst Herbsaint Sazerac!!! Ich möchte das "K-Wort" noch nicht in den Mund nehmen, es folgt! Dieses Rennrad ... man möchte so vieles mehr erwähnen ... !
Die zweite Episode ist an Verschrobenheit und Irrsinn nicht mehr zu überbieten. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob Anderson hier die Kunstszene durch den Kakao zieht, oder ob er ihr huldigt? Benicio Del Toro (ein Favorite) und Lea Séydoux gehen als Moses Rosenthaler und Simone in die Geschichte ein. Was habe ich gelacht (so, wie ich eigentlich wieder und wieder gelacht habe in diesem Film)! Bei sämtlichen (sinnlosen) Diskussionen über Kunst sollten man vorher den Diskutanten diese Episode vorspielen!
Die dritte Episode ist eine Erinnerung an die Vergangenheit, ohne dies an dieser Stelle näher erklären zu wollen, und eine Liebeserklärung an Frankreich, wie eigentlich der ganze Film. Als Frankophiler war es für ein Rausch für die Sinne! In dieser Episode schlägt das intellektuelle Moment voll durch und Anderson, der auch das Drehbuch schrieb, steuert auf den Höhepunkt von THE FRENCH DISPATCH zu. Es ist eine sehr nüchterne, trockene, intellektuelle Sequenz, aber gerade dieses "nicht-emotionale" Macht den Reiz der dritten Episode aus. Anderson ist im Rausch!
Eine Sensation und der absolute Höhepunkt von THE FRENCH DISPATCH ist die vierte und letzte Episode, eine Sensation!
Die Episode betitelt mit "The Private Dining Room Of The Police Commissioner" hat auf Anhieb Kultstatus erreicht! Was Anderson hier erschaffen hat, gehört in die "Hall of Fame" des Kinos. Furios inszenierte Action-Szenen, Spannung, Komik, Dramatik und eine Reminiszenz an vergangene Zeiten geben sich hier mit einem bahnbrechenden Tempo die Hand. Andersons Humor und Witz sind einzigartig. Allein die Szene, in der Roebuck Wright (!) den Commissaire sucht, sucht ihresgleichen im Kino! Kult! Bitte achten Sie auf den Gang von Jeffrey Wright und seine zu kurzen Hosen!
Ultra-Kult das Interview im Fernsehstudio zwischen Jeffrey Wright und einem herrlich schmierigen und wohlwollenden Liev Schreiber als Talkshow-Moderator. Diese Sequenz ist grandios. Die Frisuren, die Kleidung, das lässige Rauchen einer Zigarette (vor laufender Kamera), die Drinks auf dem Tisch, der Teppichboden, die Gardinen ... . Millenials werden das wahrscheinlich nicht nachvollziehen können, aber allein die Haltung der beiden und deren Kleidung sind unfassbar! Was habe ich gelacht und wie wehmütig war ich zugleich, ob dieser Bilder!
Doch das allein reicht Anderson nicht, sondern er erschafft einen Charakter am filmischen Firmament, der von mir und dem grössten Wes Anderson-, Tim Isfort- und Tim und Struppi Fan auf diesem Planeten, Alan "The Blog" Lomax, wieder und wieder zitiert werden wird, ein Koch mit einem militärischen Titel:
Lt. Nescaffier (🤣)
Mir fehlen die Worte. Lomax wird verstehen, was ich meine.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf einen Schauspieler aufmerksam machen, der in dem zweiten Daniel Craig James Bond-Film seinen Widersacher spielte: Mathieu Amalric! Exzellenter Mime.
Man möchte Wes Anderson umarmen.
Er verführt mit seiner Filmkunst und es ist schwer, seinem Charme nicht zu erliegen. Mit THE FRENCH DISPATCH hat er definitiv sein Meisterwerk hingelegt und so wie Ridley Scott, David Lean, Sergio Leone und Alfred Hitchcock, Martin Scorsese, Michael Mann und Clint Eastwood wird er aufgenommen in den Lomax-Deckard'schen Olymp der Helden, der Ort, an dem Götter verweilen.
Alan Lomax war voller Begeisterung und Leidenschaft für Film und Regisseur in einem kürzlich geführten Telefonat. Lesen Sie seinen begeisterten Beiträge auf diesem Blog (links unten).
Vive La France!
Vive La Wes Anderson!
Aus Ennui-sur-Blasé,
Rick Deckard
The Wes Anderson Collection / Matt Zoller Seitz - www.lomax-deckard.de
Es gibt nur einen Regisseur auf dieser Welt, dessen Filme ich mir immer ansehen würde. Unabhängig von Tageszeit oder Gemütszustand. Es sind die Filme von Wes Anderson. Mich fasziniert die eigene...
http://www.lomax-deckard.de/article-the-wes-anderson-collection-matt-zoller-seitz-123857257.html
Grand Budapest Hotel - Wes Anderson - www.lomax-deckard.de
Ich bin froh, dass es Regisseure wie Wes Anderson gibt. Künstler mit originären Ideen und v.a. den Mut diese auch umzusetzen, vollkommen unbeeinflusst von gängigen Strömungen, Vorgaben oder ...
http://www.lomax-deckard.de/2014/09/grand-budapest-hotel-wes-anderson.html
Moonrise Kingdom - Wes Anderson - www.lomax-deckard.de
Der Vorhang geht auf. Nach den uns gezeigten produzierenden Studios befinden wir uns auf der fiktiven Insel New Penzance in Neuengland. Es ist das Jahr 1965. Ein dubioser Mann mit rotem Mantel ...
http://www.lomax-deckard.de/article-moonrise-kingdom-wes-anderson-110825085.html