El Michels Affair – Yeti Season (Big Crown)

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  9. April 2021, 08:17  -  #Alan Lomax Blog, #Album Review, #Elektronische Musik, #Feuilleton, #Independent Musik, #Jazz, #Kommunikation, #Popmusik

El Michels Affair – Yeti Season (Big Crown)

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass ich ein großer Fan des New Yorker Big Crown Label bin. Das New Yorker Label begeistert mit Releases die zur ersten Einordnung zwischen Retro-Funk oder vielleicht sogar Indie-Rock einzuordnen sind. Aber es gibt einen weiteren roten Faden, sogar zwei: Gründer Leon Michels beschreibt es in seiner lakonischen Art und Weise so: „Wenn eine Platte dope ist, dann ist sie dope“. Der zweite ist der rote Faden selbst, denn alle bisherigen Releases vereint das geheimnisvolle gelungene Rezept aus Anspruch, Wahrheit und Seele.

Meinen ausführlichen Bericht über die zeitlose Wahrheit des Labels aus dem letzten Jahr: http://www.lomax-deckard.de/2020/11/big-crown-records-was-bedeutet-schon-zeitlos-eine-langst-uberfallige-plattenlabel-review.html

El Michels Affair ist die Band des Labelchefs. Das Debutalbum Sounding Out The City wurde bereits 2005 veröffentlicht. 2009 wurde dann,dass in Plattensammlerkreisen bereits legendäre Cover-Album, The 37th Chamber aufgenommen, nachdem bereits zuvor eine innige, kreative Beziehung zu den Mitgliedern des Wu-Tang-Clan begann. Letztes Jahr überraschte Michels mit dem Album Adult Themes, einer Art Soundtrack zu einem imaginären Film. Nun steigert er seinen kreativen Output mit seinem ersten vollendeten Meisterwerk Yeti Season.

Die Musik von El Michels Affair ist voll von Drama und Fantasie. Yeti Season ist ein schweres Album. Unmöglich es mal nebenbei zu hören, da es charakteristische Musik ist, mit eigenartigen Texturen, ungewöhnlichen Akkordwechseln und schwerer Dramatik, die sich vielleicht mit asiatischen Funk und sehr fremdklingenden Gesangspassagen oberflächlich beschreiben lässt. Gleichzeitig steht die Musik und die Kunstfertigkeit von El Michels Affair aber auch für Hoffnung und ist unglaublich positiv treibend.

Der Song Dhuaan versetzt den Hörer in eine andere Welt. Musikalisch denkt man an die besten James Bond Scores, an Stereolab Aufnahmen und seltsamerweise immer wieder an Funk und an die Kindheitserinnerungen von Moody (sic!). Aber nicht an den von Bootsy Coolins oder den mit Seele eines Sam Cookes, sondern an eine Art Funk die in den siebziger Jahren in dunkeln Kneipen und Clubs in Vietnam oder Istanbul gespielt wurde. Wenn diese Art von Musik überhaupt je existierte und dort gespielt wurde.

El Michels Affair ist eben auch immer Musik für verträumte Weltreisende die zuhause bleiben müssen. Die monochrom geschaffene Welt vermittelt Fernweh und stellt zeitgleich das perfekte Setting für Filme die nicht gedreht wurden und Erlebnisse die noch nicht erlebt wurden.

Exkurs Ubiquity Records

Vor ca. 10 Jahren hatte ich das Label Ubiquity Records aus San Francisco entdeckt. Wir erinnern uns: Virale Marketingaktionen war noch ehr unbekannt. Instagram & Co gab es nicht. Das Label erfand die Kunstfigur Clutchy Hopkins. Das unbekannte, in Vergessenheit geratene musikalische Genie, welches im Prinzip die Popkultur der zu dem Zeitpunkt vergangenen 30 Jahre maßgeblich beeinflusst hatte. Ich war gefangen von dieser Idee und verfiel in einen Wahn, der sich über Wochen auf diesem Blog und in meinem Leben hinzog. Die Geschichte fängt hier an:

http://www.lomax-deckard.de/article-die-welt-des-clutchy-hopkins-ein-blogeintrag-in-mehreren-teilen-teil-1-einfuhrung-84372529.html

Nach über einem Jahr der Recherche stellte sich heraus, dass das Universum Clutchy Hopkins ein geschaffenes Universum der Labelmates Money Mark (Beastie Boys) und Shawn Lee (AM) gewesen ist.

Ich schreibe diese Erinnerung, da insbesondere die geniale Musik des Multiinstrumentalisten und Vorsitzender der Bands AM und des Ping Pong Orchestera von ähnlicher Vielfältigkeit und ähnlicher Kooperationsvielfalt umgeben war, wie es eben El Michels der Fall ist. Tommy Guerrero, Money Mark, Darondo und eben Clutchy Hopkins.

„MF Doom-ähnliche Hip-Hop-Instrumentals mit von Indien beeinflussten Gitarrenspuren und einer sanfteren Downtempo-Arbeit, die Portishead-Fans täuschen könnte", schrieb der Musikblog Idolator im Februar 2007 über diese Welt, die nun auch die Welt von El Michaels Affair und dem Big Crown Label beschreiben könnte.

Leider ist mein musikalischer Weltverschwörungssinn nicht ausgeprägt genug, um nun eine Verbindung herzustellen;-)

Ende Exkurs Ubiquity Records

Den Song Dhuaan (und weitere) singt Piya Malik, eine in New York lebende bezaubernde Sängerin, mit britischen und indischen Wurzeln, die auch bereits mit Khruangbin unterwegs war. Die indischen Riffs bleiben auf Yeti Season permanent stehen und vereinen auf phänomenaler Weise alle anderen Einflüsse.

Raga Dvesha ist eine berühmte indische Philosophie. Die besagt, dass der oder die Jenige sich von dem Schema Mögen-Nichtmögen, Zuneigung-Abneigung etc. lösen kann, wenn er/sie auf dem Weg der Erlösung ist.

Sie mögen keinen türkischen Funk und schon gar nicht den, der in schmuddeligen Clubs in Instanbul gespielt wird? Sie hassen Hindu-Artige Gesänge und mit Retro-Soul können Sie erst recht nichts anfangen? Sie glauben, dass dieser Cluthchy Hopkins keine Bedeutung hat und so wie er aussieht stinkt! Tommy Guerrero, Money Mark, und Piya Malik sind Ihnen egal! Und Sie kommen bereits seit längerer Zeit zu der Erkenntnis, dass dieser Blog, hier „anmaßend“, „subjektiv“ und für SIE völlig egal ist. Sie empfinden keine Sinnesfreuden mehr?

Ausgezeichnet! Den Schmerz den Sie haben, sind nämlich nicht die aufgeführten Attribute. Und diese Review kann schon gar, nicht eine Gedankenwelle, auslösen. Aber es gibt Instinkte;  ...und es gibt Musik wie die von El Michaels Affair.

Diese Musik denkt nicht in „gut“ und „schlecht“. Sie ist frei von Dvesha und macht glücklich. Und deshalb, ist Yeti Season, das bisherige Album des Jahres 2021 ohne Wut, ohne Aggression, ohne Hass und ohne Vorurteile. Und dennoch auf dem richtigen Weg!

Au dem Weg der Erlösung

Alan Lomax

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