Hercule Poirot in 70 mm Ultra Panavision: Die abscheulichen 8 von Quentin "The Pulp" Tarantino

von Rick Deckard  -  30. Mai 2016, 20:43  -  #Filme

Hercule Poirot in 70 mm Ultra Panavision: Die abscheulichen 8 von Quentin "The Pulp" Tarantino

Ich bin ein wenig her- und hingerissen. Schlägt man im Duden nach, Verzeihung, "googelt" man die Begriffe "hinreissen" und "zerissen" so findet man:

hinreissen: begeistern, bezaubern, gefühlsmässig überwältigt sein.

zerissen: mit sich selbst zerfallen, uneins.

Quentin Tarantino hat einen neuen Film gedreht. Eigentlich wollte ich mir nach dem Machwerk "Django Unchained" keinen Film mehr von ihm ansehen, so unglaublich schlecht war dieser Film, so schlecht waren alle Filme nach Kill Bill Vol. 1 & 2. Kill Bill, insbesondere Vol. 1, war der letzte grosse Wurf dieses Besessenen nach Reservoir Dogs und Pulp Fiction.

Ich musste The H8ful 8 sehen. Dies aus zweierlei Gründen:

1. Western

2. 70 mm Ultra Panavision

Wer die Geschichte dieses Bildformates und die wenigen Filme, die mit ihm gedreht wurden kennt, der kommt um diesen Film nicht herum, doch dazu mehr im Teil "hinreissen".

In der schneebedeckten Landschaft von Wyoming, einige Jahre nach dem Sezessionskrieg, ist eine Kutsche mit einem Kopfgeldjäger unterwegs, untermalt von der Musik eines Ennio Morricone, der eine Gesetzeswidrige nach Red Rock überführen will, damit sie dort gehängt wird, aus welchen Gründen auch immer. Auf dem Weg dorthin nimmt der Bounty Hunter, gespielt von Kurt "Der Bart" Rüssel, einen Kollegen auf, dessen Pferd umgekommen ist: Samuel L. Jackson (eine lebende Legende). Der widerum war seines Zeichens ein ranghoher Major bei den Nordstaaten. Ein dritter gesellt sich zu ihnen, auch ohne Pferd, der vorgibt Sheriff in Red Rock werden zu wollen.

John Ford und Stagecoach lassen grüssen, wie auch Klaus Kinski und Jean Louis Trintignant und und und.

Die Gesellschaft wird gezwungen Rast in einem Gemischtwarenladen zu machen, weil ein Schneesturm aufzieht. Also begeben sie sich hinein und treffen dort auf 4 Männer, die ebenfalls warten wollen, bis der Sturm vorüberzieht.

Nur soviel zum Inhalt, denn es wird spannend ... .

Der Film hat eine Lauflänge von 168 min (Die 70 mm Roadshow Originalfassung von 187 min). Er unterhält dabei, meine Meinung, über die volle Länge ohne Längen. Die meisten Menschen sind es nicht mehr gewohnt eine Geschichte auf diese Weise erzählt, geschweige denn einen langsamen Aufbau basierend auf Dialogen vorgeführt zu bekommen.

Und an dieser Stelle kommen wir zur Zerissenheit. Quentin Tarantino ist ein Meister der unkonventionellen Narration, der sich nicht an die Regeln hält, der Vor- und Rückblenden einbaut und mit den verschiedenen Erzählebenen virtuos jonglieren kann. Hier gibt er sich der klassischen Erzählweise hin, die ihm das Genick bricht. Aus The H8ful 8 hätte mehr werden können. Um einen umgangsprachlichen proletarischen Klassiker der Moderne zu bemühen: "Hätte, hätte, Fahrradkette!" Was, also wenn? Wenn Tarantino die Handlung gestrafft hätte mit einer stringenten Dramaturgie und pointierteren Dialogen, dann wäre dies ein weiteres Meisterstück  geworden.

Der Film ist dem Grunde nach ein Theaterstück kombiniert mit Elementen des Kriminalfilms, konkret dem "Who dun it". Sam L. Jackson ist Hercule Poirot im Wilden Westen. Das ist spannend, das ist lustig, das hat Poptrash-Appeal und Pulp Charakter. Nichtsdestotrotz verbleibt ein schaler Beigeschmack.

Warum zum Teufel verlegt Tarantino die Handlung in den Wilden Westen? Wozu das Western-Sujet? Das macht keinen Sinn, denn die Kernelemente des Western sind die Rache und der (einsame) Held, ob der nun in die pechschwarze Nacht reitet wie bei Eastwood oder in den Sonnenuntergang, wie bei allen anderen. Der Western spielt in der Landschaft, die, siehe z.B. Anthony Mann oder John Ford, stets ein weiterer Charakter im Western ist. Seien wir ehrlich: Wir haben es hier mit Reservoir Dogs in the Wild West zu tun. Quentin T. zitiert nicht nur wie üblich die halbe Filmgeschichte, sondern zur Abwechslung auch mal sich selbst.

Die Zerissenheit rührt daher, dass ich mir nicht schlüssig bin, ob das gelungen ist  oder nicht und es bleibt der Nachhall: Daraus hätte mehr werden können, in kürzerer Zeit.

Damit schlagen wir die Brücke zum "hingerissen".

Man muss es Mr. Tarantino lassen: Dieser Mensch liebt das Kino und lebt es mit grösstmöglicher Leidenschaft. Das Beste an der Blu Ray ist ein 10 min Beitrag zum Thema 70 mm Ultra Panavision.

Sehen sie sich Sam Jackson an, wie er voller Euphorie wie auf einem Jahrmarkt in exzellentem Slang dieses Verfahren anpreist. Sehen sie sich an, mit welch kindlicher Begeisterung Tarantino für dieses Verfahren schwärmt und was er unternahm um seinen Film in diesem Format drehen zu können. Schauen sie sich die grandiosen Bilder des famosen Kameramannes Robert Richardson an! Da wird einem warm ums Herz und man kann nicht anders, als hingerissen sein von dieser Bilderpracht. Leider lief der Film in 70mm nicht in der Nähe meines Wohnortes.

Pervertiert Tarantino das Format, indem er es benutzt um ein Kammerspiel zu inszenieren oder muss man das als Ironie verstehen? Wie dem auch sei, man muss ihm zu Gute halten, dass er sich mühte dieses längst vergessene Trägermedium in die Kinosäle zu holen. Was für ein Genuß!

Ich bin hin- und hergerissen, wenn ich mir überlege, was Tarantino mit diesem Format und dem Western-Genre alles hätte anstellen können ... . Talentiert ist er, es scheint, als hätte ihn die Muse verlassen.

Gut & Böse gibt es im neuen Tarantino Universum nicht, nur Motherfucker.

Aus Wyoming,

Rick "The Rock" Deckard

 

P.S. Ich bin SEHR gespannt auf Ihre Besprechung Mr. Alan Lomax (der sie ja Kammerspiele so lieben). Hervorragender Cinerama Beitrag von Ihnen mit einem spektakulären Anfang :-D

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