Die andere Heimat - Erklärungsversuch für einen der besten Filme der Geschichte
Beim Lesen dieses Artikels werden viele Menschen vermutlich die Nase rümpfen. Mir ist es egal, denn ich bin vom gestrigen Kinobesuch völlig überwältigt und darum ging es hier immer (Leidenschaft)!
Ich will noch einmal daran erinnern, was die Grundidee dieses Blogs war, weil es mir im Zusammenhang mit diesem außergewöhnlichen Filmereignis wichtig erscheint. Und da ich mich nicht ständig wiederholen will, kommt dieses aktuelle Zitat von unserem geistigen Vater Martin Scorses gerade recht:
"Movies touch our hearts and awaken our vision, and change the way we see things. They take us to other places, they open doors and minds. Movies are the memories of our life time, we need to keep them alive."
Und ganz ehrlich, ich möchte ich eins für alle Mal klar stellen, dass ich kein Filmkritiker im Sinne eines Journalisten bin, sondern mich ehr im Geiste -nicht vom Anspruch! her- als Enkelkind der Autoren der „Cahiers du Cinéma“ sehe. Warum? Weil es eben auch Rivette, Truffaut oder Chabrol um die Liebe zum Kino ging. Immer mit viel Leidenschaft vorgetragen und unter ständigen Selbsterklärungsversuchen leidend und unter Anspielung aus früheren Filmen diese einmalige Parallelwelt verstehen zu wollen. Getriebene!
In dieser Review soll es daher um meine Liebe zum Kino und der ewigen Sehnsucht nach epischen Geschichten, authentischen Charaktere und der Schönheit der Cinematografie geht, sowie um den Film als Massenmedium bzw. Phänomen. Beginnen wir also vor dem Schwärmen, welches kaum einen oder zumindest nicht motivierten subjektiven Hintergrund hat, mit den Fakten der Sage.
Edgar Reitz hatte bereits 1984 verstanden, dass chronisches Erzählen in epischer Breite, mit aller Komplexität und den dazugehörigen Handlungssträngen, im Kino wenig Zukunft haben wird. Auch könnte man meinen, dass der ewig mürrisch wirkende Meisterfilmer im Bereich der Technik eine ehr konservative Haltung an den Tag legt. Was aber in Wirklichkeit nicht wahr ist. Denn natürlich nutzt er die digitale Technik, für seine furiosen Schnittanalogien und grandiosen unvergesslichen Fotografien.
Weiterhin hat Reitz auch schon zu dieser Zeit das erfunden, was heute, auch schon wieder 10 Jahre nach den Sopranos, im Mainstream angekommen ist. Die amerikanische Fernsehserie! Der Spiegel geht sogar noch etwas weiter und vergleicht Edgar Reitz Epos „Heimat“ mit der „Star Wars Reihe“ aufgrund seiner Figurendichte und dem Kinofranchises. „Die Welt des Herrmännche und des Jakobche ist mythisch aufgeladen und personell vertrackt wie die von Lucas‘ Skywälkerche.“ http://www.spiegel.de/kultur/kino/kinoepos-die-andere-heimat-von-edgar-reitz-a-923618.html
Eine lustige Idee wie ich finde, die nach einigem Nachdenken gar nicht so entfernt klingt. Schaut man sich das Merchandising zu dem Film an, Begleitbücher, historische Reihen, Heimatverbundene Fanclubs, Ortsvereine und Filmographien, Internetseiten, so gibt es dieses Fantum um die Chronik tatsächlich. Fehlen tun eigentlich nur die kleinen Actionfiguren. Ich würde mir übrigens sofort eine von Florentinchen (Philine Lembeck) kaufen.
1981 fing der bis dahin umstrittene und gebeutelte Filmemacher Reitz mit einem zweistündigen Dokumentarfilm an, die schließlich über 60 Stunden umfassende Filmreihe „Heimat“ zu drehen. Die Hauptteile der als Trilogie angelegten Reihe erschienenen 1984, 1992 und 2004. 2006 wurde die Reihe mit einem Epilog beendet.
Was für ein Zeitraum, was für eine Möglichkeit eine Geschichte zu erzählen, die natürlich nicht nur eine realistische Annäherung an die deutsche Vergangenheit ist, sondern auch eine poetische Umsetzung visueller Träume, eines genialischen Filmemachers.
Skeptiker, Agnostiker, Ignoranten, Besserwisser und Desinteressierte werden nun ähnlich wie reagieren wie „Eletromod“ der am 30.09.2013 -nachdem er bei Spiegel Online die Ankündigung über den Film gelesen hatte- schrieb: „…wenn das so großes erzählerisches Kino und Fernsehen im Stil von HBO und Star Wars ist, warum hat man davon noch nie gehört?
Hi, hi, was für ein Idiot oder wie es „jottlieb“ etwas später in den Kommentaren kommentiert: Was für ein Pluralis Majestatis! Auch gut.
"Jeder ist sich seines Glückes Schmied" Auch eine alte Kante bzw. Weisheit von Rick Deckard und mir. Aber bei in so großer Breite Inszenierten Stoffen auch für einen „Eletromod“ nachvollziehbar. Man kann keinem Einzelnen den Vorwurf machen, dass er sich bisher nicht mit dem Stoff beschäftigt hat. Sollte aber jedem Filminteressierten jedoch den Vorwurf machen, wenn nun mit Erscheinen des Prequels die Chance nicht ergreiffen wird, das Thema aufzunehmen.
Es gibt hundert und eins Möglichkeiten (sehr gut ist dieses Option http://www.heimat123.de/) sich mit dem Stoff zu beschäftigen und sich einzulesen. Man muss auch nicht gleich die Gesamtedition der „Heimat-Trilogie“ (amazon € 62,11 / 18 DVDs) kaufen. Sie werden es aber womöglich tun, wenn Sie sie mit der „Anderen Heimat“ im Kino beginnen und sich vollends verzaubern lassen.
Zugegeben der Stoff ist sperrig und der Film mit über 225 Minuten nicht gerade leichte Kost. Sich darauf einlassen, eintauchen, flüchten oder sich auf eine Heilsamkeit freuen, könnte der Motor sein. Denn das ist der wesentliche Erkenntnisgewinn nach 4 Stunden aufregenden, unterhaltsamen, dramatischen, traurigen Kino mit einer sehr deutschen Geschichte. Der Film heilt offene Wunden! Doch dazu gleich mehr. Worum geht es eingentlich?
Jakob ist ein Vorfahre der Simons aus der 30-teiligen „Heimat-Trilogie“ von Edgar Reitz. In dem nach vier jähriger Drehzeit nun erschienen Prequel lernen wir das Leben in Schabbach, einem Dorf im Hunsrück anno 1842 kennen. Jakob ist leidenschaftlich davon getrieben nach Brasilien auszuwandern. Er hat ein linguistisches Talent und lernt Indianersprachen. In breit angelegten Cinemascopebildern, die einem jeden Kinoliebhaber aus den Schuhen reißen wird, sehen wir Wagentrecks mit Bauern, die bereits aus dem Elend flüchten, denn es herrscht bittere Armut in Deutschland.
Kameramann Gernot Rol zeigt uns in niemals zuvor gesehen Schwarzweiß, das Leben der Simons in allen Nuancen und Facetten. Liebe, Leid, unendlich viele Tote, Freude, Hoffnung, Sehnsucht, Trauer und Heimweh. Eine deutsche Geistesgeschichte bzw. Edgar Reitz Definition des Kinos, nach breiter Vorlage von Immanuel Kant.
Ganz nebenbei lernen wir ein Stück Deutscher Geschichte kennen, welche bisher recht unbekannt war. Nämlich die Landflucht der Menschen aus der Eifel und der Pfalz nach Brasilien zu Kaiser Dom Pedro, der wiederrum Werbetruppe durch Europa schickte um Handwerkern und Landwirten ein neues Leben zu bieten.
Ohne viel Wissen und ohne viel Phantasie gelingt der direkte filmische Vergleich zu Michael Ciminos „Heavens Gate“. Einem Film mit ähnlich großer visionärer Kraft, der allerdings das Alltagsleben der Menschen im amerikanischen Westen, genauso realistisch und deprimierend zeigt, wie es der Heimatfilm tut.
Und sprach ich vorhin von Heilsam, dann ist der Vergleich unter Berücksichtigung des Perspektivwechsels doppelt heilend. Einerseits weil die Feststellung das nur die amerikanische Geschichte interessante Vorlagen für breit angelegte Stoffe bildet völlig falsch ist, andererseits aber auch weil die Erkenntnis, dass es in Deutschland noch nie einen Filmregisseur gab, der in der Lage war eine solche Geschichte auch filmisch umzusetzen niederschmetternd, aber zeitgleich auch stolz macht; ...so etwas in diesen Zeiten, in den Zeiten des Niedergangs des Kinos, wie wir es kennen, noch zu erleben!? Großartig! Denn vor dem Fazit und allen weiteren Erklärungen, muss ich schon jetzt manifestieren was ich vor ein paar Tagen bereits vermutet habe: http://www.lomax-deckard.de/article-die-andere-heimat-chronik-einer-sehnsucht-von-edgar-reitz-120353377.html
Edgar Reitz hat den besten deutschen Film seit Erfindung des Kinos gedreht!
Natürlich ist diese Meinung uninteressant für die Menge und auch indiskutable für Liebhaber von Max Reinhardt, F.W. Murnaus, Anatole Litvak, Wolfgang Staute, Fritz Lang, Jürgen Roland, Michael Verhoeven, Alexander Kluge, Werner Herzog, Hans-Christian Schmidt (um jeweils ein Paradebeispiel einer Generation zu nennen) oder den ganzen Auswanderern von Lubitsch bis Emmerich. Was soll auch dieser Wettbewerb? Nun, ich finde es wichtig, um die Größe dieses Filmes zu erklären, der sich dann auch im nächsten Schritt durchaus mit den großen Meistern des Weltkinos vergleichen lassen kann und doch das Kino um eine mögliche Erzählweise erweitert hat.
Denn lassen wir die übliche Agenda über Cast, Kamera und Geschichte einmal weg, alle diese Attribute werden künstlerisch und stilistisch perfekt und innovativ umgesetzt und gehören in die Filmlehrbücher der nächsten Auflagen als Paradigmen geschrieben. Es ist etwas anderes was mich an diesem Meisterwerk der Meisterwerke fasziniert und diesem Film zu dem macht, was ich meine dort zu sehen bzw. zu verstehen: Es ist die unendliche Ästhetik des Gesamtwerks. Und dabei sind es nicht nur die fotografierten Naturschönheiten oder die faszinierenden Gesichter und Bilder der Dorfbewohner, die alle in Einzelbilder gefasst werden müssen und eine Weltweite Fotoausstellung über ein viertel Jahrhundert rechtfertigen würde. Noch mehr als diese unendlich faszinierende Bildwelt ist es Reitz linearer, klarer und formvollendeter Erzählstil.
Filmkunst ist für mich nicht einschichtig. Sie kann unterhaltsam sein. Sie kann Bedürfnisse befriedigen und erklärend, lösend sein. Filme dieser Art sind aber meist belanglos, geraten in Vergessenheit oder müssen immer und immer wieder aufgewertet und revitalisiert werden. Die andere Heimat ist ein Film geworden, wie es die anderen fünf großen Filme meines Lebens geworden sind. Dieser Film ist überlebensrelevant und leitet einen neuen Bewusstseinsprozess meiner Kognition von Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen, Kreativität, Planen, Orientierung, Imagination, Argumentation, des Willens und des Glaubens ein.
Vielleicht ist der Entwicklungsprozess des Kinos somit final abgeschlossen. Ich wünschte ich könnte das anders schreiben, eben auch weil ich so das vorzeitige Ende des Kinos manifestiere. Aber derzeit sehe ich keine andere Entwicklung und jeder Cineast weiß, trotz leidenschaftlicher Äußerung, Hingabe und Verheißungen zu inflationären Begrifflichkeiten wie Meisterwerk oder der beste Film aller Zeiten, dass so etwas nur einmal, vielleicht zweimal im Leben eines Filmliebhabers passiert. „Spiel mir das Lied vom Tod“ ist bisher mein Film für die Ewigkeit gewesen. Leones Masterpiece ist inzwischen fast 45 Jahre alt. So lange musste ich nun also warten, bis mir ähnliche Gefühle der tiefgehenden, sagen wir es ruhig: Wahrhaftigen Vorstellung des Kinos wiederfahren. Eine Sensation! Und diese ausladende, von einigen Menschen befürchtete Euphorie erschließt sich nicht nur aus dem nun veröffentlichten Film, sondern auch aus den in mein Herz und mein Gehirn gemeißelten Eindrücken des gesamten Werks „Heimat“ und den damit zu hundert Prozent komplizierten dargestellten Zusammenhängen die auch die Filmgeschichte zusammenfast.
Einer der maßgeblichen Mentoren und Treiber für das gesamte Epos ist übrigens Günter Rohrbach, den man im Zusammenhang mit Heimat einfach nennen muss. Rohrbach haben wir maßgeblichen Höhepunkte der deutschen Fernsehgeschichte und somit auch unserer eigenen gesellschaftlichen Entwicklung zu verdanken. Und Rohrbach hat insbesondere einen wichtigen Charakterzug immer wieder bewiesen: Massengeschmack! Mir ist es wichtig dies zu erwähnen, denn das Kino würde ohne dieses Attribut sterben bzw. schon lange nicht mehr existieren. Edgar Reitz Film und das gesamte Epos „Heimat“ ist Geschichte aus Deutschland, für die Deutschen! Der Stoff sollte an Schulen angeboten werden und zu dem die Würdigung erfahren den er verdient….
We Need To Keep them Alive!
Alan Lomax