Filmkritik: Old – M. Night Shyamalan

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  5. Januar 2022, 14:21  -  #Essay, #Fernsehen, #Filme, #Kino, #Kommunikation

Filmkritik: Old – M. Night Shyamalan

Kennen Sie noch Alfred Hitchcock? Nur ein Narr, würde sich erlauben mir diese Frage zu stellen, denken Sie gerade? Nehmen wir mal also nicht Sie selbst als Filmliebhaber*in, der/die Sie zweifelsohne sind, wenn Sie hier Filmkritiken lesen, sondern Ihr Umfeld -denn ich will Ihnen ja persönlich nichts unterstellen- sehen Sie da wird’s schon lichter. Ja klar, jeder kennt Alfred Hitchcock, aber wer sieht sich schon noch die alten englischen Meisterwerke an, aufmerksam! ...und puhlt jede einzelne Sequenz auseinander, erzählt einem oder einer jeden der/die es wissen will oder nicht, von diesem oder jenem Geniestreich, den Sie ordentlich in einem Ihrer ca. 10 Büchern über den Meister, noch einmal nach recherchiert haben. So dass meine ich…

Ach der letzte Hitchcock war NORTH BY NORTHWEST, wieder mal am Montagabend auf arte. Besser als nichts. Aber wann haben SIE das letzte Mal die EINGLISCHEN MEISTERWERKE gesehen? Oder die Filme zwischen 1940 – 1947; …also z. B. SHADOW OF A DOUBT  http://www.lomax-deckard.de/article-26225429.html oder das Gerichtsdrama DER FALL PARADIN?

Das permanente Zwinkern des Meisters in unsere Richtung, die Entschlüsselung in jedem Detail des Filmes und das schematische Geschichtenerzählen und die Einbindung des Zuschauers in das Geschehen und in den Charakter bzw. in die Psyche der handelnden Personen, das hat die Kunst des unsterblichen britischen Regisseurs und Geschichtenerzählers ausgemacht.

Ebenso läuft es bei Hitchcocks Epigone und Regisseur M. Night Shyamalan ab. Shyamalan würde niemals Zufälle in seinen Drehbüchern zulassen oder gar seine Aufrichtigkeit gegenüber des Zuschauers gefährden.

M. Night Shyamalan liebt das Kino. Er liebt es gute, unterhaltsame und verblüffende Geschichten zu erzählen. Schuld sind in seinem Fall, tatsächlich immer die Anderen. Der amerikanische Regisseur hat es häufig schwer, seine mit Spoilern versehenen Minenfelder an große Studios zu verkaufen. Abgesehen von dem Irrsinn der Umsetzung, die das Genie zu dem Zeitpunkt des Pitchs im Studio nur selbst im Kopf haben kann, weigern sich die großen Studios dreistellige Millionenbeträge in die Hand zu nehmen, um einen Film drehen zu lassen, der seinen Reiz meist im Plot der Geschichte hat, in einer irrsinnigen Wendung der Geschichte oder eben um den Zauber eines Kinosfilms zu entfachen.

So driftete der Filmnerd Shyamalan in den letzten Jahren etwas ab. Er wurde zu Unrecht in ein Genre verordnet, in, dass er nicht passt und bekam auch selten die Chance, sein Sujet in dem Zeitraum umzusetzen, welches er für die Produktion benötigt.

In dem Making Off zu der Apple TV Produktion der Serie SERVANT, erzählt der lustige Shyamalan, wie ihm kürzlich SAM L. JACKSON aus einem Cabrio auf dem Hoolywood Boulevard zu rief: „JO, NIGHT!!!!...WHAT THE FUCK ARE YOU DOING!“ …und bestätigt damit, weshalb er z. B. nicht aus L.A. nach NYC oder Europa geht! Er liebt Hollywood, weil es die Hauptstadt des Films ist und er eben solche Begegnungen hat! Und da glauben zumindest Einige noch an ihn, da er mit seinen Blogbustern „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ viel Geld für die Studios verdient hat.

Und! Er hat Lunte an den Möglichkeiten einer Serienproduktion gerochen. SERVANT ist dann auch gleich das Meisterwerk des Jahres 2019/2020/2021 was die besonders gute Serie angeht. Ich meine die Serie, die bleibt, die wir uns auch in zehn Jahren noch einmal anschauen, weil sie nachhaltig reifen und wachsen wird. Sie wird in fünf Jahren entdeckt werden, vom Mainstream. Und sie wird für Aufregung sorgen. Den SERVANT ist einzigartig. Geschlossen, amüsant, düster. Eine very good Show, wie die Amerikaner sagen würden. Oh ja, das ist SERVANT (Apple TV+ Staffel 4 im Januar 2022)

Schneller geht’s in OLD. Die Figuren erfahren innerhalb von 24 h monumentale Veränderungen. Und auch hier wieder, könnte die Erzählung falsch verstanden werden und Entscheidung der Zuschauer den Film zu sehen oder eben nicht, werden dann leider zu häufig falsch getroffen: Dieser Film folgt vielleicht einer übernatürlichen Handlung, aber der Subtext ist viel intelligenter und tiefer verordnet. Nämlich in der menschlichen Formel des Menschen, die uns zur Derzeit ja alle am meisten prägen: Schwäche, Vorurteile, Bedrohung und Habgier.

Diesmal konfrontiert er seine Protagonisten mit einem der gefährlichsten Gegner menschlicher Lebens - der Zeit. Als sich ein Elternpaar mit seinen beiden Kindern an einem paradiesischen Strand erholen will, geraten sie in den Bann eines schockierenden Phänomens: Sie werden rasend schnell alt. Und zwar wird jeder am Strand ein Jahr pro halber Stunde älter. 

Es ist unmöglich so eine Handlung vollkommen logisch darzustellen, insbesondere da es sich um Kammerspiel handelt, aber primär nutzt M. die Spannungsmomente und die Möglichkeiten. Um auf Alt-Meister Hitchcock zurück zu kommen (denn ich habe ihn als Zeigefinger hebenden Mentor natürlich bewusst am Anfang des Textes gewählt): Hitch nannte, Kinogänger die Probleme des Scheins im Zeitalter der Vernunft haben als „Die Plausiblen“.

Ich denke, dass Hitchcock da einen wunderbaren gesetzten Begriff für eine ganz besondere Filmzuschauergruppe erfunden hat. Nämlich einer Gruppe, die prüft, aber nicht träumt. Und noch schlimmer, wir sprechen hier von einer Zuschauergruppe, für die Plausibilität alles ist was zählt. Was auf den Träumer nicht zutrifft, da er sich erstmal für eine vielseitigere Option entscheidet. Die Plausiblen werden so z. B. niemals den unwiderstehlichen visuellen Kamerastil des Filmes wahrnehmen, bei dem das Objektiv ständig Dinge anspielt, die gerade nicht sichtbar sind.

Und natürlich werde ich nicht von der Wendung des Filmes erzählen.

 

M. Night Shyamalan wird in diesem Jahr übrigens Präsident der Jury der 72. Berlinale. Carlo Chatrian (Berlinale Intendant) fasst es dann auch richtig und abschließend gut zusammen:

„Im Laufe seiner Karriere hat er ein Universum geprägt, in dem Ängste und Sehnsüchte neben einander stehen. In dem junge Menschen nicht nur die Protagonisten, sondern auch die treibende Kraft zur Überwindung von Angst sind. Innerhalb des US-amerikanischen Filmgeschäfts ist Shyamalan eine einzigartige Persönlichkeit, ein Filmemacher, der seiner Vision treu geblieben ist. Diese Treue zum eigenen Ideal ist auch das, was wir bei unserer Auswahl suchen.“

Erik Tanner for Rolling Stone

Vorerst aus Philadelphia, dann aus Berlin…

Alan Lomax

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