Kulturabstimmung 2021 Alan Lomax Teil 1 – Liebsten Filme 2021

Auf diesem Blog lesen Sie seit 2008 viel über unsere kulturellen Erlebnisse und wie wir diese subjektiv wahrnehmen. Dabei gehen wir immer wieder durch das lodernde Feuer und sind zu Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt. Die Idee zu diesem Unterfangen hatte damals unser gemeinsamer Mentor Martin Scorsese. Der auch heute noch davon spricht, dass die Kunst an vielen verschiedenen Orten und in ebenso vielen Formen zu finden ist. Und dabei ist dieser Blog nur ein Nebenformart unserer anderen Aktivitäten, die zum Beispiel im Radio (674FM) stattfinden oder in den Filmmusikforen dieser Welt. Jedes Jahr wieder stellen wir uns die Frage nach einem Poll = Umfrage der besten, liebsten, coolsten, furiosesten neuen und alten Kulturaufläufe des Jahres.

Ein Novum in diesem Jahr wird es sein, dass es insbesondere bei der Filmliste, nicht mehr so sein kann, wie es „früher einmal war“; wir alle kennen die Umstände die an dieser Stelle nicht weiter aufgeführt werden müssen. Somit gibt es eine lose Aufstellung von beeindruckenden laufenden Werken, unabhängig von der Disziplin Kinofilm, den es aus meiner Sicht in der reinen Form in diesem Jahr nicht geben konnte.

Mit einer Ausnahme!

Film: THE 800 – Regie: GUAN HU

http://www.lomax-deckard.de/2021/02/the-800-guan-hu.html

Der Film ist in erster Linie ein Kriegsfilm. Aber wir haben in diesem Blog bereits häufig über dieses Genre geschrieben und es uns selbst erklärt, weshalb wir es für eines der geeignetsten filmischen halten, um Größenwahn, Menschenverachtung im direkten Kontrast zu Pathos, Leidenschaft und Menschlichkeit darstellen zu können. The 800 schlägt ein neues Kapitel auf!

Film: A QUIET PLACE 2 – Regie: JOHN KRASINSKI

Wie bereits im ersten Teil erlebt, diese Reihe wird körperlich. KRASINSKI gelingt eine unfassbare beklemmende Atmosphäre, die Kamera von POLLY MORGAN ist gelinde gesagt eine Sensation und EMILY BLUNT, aber MILLICENT SIMMONDS auch tragen den Film. Das ständige traumatisierte und von Angst und Überforderung Gesicht, des Kinderstars NOAH JUPE, welches er bereits in der spektakulären Serie THE UNDOING in die Kamera gehalten hat, wird wohl als Verweis der Angst für die letzten zwei Jahre stehen können…

Serie: THEM – Regie: LITTLE MARVIN

http://www.lomax-deckard.de/2021/04/them-convenant-amazon-prime-little-marvin.html

Little Marvin hat alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um seine zeitgemäße, relevante, provokante und kontrovers überhöhte Vision des täglichen Horrors der unter Menschen stattfindenden Diskriminierung anzubieten.

Serie: DAS DAMENGAMBIT – SCOTT FRANK

http://www.lomax-deckard.de/2021/05/das-gamendambit-netflix-grunde-warum-die-serie-so-erfolgreich-war.html

Die Schlusssequenz, in der Elizabeth Harmon aus dem Auto steigt und inmitten dieser so ästhetischen Architektur mit toll anzusehender Kleidung eine Strasse hinuntergeht, Szenen dieser Art sind es, die Serien, Filmen etwas Besonderes verleihen und somit dieser Sparte der Kultur einen Wert beimessen.

Serie: MARE OF EASTTOWN – BRAD INGELSBY

http://www.lomax-deckard.de/2021/06/mare-of-eastwood.html

HBO macht seit Jahrzehnten die besten Serien der Welt! Mit Mare of Easttown ist nun ein leiser, aber bombastischer Coup gelungen: Die Erinnerung daran, was das Wort Serienkunst, mit dem Adjektiv ganz groß, bedeutet: Zusammensteht das für „Die ganz große Serienkunst“.

Serie: FOUNDATION – DAVID S. GOYER/JOSH FRIEDMAN

Hier wächst eine wundervolle Serie heran, die einmal, eine bedeutsame Größe bekommen könnte. Das Sujet ist nicht ganz einfach, da eine Vorlage von ISAAS ASIMOV erstmal umgesetzt werden muss. Ich zweifele an den normalen Menschen, daher bin ich skeptisch und gehe davon aus, dass diese Serie nicht gewürdigt wird, ergo, kein weiteres Geld investiert wird. Aber ich bin zum Glück nicht der jetzt schon legendäre HARI SELDON (JARED HARRIS).

Serie: HAUS DES GELDES – ALEX PINA

Die wahre Unterhaltungsperle bei Netflix, wurde nun beendet. Das Stilmittel, die Action, die Klischees, die dummen Off-Kommentare von Tokio, das Telenoveleske, aber auch die Anarchie, die Kritik am Kapitalismus und der Spaß, machen PINA’s Serie zu einer der besten Serien aller Zeiten.

Film und Serie: OLD und SERVANT – M. NIGHT SHYMALAN

Bro‘ RICK DECKARD hat es richtig erfasst: „Du hast in SHYMALAN die filmische Regie-Entsprechung Deines Lebens gefunden! Das sagte er kürzlich, nach dem ich ihn erneut versucht habe sich einem (Teil-)werk des ehemaligen Filmvorführers hinzugeben. Ist mir nicht gelungen. Schade, denn der eloquente Filmregisseur hat auch eine äußerst bemerkenswerte Serie auf engstem Raum gemacht: SERVANT….ist Drama, Mystery und Horror und es ist ein Kammerspiel. Niemals zuvor, hat man eine Kamera gesehen, die sich den Weg nicht nur freischaufelt, sondern auch mühelos, durch Wände und Etage, des alten Brown-Houses in Philadelphia gleitet und dabei immer ein Schritt schneller ist als der Zuschauer oder die tollen Schauspieler. Wird ab Januar bereits in der dritten Staffel fortgesetzt. OLD ist ein klassischer SHYMALAN Streifen. Eine völlig abstruse Story über einen Strand an dem Menschen innerhalb von 24 h ein ganzes Leben älter werden. Keine Angst! Der Film ist auch ein Kammerspiel, allerdings mit schönsten Naturaufnahmen und einem nachvollziehbaren Plot. So gesehen vielleicht der Film des Jahres, denn vom philosophischen Ansatz und der eigentlichen Schönheit der Erzählung habe ich noch gar nicht berichtet.

Serie: GLAUBEN – DANIEL PROCHASKA

…eine Miniserie nach der Vorlage des von mir sehr, sehr geschätzten FERDINAND VON SCHIRACH über einen der größten deutschen Justizskandale. Peter Kurth spielt Dr. Richard Schlesinger, der natürlich viel von VON SCHIRACH hat. Irgendwie nicht so unfreiwillig wie es bereits Moritz Bleibtreu versucht hat, sondern im wahrsten Sinne verquartzt, tatsächlich witzig und ableitend, von der Dummheit der Menschen in diesem Ort und für Moral und gegen Recht in dieser Erzählung. Das ist wichtiges und sehr gutes deutsches Fernsehen, dass jede Erwähnung verdient hat.

Wahrscheinlich war 2021 eines der schwächsten Film- und Fernsehjahre aller Zeiten. Kein Wunder, denn KEIN Studio und keine Produktionsfirma konnte 2019 vorhersehen, was passiert und wie rasant sich die Welt weg vom Blogbuster hin zum VOD verändern sollte. Es gibt aber so viele gute Produktionen und Perlen. Aber es wird auch im Rahmen der Inflation, schwerer diese zu entdecken. Denn es fehlt z. B. ein zentrales, unabhängiges, aber gutes Kulturjournal, welches für Interessierte eine joviale Vorauswahl trifft. Die Menge an guter Sender, Filme und Serie, ist schier kaum noch nachzuvollziehen und wenn ich bedenke, wieviel ich gesehen habe und wie wenig ich davon erzähle, ist es schon etwas absurd.

Letzte Woche habe ich alte Notizbücher entdeckt. Dort habe ich noch Ende der neunziger Jahre eine Chronik der gesehenen Filme auf Video/DVD, TV und Kino gemacht. Das Jahr 1997 hatte es immer auf 287 gesehene Produktionen gebracht. Ich denke, es ist nicht weniger geworden und ich denke auch, dass sich unser Sehverhalten, aber auch die Sicht auf die Vergangenheit verschoben hat. Allerdings bin ich mir noch nicht sicher, ob in richtiger oder falscher Weise. Deckard’s Antwort kenne ich! Sie ist akzeptabel, aber auch nicht ausgereift, häufig auch von einer gewissen Traurigkeit getragen, die ich als Optimist nicht so unterstreichen kann. Aber dieser Diskurs ist ganz wichtig für uns beide, da wir uns so gegenseitig wachsam halten.

Es gab auch schlimme Produktionen in diesem Jahr. Filme und Serien, die richtig, richtig schlimm gewesen sind. Seit über 15 Jahren können Sie hier in unseren Archiven nachlesen, dass wir bestimmt alles andere als kleinbürgerlich sind. Nö! Wir lieben das reaktionäre Kino! Wir sind immer divers gewesen und niemals anti-humanistisch oder schlimmer. Wäre auch etwas merkwürdig bei unserer Herkunft und unserer Gesinnung. Was ich sagen will: Wir, die „normalen“ Menschen müssen aufpassen. Aufpassen, dass uns unsere Meinung nicht entzogen wird. Dass die dummen Menschen nicht gewinnen. Das gilt auch für das Kultursegment filmische Geschichten erzählen. Geben Sie bitte Geld fürs Kino aus. Bezahlen Sie die guten Streamingplattformen. Wir bekommen es zurückgezahlt. Und bitte, bitte suchen Sie sich gute journalistische Filmmagazine oder –blogs oder Fanzines. Die Großen schreiben ab voneinander. Es ist streckenweise wirklich peinlich. Und es gibt immer weniger gute Filmjournalistinnen, die tatsächlich Nerds wie wir sind und nichts anderes getan haben als Filme zugucken, während die anderen Kinder ins Schwimmbad gefahren sind….

Alan Lomax