SPEX – Das Ende subjektiv gesehen!

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  6. November 2018, 14:44  -  #674.fm, #Elektronische Musik, #Kommunikation, #Populäre Musik, #Vergessene Helden

SPEX – Das Ende subjektiv gesehen!

Nach 384 Ausgaben und 38 Jahren wird das Musikmagazin zum Ende des Jahres eingestellt.

Im Gespräch mit JOHN ROSS EWING bei der letzten Musikabendsendung feat. Alan Lomax vom 27.10.2018 habe ich versucht meine Meinung dazu mit den Kapiteln INSTANZ und KONTEXT zu beschreiben. Die Diskussion mit JOHN ROSS EWING war ergiebig, da wir beide Teil dieser Geschichte sind, aber auch die Geschichten des -Horrors der persönlichen Einseitigkeit- längst unter uns geklärt haben. Dabei auch verstanden haben, dass es sich nicht um die Darstellung des klügeren Geistes handelt, sondern um die Alltags-Realität der gegenseitigen Vielseitigkeit und der Akt der Toleranz im Vordergrund steht, aber es eben auch um den Transfer von Wissen und Musik geht.

Weshalb sollte man also z. B. im Jahr 2018 noch immer die Diskussion darüber führen, ob es ein wenig besser ist, eine Schallplatte, ein Buch oder ein Magazin in der Hand zu halten oder eben die digitalen Versionen zu nutzen? Unnötig und für noch mehr Kopfschmerz sorgen Gespräche über einseitige Haltungen und schwarz/weiß Diskussionen und Gespräche mit Menschen, die nur Antworten haben, aber keine Fragen stellen. Es gibt Möglichkeiten und die sollte man nutzen. Es wäre nun auch zu altklug einen professionell agierenden Verlag und eine am Puls der Zeit vertretende Redaktion, kritisch zu hinterfragen, weshalb nicht alle Möglichkeit der Fortführung genutzt wurden. Wir alle unterhalten uns doch ständig über Digitalisierung. Im Falle der SPEX ist das bestenfalls die Frage nach der fehlenden Interaktion von Zeitschrift und Leser. Und ich glaube, dass diese Brücke zwischen Oberfläche und Kern bewusst nicht gebaut wurde, weil dort die Veränderung der Wissenskultur in der Gesellschaft unterschätzt wurde. Das Wissen über Musik und Popkultur hat doch bereits seit langer Zeit seinen elitären Charakter verloren.

Zudem wurde so natürlich auch die ständige Individualisierung der Leserschaft unterschätzt. Viele von „uns“ haben Popkultur in ihre Alltagskultur übernommen, haben die Möglichkeiten genutzt, sich selbst darzustellen und zu vernetzen oder haben ein ganzheitliches Verständnis entwickelt Musik selbst wahrzunehmen und zu erforschen. Trotz dieser ganzen Indikatoren des Wandels und der Veränderungen der Konsummuster und Strukturen in der Gesellschaft verändern sich zwei Dinge in der Welt der Popkultur nicht: die Fähigkeit von Autoren, Gedanken in Worte umzusetzen und besser mehr Fragen zu stellen als zu viele Antworten zu geben. Die SPEX war eine Instanz und immer kontextrelevant. Das

haben wir kleinen Blogschreiber von ihr gelernt. Die Subjektivität und Leidenschaft war bereits da, die großen Reportagen und langen Interviews mit unseren Ikonen, die kann uns keiner ersetzen und wir Autodidakten auch nur im ganz kleinen Rahmen, mit sehr viel Mühe und Aufwand. Wir tun das. Aber eben im Rahmen unserer Möglichkeiten und ohne uns „verrückt zu schreiben“, wie es einst einer der Urväter des deutschen Popjournalismus Wolfgang Welt getan hat.

Weshalb aber tun wir autokratischen Blogschreiber und Webradiomacher uns das also selbst an, woran die SPEX letztendlich gescheitert ist? Und machen einfach weiter unter nicht immer professionellen Bedingungen, die einerseits natürlich wirtschaftliche Freiheit bedeuten, andererseits aber auch jede Menge Leidenschaft und Improvisation erfordern.

Das Zukunftsinstitut in Frankfurt fasst meinen Gedanken als Megatrend zusammen und beschreibt das als Potenzialentfaltung bzw. als Zeitalter der Kreativökonomie. „Wir arbeiten nicht mehr um zu leben, und wir leben nicht mehr, um zu arbeiten.“ Und so haben wir mehr und mehr die Möglichkeit, über Interessen und auch den Sinn der Arbeit nachzudenken. Wir können z. B. wie in meinem Fall Marketing Know-How und Erfahrung mit der Streuung von individuellen Informationen an eigene Netzwerke verbinden und nutzen und somit den New Work Flow z. B. als Blogger ebenso gut nutzen wie es professionelle Verlage machen. Zu Zeiten als „wir“ noch Fanzines geschrieben haben und uns mit Metzger Müller für eine 1/8-Anzeige für 20 DM rumschlugen sind vorbei. Musikmagazine haben aber damals für so eine Anzeige von Labels und Unternehmen Mediaspendings im vierstelligen Bereich gehabt. Ach, ja! Die Zeiten ändern sich tatsächlich…

Die SPEX hat mich aufgefangen und abgelehnt. Manchmal war sie zu schnell, oftmals zu langsam. Vieles wusste ich bereits besser, anderes hätte ich längst wissen müssen. Ein Rattenrennen? Subjektiv gesehen, ja! Objektiv gesehen darf ich natürlich weder den mahnenden Zeigefinger heben, noch einen Vergleich herstellen. Das will ich auch nicht und weshalb also nicht das Fazit eindeutig in ein Motiv umwandeln. Ein Motiv, das einerseits den SPEX-Leser im Allgemeinen betrifft und auch das Musikmagazin SPEX als Leitkultur für einen kleinen Kreis von Interessierten. Ich kann natürlich nicht für alle SPEXholder sprechen, aber hoffentlich annehmen, dass viele ähnlich angetrieben wurden wie ich.

Nachhaltigkeit! Vielleicht ist es das, was uns die SPEX unbewusst vermittelt hat. Um das was bedeutsam, beständig, bleibend und bewegend ist zu archivieren.für immer sein wird. Niemand möchte das verpassen. Wir Menschen, die auf der ständigen Suche nach dem perfekten Popsong, nach der besten Platte und der besten Band aller Zeiten sind, wissen das. Hinzu kommt eine Portion Egozentrik, Arroganz und das fürchterliche Wissen, dass so vieles vergänglich ist, obwohl es groß war und ist! Aber auch das Bewusstsein, dass wir vieles jederzeit abrufen können durch unsere Erinnerungen oder einen geübten Griff in unser Plattenregal, welches  auch Leben, Tagebuch, Bedeutung und Zeitmaschine ist.

Wir, die dieses Magazin gelesen haben, wissen das. Den anderen war dieser Teil der Leidenschaft immer rätselhaft. Eine kleine eingeschworene Gemeinde von Kennern, Liebhabern, Romantikern, Besserwissern, Polizisten und Zeitreisenden. Und diese Gemeinde hat dieses Magazin weitestgehend mitgeprägt und sozialisiert.

In dieser Welt war es noch nie wichtig, was man hat, was man kann oder was man macht! Der Trend „New Work“ war somit scheinbar existent. Aber diese Welt hat einem vorgeschrieben, dass man das Wort „man“ nicht in Plattenkritiken oder Essays unterbringen soll und sie hat uns immer auch gefragt, was wir hören und weshalb!?. Gelegentliche Leser müssen das falsch verstanden haben, als Arroganz und als Selbstdarstellung, ebenso wie man auch diese Zeile so verstehen könnte.

Aber darum ging es natürlich nie. Es ging immer darum Filme, Musik, Mode, Design, Technik und Gesellschaft zu verstehen, zu dechiffrieren und für sich einzubetten, um sich more super powered zu machen. Also noch mehr zu wissen, um noch mehr entdecken zu können und wieder neue Welten für sich zu erobern, die man vorher nicht kannte.

Das Schönste an diesem Rausch Musik- und Popkultur ist ja auch der Kontext fremde Kulturen entdecken zu können, andere Menschen kennenzulernen und deren Sichtweisen zu verstehen. Wenn so viele angeblich Musikinteressierte aber nur zur Antwort haben, dass sie Musik hören, die im Radio gespielt wird oder mit einer einzigen Genrebezeichnung meinen sich selbst definieren zu können, dann soll das so sein und vielleicht ist das auch eine besondere, einfache Art und Weise von dem, was wir nach 30 Jahren endlich auf den Punkt zu bringen, um weiter zu machen.

Eine Anleitung, einen Beweis, eine Karte und eine persönliche Bestätigung in Form eines monatlich geschriebenen Begleiters zu haben, der einen versteht, anstößt, fordert und bestätigt, ist aus meiner persönlich Wahrnehmung heraus immer hilfreich gewesen.

Hilfreich! Ein leicht untertriebener Terminus. BIRTH – SCHOOL – WORK – DEATH ist selten wichtig gewesen, aber notwendig. Der Beweis und die Erklärung aber dafür wer ich bin, was ich denke, fühle, weshalb ich an vielen Tagen traurig bin, an anderen glücklicher als jeder andere Mensch auf der Welt und weshalb ich so ambivalent wie meine Platten im Regal bin, ist auch auf eine fehlende Einseitigkeit und Einfachheit meines Lebens mit der Popkultur zurückzuführen. Vielfältigkeit, Offenheit, Toleranz, Ausprobieren und Loyalität, auch diese Facetten hat mich meine Leidenschaft zu Musik und Popkultur auch durch Träger von Ideen wie der SPEX gelehrt.

Und ja, spalten sie sich ruhig die Schädel über solche Texte hier! Und ja, gerne streite ich mich weiterhin mit anderen Sichtweisungsbefugten. Nämlich mit denen, die nur Musik als Hintergrundbeschallung hören, sie nicht wahrnehmen oder sie dermaßen vergewaltigen, dass nur noch ein Körper übrig bleibt.

Nun, weshalb tue ich mir das also selbst an? ...kämpfe und hinterlasse jede Menge Federn? Auch diese Antwort ist einfach und ich erwähnte es bereits im Mittelteil dieser Überlegung: es geht um Haltung! Also um eine Grundeinstellung, die einen bzw. mich prägt. Jeder Mensch entscheidet sich selbst für seine Grundeinstellung. Meine hat sehr viel mit dem Denken und Handeln aus der Welt der Popkultur zu tun. Ich wollte und will das.

Aus dem unbekannten RAVE auf'm Ring

Alan Lomax

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