Tigran Hamasyan – An Ancient Observer

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  17. Januar 2017, 19:20  -  #Orchestrale Musik

Tigran Hamasyan – An Ancient Observer

Der armenische Pianist sagt über seine Musik, dass es musikalische Beobachtungen der Welt in der wir heute leben, sind, die man dort hört, sowie des Gewichtes der Geschichte, die wir mit uns tragen.

Und auch im Titel seines neuen Albums AN ANCIENT OBSERVER steckt ein Hauch von geschichtlichem Fatalismus. Natur, Gesellschaft und Religiöse Positionen passen scheinbar schlecht zu instrumentaler Musik. Es scheint ehr eine willkürliche Intervention zu sein, wenn ein solcher Musiker mit einer solchen aussagestarken Verantwortung unterwegs ist. Denn wie will er sich „nur“ mit Titeln und einer verbalen Haltung in einigen Interviews ausdrücken? 

Verstehen Sie mich nicht falsch? Ich will, daß bei diesem Ausnahmemusiker gar nicht Frage stellen, frage mich aber trotzdem, ob diese Positionierung gelingt oder ob seine Beobachtungen nicht vielleicht doch eher Kompositorischer oder Visuell erlebten Situationen entstammt.

„Nichts geschieht zufällig, sondern alles aus einem Grunde und mit Notwendigkeit.“ Dies sagte Leukipp ein antiker griechischer Philosoph und versucht man zwischen Hamasyan‘ Zeilen bei seinen raren Interviews zu lesen: 

„Ich schaue aus dem Fenster und sehe den biblischen Berg Ararat mit ewigen Schnee auf dem Gipfel, Strommasten und Leitungsdrähte im Vordergrund zerschneiden das Bild, Satellitenschüsseln verschmelzen mit alten und modernen Häusern, auf deren Kaminen wie zur Zeit der Vorfahren Rauch aufsteigt, Vögel schweben über den Bäumen, gelegentlich sind Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel. Die altertümliche, gottgegebene Natur und unsere modernen menschlichen Errungenschaften treten in einen Dialog ein.“

…entstehen zumindest bei mir folgende Gedanken: Irgendwas muss der arme Kerl ja erzählen!

Vermarktung von instrumentaler Musik, egal ob aus dem klassischen Orbit, dem elektronischen Keller oder dem jazzigen Club war schon immer schwer, leider eben auch sperrig, manchmal dumm, selten zutragend. Warum konzentriert man sich nicht auf die Musik? Einfache Antwort: Weil es dann niemanden interessiert! Jeder benötigt dann eben seine Geschichte und die des jungen Pianisten liest sich dann eben so:

 

Tigran Hamasyan ist 1987 in Armenien geboren, 2003 zog er mit seiner Familie nach Los Angeles. Derzeit wohnt er in Eriwan. Seit dem dritten Lebensjahr spielt er Klavier, mit elf gastierte er erstmals auf Festivals. 2003 gewann er den Klavierwettbewerb….[irgendwann habe ich mal eine Aufstellung gelesen, die in einer TOP 10 darstellte, was ein Musik- oder Filmkritiker niemals tun sollte: …nämlich die Geschichte erzählen, die es sowieso schon gibt]…berühmte Kollegen wie Chick Corea, Herbie Hancock und Brad Mehldau sind voll des Lobes.

Bitte noch einmal! All‘ das ist interessant und wichtig, kann weitergegeben werden, aber was bleibt ist Hamasyan’s Kunst. Und das, ist die der Komposition, der Interpretation und die sines fulminanten Klavierspiels.

Aber davon gibt es einige sehr gute und legendäre Vergleiche. Einen besonderen Stil zu entwickeln oder eine Erneuerung könnte nun das Ziel eines temporären Künstlers wie HAMASYAN sein, der bestimmt nicht nur beobachtet, sondern sich und seinen Grundlage auch eine neue Rolle zufügen möchte. Erwähnenswert ist hierbei bestimmt, seine Fähigkeit durchkomponierte Harmonie- und Formgefühlte Stücke zu entwickeln, sich aber auch gleichsam einen großen Raum für die Improvisation lässt. Revolutionierend ist sein zum Teil sehr romantischer, folkloristischer Ansatz, z. B. bei MARKOS and MARKOS nicht. Herzzerreißend dann aber seine zum Teil sehr lyrischen Improvisationen. Beim häufigeren Hören denkt man dann vielleicht auch, wie ich, häufig daran, dass Hamasyan eine deutlichere Abgrenzung oder sogar Autonomie des künstlerisch-kulturellen Anspruchs, hin zu einem weniger ästhetischen Anspruch gut tun würde. Denn ein anstrengendes Beobachten, setzt auch eine anstrengende Gegenwelt voraus. 

Stil- und Biographisch erinnert mich der bisherige Werdegang ein wenig an das häufig vernachlässigte Werk von Pat Metheny. Lauscht man der Diskografie des Jazzgitarristen über die Jahrzehnte, stellt man eine vergleichende Kategorie fest, denn Metheny wurde häufig genug vorgeworfen, dass seine durcharrangierten Aufnahmen zu schwer und sperrig langweilig sind, seine experimentellen Fähigkeiten hingegen grenzenlos und beschwert sind. Metheny Enthusiasten würden nun natürlich, richtiger Weise behaupten, dass dies eben die frei gewählte Vielfalt des 1976 debütierenden Amerikaners sei. Und eben diese Kenner würden auch sagen, dass es eben die unterschiedlichen Formationen, auch die zwischen Rock und Jazz seien, die sein Werk dann im Prinzip unverwechselbar macht. Aber eben diese Kenner wissen auch, dass Metheny häufig eine gewisse Sprunghaftigkeit vorgeworfen wurde, die mit den Idealen eines Jazzmusikers wenig zu tun hat, weil er sich häufig in den eigenen Idealen verloren hat oder es eben in erster Linie live versteht, diese Facetten zusammenzubringen, was auf einem Album nicht möglich ist. Metheny selbst würde dem übrigen entsetzt wiedersprechen, weil er sich noch nie als Jazzmusiker gesehen hat (…und das nur unter Gewaltanwendung!). 

Mir ist es im Prinzip egal, denn ich habe Metheny schon immer für seine Art und Weise mit Harmonien anders umzugehen als andere bewundert. Aus seinem oftmals Dissonanten Gitarrenspiel entsteht dann Magie, Schönheit.

Zusammengefasst ist es vielleicht eine gewisse Esoterik die man beiden Musikern unterstellen kann. Etwas klebriges, nicht richtig hippes, nicht richtig altes, nicht richtig Neues. 

Tigran Hamasyan ist vielleicht noch etwas braver und milder als der selbstbewusstere Metheny der seine Gitarre (unter Puristen ein Frevel!) auch als synthetisches Instrument nutzt. 

Auch der Armenier ist kein Jazzmusiker. Offensichtlich will das heute eben keiner mehr sein, um sich eine gewisse Bandbreite zu bewahren, die sich dann auch im Umfeld der großen Konzerthäuser besser vermarkten lässt. Denn viele der ehemaligen Jazzabos in den Sälen gehen verloren, weil die Zuhörer überfordert wurden und Jazz sich nun mal nicht einfangen lässt. Schon gar nicht bei Hörern deren Ohren dafür nicht geschult sind und die ihre Karten mal zwischen Familienkalender und Gutschein für Apollooptik unter dem Weihnachtsbaum gefunden haben, weil ihre dummen Kindern dachten, dass sie sich für Jazz interessieren, weil sie mal einen Lounge-Jazz-Sampler aus der Brigitte-Edition im Regal der Mutti oder des Papis gesehen haben.

Dann lieber einen armenischen Pianisten ankündigen, dessen Vielfalt unterstrichen wird, dessen Virtuosität in den Vordergrund gestellt wird und dessen Hang zum freien Geist, vorerst durch die Mühlen der Industrie gedreht werden müssen. 

Live wird es dann ganz anders aussehen. Für zwei Termine (19.04. Hamburg, 10.06. Köln), kommt der  armenische Amerikaner dann nach Deutschland. Sicherlich eines der spannesten Konzerte der ersten Jahreshälfte 2017.

Aus dem Polizeipräsidium der internationalen Jazzpolizei (….könnte jemand die Kaution bezahlen!“)

Alan Lomax

Das Album erscheint im März 2017

Pre-Order: http://www.tigranhamasyan.com/ancientobserver/

 

 
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