Primavera Sound 2016 – Feierlichkeiten – Tag 3
An diesem letzten Tag haben wir alles richtig gemacht! Wir waren lecker und rechtzeitig Tapas essen und haben Wein getrunken. Hatten genügend Zeit den klassischen Gitarrenpop der neuseeländischen Ikonen The Chills zu lauschen, bevor wir das lebenslang, unvergessliche Konzert von Mr. Brian Wilson sehen durften, um den Abend individuell ausklingen zu lassen. In meinem Fall bei den beiden sehr expressiven Hip Hop Acts Pusha T. und Action Bronson.
Nimmt man die Ereignisse besonderer persönlicher Bedeutungen im Lebenslauf eines Menschen zusammen so nennt man das per Definition Kasualien. Um die Zusammenfassung der Emotionen des Brian Wilson Konzertes an diesem unvergesslichen Abend in Barcelona vorwegzunehmen: Das Konzert war für Künstler und Zuschauer gleich Geburt, Taufe, Konfirmation (aus protestantischer Sicht), Hochzeit und Tod zugleich. Etwas zu pathetisch?! Durch aus nicht! Ich will es erklären: Zuerst betrachtet auf den gesamten Abend! Wenn man so will ist dieser Primavera Festivalabend wie eine gute Hochzeit. Die Chills waren der Sektempfang, Brian Wilson der festliche Akt und die beiden Hip Hop Acts die gute trunkene und unterhaltsame Party. Wobei der festliche Akt alle Gefühle eines mit dem Herzen denkenden Menschen zusammengefasst hat, inkl. den notwendigen emotionalen Ausbrüchen und schnell folgenden Zweifel, dass solche Momente auch schnell wieder vorbei sind!
Wann haben Sie das letzte Mal den Song Good Vibrations gehört? Wahrscheinlich irgendwann mal nebenbei im Radio, auf einer Party und vielleicht beiläufig in einem Film? Aber nein! Ich meine richtig gehört? Laut! Vor einer guten Anlagen! Entspannt! Mit einem Drink in der Hand! Konzentriert! Machen Sie es mal! Denn Sie werden feststellen, dass Good Vibrations alles andere als ein durchschnittlicher Hit gewesen ist, den wahrscheinlich jeder Mensch schon einmal gehört hat, aber kaum jemand wahrgenommen hat.
In dem Biopic über Brian Wilson LOVE AND MERCY (2014; Regie: William Pohland) sehen wir in einer Sequenz, wie Wilson rauchend auf der Haube eines Autos liegt und sich die Sterne ansieht. Das Auto steht vor dem Studio, wo er gerade mit der Studioband The Wrecking Crew das Meisterwerk Pet Sounds einspielt. Aus der Studiotür tritt der Schlagzeuger Hal Blaine, der mit seiner Band bereits Alben für Nat King Cole, Frank Sinatra, Elvis Presley, den Monkees oder Sam Cook eingespielt hat. Er bittet, den an sich selbst zweifelnden Brian Wilson, um Feuer. Aufmerksam fragt der Schlagzeuger, Wilson, was los sei? Dieser erzählt im das er nicht zufrieden ist mit einigen Passagen der aktuellen Aufnahmen und das er eigentlich an dem ganzen Konzept Pet Sounds zweifelt. Der erfahrene Studiomusiker sagt anschließend zu ihm: „Brian Du bist ein Genie! Die gesamte Band ist so stolz bei diesen Aufnahmen dabei sein zu dürfen, die man noch in 400 Jahren hören wird und die in einer Reihe mit den größten Komponisten überhaupt stehen!, Wir haben mit Elvis, Sinatra und Phil Spector zusammengearbeitet. Aber noch nie mit so einem musikalischen Genie wie Du es bist. Brian entgegnet: Größer als Phil Spector? Hal: „Größer als Phil Spector“.
Good Vibrations schaffte es nicht ganz auf die Pet Sounds, wurde aber von der Plattenfirma Capitol Records gleichzeitig mitvermarktet, weil der Song Hitpotenzial hatte. Und für wahr Good Vibrations wurde eine der meist verkauften Beach Boys Singles überhaupt. Was wirklich unfassbar ist, denn der Song ist ein psychedelisches Experiment! Wilson setzt ein elektrisches Tannerin (nicht zu verwechseln mit einem Theremin) ein, welches Sinuswellen über mehrere Spannweiten erzeugt. Die zu hörenden Cellos ersetzen im Prinzip das Schlagzeug und haben eine vorher nie gehörte dynamische Wucht.
Den Höhepunkt löst aber der Refrain nach der 2. Bridge aus (etwa ab Minute 3:14). Brian kontrapunktiert den mehrstimmigen Gesang, es entsteht ein Hochgefühl in Form einer aufsteigenden Sequenz, die textliche Verdichtung zu Good Vibrations findet statt, eine Mundharmonika, spielt eine neue Melodie in den Vordergrund. Hören Sie es sich an und entschuldigen Sie die Theorie, aber anders ist die kompositorische Größe dieses Songs nicht zu erklären.
Natürlich sollte man so bei allen Pet Sounds Nummer vorgehen! Aber Good Vibrations hat im ganzen Kontext schon immer eine Sonderstellung. So auch an dem vergangen Samstag in Barcelona, da es quasi als Interludium zwischen der originalen Pet Sounds Folge und beginnend mit dem so wunderschönen Surfer Girl auch einen künstlerischen, kommerziellen oder pophistorischen Bruch darstellt.
Wir sehen Brian Wilson um kurz nach acht, wie er von seinem Bodyguard auf die Bühne geschoben und vor einen Flügel gesetzt wird, der mit einem nicht sichtbaren Teleprompter ausgestattet ist.
Ich habe Brian Wilson bereits vor ca. 6 Jahren in Bonn gesehen. Dort machte er einen recht aufgeräumten Eindruck, der im Verlauf des Abends allerdings nicht bestätigt wurde. In Barcelona sah der alte Mann glücklich aus, war zu Scherzen bereit und machte seine üblichen kurzen aber ironischen Ansagen. Singen wird er noch die mittleren Passagen. Bei den höheren Oktaven übernimmt Beach Boys Gründungsmitglied Al Jardine, dessen Falsett-Stimme schon immer der von Wilson glich. Sein Sohn Matt übernimmt die ganz hohen Passagen, die von den weiteren Bandmitgliedern im Mehrstimmigen Bereich den alten Beach-Boys Aufnahmen in nichts nachstehen.
Überhaupt ist es die famose Band, die einige leicht auffällige Momente der Schwächen kaschieren kann und zudem der damaligen Wrecking Crew handwerklich in nichts nachsteht.
Es ist ja im Prinzip kaum zu verarbeiten: die ganze Pet Sounds live und bei der Atmosphäre zu hören. Im zweiten Teil dann neben den bekannten Klassikern auch noch mit allen Hits (I Get around, Surfin U.S.A, Fun Fun Fun und dem selten gespielten Monster Mash) bedient zu werden, war aber erfüllend.
Meine von der Reifeprüfung geplagte Tochter stand neben mir und war ergriffen. Meinen Freunden standen die restlichen Haupthaare vor Rührung und Empathie zu Berge. Neben uns das leuchtende Mittelmeer. Um uns herum in sich selbstversunkenen, hoch konzentriert zu hörende Menschen aus ganz Europa, friedlich, singend, vor sich hin träumend. Vor uns diese unfassbar große Bühne mit den großen Videoleinwänden, rechts die großartigste Stadt Europas, die wunderbare urbane Skyline der Architektur verliebten Spanier, dahinter in rot gefärbt der Sonnenunterganz hintere dem Tibidao. Mir kommen jetzt noch die Tränen und ich weiß genau, dass sich dieses Bild für immer in meinem Hirn abgelegt hat. Es war ein Moment von aller größter Zufriedenheit, von Glück und Frieden.
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei der besten Reisegruppe der Welt bedanken. Jungs, Miss Lomax! …ihr seid die größten, die loyalsten und lustigsten Menschen der Welt! Großer Freundeskreis blieb leider aus, hätte aber auch final das Gemüt gesprengt und wäre bei dem beschriebenen Umfeld wohl auch zu kitschig geworden.
Der Bibelspruch prangt von zwei mit Neonlicht beleuchteten Kreuzen. Der Rapper Pusha T. wird uns später selbstironisch fragen, wie wir den „supercoolensuperheldenhiphopshit“ finden? Bis dahin rappt sich der Mann aus New York die Seele aus dem Leib. Die Ausleuchtung der Bühne in rot und blau ist magisch, im Hintergrund steht der DJ, sonst nix, außer einem grandiosen Pusha T. in schwarz-silberner, enganliegender Samurai Uniform.
Pusha T. gehört zu den großen, kleinen Liveacts beim Primavera. Denn er spielt nur auf der kleinen Pitchfork Bühne vor ca. 4.000 Leuten. Erstaunlich! Denn eigentlich ist der Mann ein Weltstar, seit Jahrzehnten dabei und ist zudem Musikpräsident bei Kayne West Imperium G.O.O.D Music!
Einst wurde er von Pharrell Willams entdeckt, als die NEPTUNES für kurze Zeit die wichtigsten Produzenten der Welt waren. Ältere King Push Sachen sind daher auch echt recht komplex, gewollt kompliziert, aber auf der Suche.
Die derzeitige Rückbesinnung auf die gute alte Zeit des HipHops steht aber auch Push gut. Die aktuelle Welthitsingle M.P.A (Money, Pussy, Alcohol), zeichnet sich durch Minimalismus, Ironie und der rappenden Oberhand des durchaus sympathischen Pusha T. aus. Aber Push hat auch was zusagen und wenn er sauer wird und bissige Lines in bester PE Manier kickt, glaubt man ihm seine Wahrnehmung über das schwarze Amerika. Die einstündige Show lässt alle Zuschauer glücklich, tanzend und beeindruckt zurück. Auch hier muss man wieder vorsichtig sein, zu inflationär mit großen Worten um sich zu werfen. Vielleicht diesmal abgekürzt und pauschalisiert. Primavera hat schon immer ein Herz für den Hip Hop gehabt. Und die Spanier stehen drauf. Es ist sehr toll auf ein Festival zu fahren und sich zwischen unterschiedlichen Künstlern, aber auch unterschiedlichen Stilrichtungen zu entscheiden. Für Puristen ist das nichts. Da würde die Gitarrenfraktion die Nase rümpfen wenn King Push „my Name is Push and you are little pusher“ ruft, die Hip Hop Artists bei anderen Bands wohl direkt abhauen. Hier aber gibt es ein friedliches und völlig unaufgeregtes Miteinander. Und es ist ja nicht nur Pusha T. dagewesen, sondern auch der bald sehr weit nach vorne kommende Vince Stalples, Freddie Gibbs (Konzert leider ausgefallen), Jay Rock und eben die ab sofort von mir gekrönte White-Trash-Legende Action Bronson.
Ich kenne einen Menschen, der bereits bei der Künstlernamensgebung ACTION BRONSON in langfristige anhaltende Lachanfälle entgleiten wird. Und natürlich hat der Typ nicht die inhaltliche Stärke und freshness eines Pusha. T’s. Aber es ist egal! Denn ich bin stark alkoholisiert und will Spaß haben, tanzen und nicht keine weitere elegische Musik hören.
Die Primaverabühne ist wesentlich größer als die von Pusha’s Auftritt. Es warten bestimmt 15.000 Menschen auf den TV-Koch und Alleskönner.
Der DJ legt ne‘ Scheibe auf, scratcht etwas rum, heraus kommt ein Sample den alle kennen: Tequilla von den Champs.
Die Spanier sind sofort dabei! Was folgt ist eine fliegende Wasserflasche, gefolgt von einem sehr kleinen, sehr dicken Mann, mit Adidasschlappen und schwarzen Strümpfen, der sein Gesicht sehr tief in einem ca. 40 cm langen roten Bart parkt.
Der bekannte Sample des The Champs Klassikers steht ein wenig für den Hip Hop den der Sohn eines albanischen Immigranten und einer jüdischen New Yorkerin macht. Er rappt sehr schnell, legt offensichtlich wenig Wert auf Style, hat aber weiterhin lustige Samples und wir alle die da waren hatten genügend Partyverständnis um mit dem sehr unterhaltsamen Act umzugehen. Ich habe schon HipHop Konzerte gesehen, die wesentlich langweiliger und uninspiriert waren, denke kurz 4 Jahre zurück an den Wu-Tan-Clan, muss mich aber dann geirrt haben.
Überhaupt! Ich zerfalle in diesem Moment ein wenig! Der neue Rhythmus meines Lebens: Essen – Schlafen – Tanzen – Zurück gefällt mir zwar sehr gut, aber ich geb‘ es zu: ich müsste anders konditioniert sein, um es länger zu schaffen. Somit kaufe ich noch ein Lush T-Shirt für Mrs. Lomax als Mitbringsel und Textmarke für mich selbst, nächstes mal doch ein wenig mehr Bands zu sehen, aber in dem Tempo und gleichen der Attitüde.
“The happy times together we've been spending I wish that every kiss was never ending
oh wouldn't it be nice”
Aus dem Sauerstoffzelt
Alan Lomax
Brian Wilson - Bonn Museumsplatz - www.lomax-deckard.de
Copyright: Alan Lomax Foundation In Tagen wie diesen, wo Michael Jackson als das größte Popgenie aller Zeiten gefeiert wird, als Phänomen und mythologischer Songschreiber muss man sich fragen, o...
Love & Mercy - Bill Pohland - www.lomax-deckard.de
Brian Wilson ist für mich persönlich das größte Genie der Popgeschichte. Wenn man so will der Mozart unter den Einäugigen. Niemand schrieb schönere Harmonien, keiner arrangierte schöner und ...
http://www.lomax-deckard.de/2015/11/love-mercy-bill-pohland.html
Brian Wilson Reimagines Gershwin - www.lomax-deckard.de
Zu guter Letzt an diesem fabelhaften Wochenende mit zwei guten Filmen noch famoser PoP. Als Bewunderer von Sinatra habe ich mir oft und sehnlichst gewünscht, dass in der Folgezeit namhafte Musiker...
http://www.lomax-deckard.de/article-brian-wilson-reimagines-gershwin-57357754.html