DEPECHE MODE - Memento Mori World Tour - 20.02.2024 - Mercedes Benz Arena - Berlin

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  21. Februar 2024, 23:02  -  #Konzerte, #Popkultur, #Elektronische Musik, #Independent Musik

Bildquelle: Rick Deckard Foundation

Bildquelle: Rick Deckard Foundation

Am Ende der letzten Zugabe – Personal Jesus – rief Dave Gahan in der allerletzten Songzeile: „Reach Out And Touch Berlin!“ Er formte ein Herz aus seinen Händen und hielt es der begeisterten Menge mehrfach entgegen. Ich tat das gleiche.

 

Am Ende eines grandiosen Abends lagen Wehmut und Melancholie in der von Sounds gesättigten Luft, immer klarer keimte der Gedanke auf, dass dies eines der letzten Live-Konzerte der Band in Deutschland sein würde.

 

Daniel Miller behielt recht mit seiner berühmten Aussage, dass es sich bei Depeche Mode (DM) um eine „Außenseiter-Band für die Massen“ handelt. Gestern Abend in Berlin, als ich mich in der Menge umsah, kam mir dieses Zitat unweigerlich in den Sinn. Auch wenn die Mercedes Benz Arena ausverkauft war, war ich nicht vom Mainstream umgeben, hier wurden besondere Menschen Zeuge eines umwerfenden Konzertes mit einer Musik, die so im Mainstream nicht gespielt und gehört wird.

 

Die Bühne war bereitet, die Stimmung ausgelassen und fiebrig zugleich, die Herren ließen sich nach dem Opening Act (Humanist) bitten. Das Timing war perfekt, keine Sekunde zu früh, keine zu spät.

 

Nach dem – für mich – Meilenstein-Konzert der Memento Mori Tour 2023 im Olympia Stadion in München waren einige Monate vergangen, in denen ich nahezu keinen Tag ohne DM verbrachte, seien es Biografien, Bildbände oder die die Musik.

 

Boys from Basildon – Stars – Heroes.

 

Nach dem Intro, welches mechanisch-dröhnend die Luft in Schwingungen versetzte und zerschnitt, startete die Band mit zwei Songs aus dem neuesten Album, welches der Tour ihren Namen gab: MY COSMOS IS MINE gefolgt von WAGGING TONGUE. Zwei wunderbare Songs (bei denen sich – wie fast immer – die Analyse der Lyrics lohnt, insbesondere bei dem ersteren) die Gahan mit seiner unnachahmlichen Stimme intonierte.

 

Sowieso Gahan: Dave Gahan war in absoluter Topform, wie auch bei den zwei vorhergehenden Konzerten in Berlin, ein Profi durch und durch, dem man mehr als 40 Jahre Bühnenkarriere nicht anmerkte. Ich war zutiefst beeindruckt von seiner Physis und seiner Stimme, die immer noch kraftvoll ist, mit diesem so unverkennbaren Bariton und warmen Timbre.

 

Wieder und wieder feuerte Gahan das Publikum an und es zollte dem Leadsänger Tribut. Insofern er (laut einiger Pressezitate) bemängelt haben soll, dass das Publikum in Hamburg (Barclays Arena, 17.02.2024) bei EVERYTHING COUNTS viel leidenschaftlicher und frenetischer mitgegangen sei als in Berlin zuvor, so war das am gestrigen Abend nicht der Fall. Gahan bemerkte das.

 

Insofern DM musikalisch mit ihrem Album SONGS OF FAITH AND DEVOTION neue Wege gingen, so ist WALKING IN MY SHOES, welches folgte, so sind Album und Song der Anfang dessen, was sich im letzten Drittel der Karriere in Konzerten der Band seitens der Instrumentierung tat.

 

Nach dem Ausscheiden von Alan Wilder und dem tragischen Tod von Andrew Fletcher haben Schlagzeug und Gitarre einen Einstieg in die Live-Musik der Band gefunden. Nicht, dass beide Instrumente Fehl am Platze wären, nur war es eine Veränderung, die so zu Beginn der Karriere nicht zu erwarten war. Es war irgendwie amüsant aber auch befremdlich zugleich Martin L. Gore Gitarre spielen zu sehen.

 

Mit IT’S NO GOOD (ULTRA) und POLICY OF TRUTH (ganz großartiger Song!) heizte die Band die Arena auf.

 

It's just time to pay the price

For not listening to advice

And deciding in your youth

On the policy of truth.

 

Nach IN YOUR ROOM (SONGS OF FAITH AND DEVOTION) war es soweit. Nach den ersten Sekunden, Takten wusste die Menge sofort, was nun folgen würde:

 

EVERYTHING COUNTS (von dem Kult-Klassiker CONSTRUCTION TIME AGAIN). Würde man mich nach dem „Signature Sound“ von DM fragen, so würde ich diesen Titel nennen. Hier zeigte sich gestern, wie auch in München, dass das Schlagzeug durchaus seine (Live-)Berechtigung hat. Es kochte in der Mercedes Benz Arena und ich und tausende anderer waren im kollektiven Rausch. Was für ein Moment, gerade in der furiosen Kombination aus Synthesizer-Sound und Schlagzeug, dazu der wirbelnde Gahan auf der Bühne und das Video auf der grossen Hintergrundleinwand.

 

ENJOY THE M  U  S  I  C.

 

Nach SPEAK TO ME aus dem aktuellen Album, an dem auch Gahan mitgeschrieben hat, steuerte der Abend seinem Höhepunkt zu. Markus Kavka hat recht, wenn er sagt, dass es keinen Sinn macht, sich im Vorfeld Gedanken um die Set List zu machen, geschweige denn sich über diese aufzuregen. Der Abend zählt, die Überraschung, der Moment.

 

MUSIC FOR THE MASSES („Masses“ hat übrigens viele Bedeutungen!) ist für mich ein ganz besonderes Album, weil es voll ist mit betörenden Melodien und Hits, und weil ich mit Songs aus diesem Album auf einem Mix Tape um Mrs. Deckard geworben habe (Mix Tape = im analogen Zeitalter eine Play List auf einem Band). Auf diesem befand sich als erstes STRANGELOVE, dessen Text Mrs. Deckard (verständlicherweise) nicht nur ein wenig befremdete, dessen Melodie sie aber sofort ins Herz schloss.

 

„Mr. MARTIN L. GORE“:

 

Mastermind, Superstar, Genius.

 

Gore intonierte diesen wunderschönen Song als reines Gesangstück solo mit vermindertem Tempo und schuf dadurch eine besondere Atmosphäre. Ein Highlight und ein bewegender Moment zugleich. Was für ein Song, was für ein Text, was für eine Melodie!!!

 

I   L O V E   DEPECHE MODE. 

 

But when you think I've had enough

From your sea of love

I'll take more than another riverful

Yes, and I'll make it all worthwhile

I'll make your heart smile.

 

Es blieb keine Zeit um Luft zu holen, es blieb keine Zeit für Tränen, denn der legendäre Martin L. Gore setzte zum Triumph des Abends an:

 

Aus dem (sensationellen) Meisterwerk SOME GREAT REWARD (1984) gab er eine weitere Solo-Nummer:

 

SOMEBODY.

 

Einer der schönsten Love Songs, der je geschrieben wurde.

 

Ich wollte allen Emotionen an diesem Abend mit absoluter Kontrolle trotzen, einfach um keine Gefühle in der Öffentlichkeit zu zeigen, aber sie schafften es wieder, Martin L. Gore schaffte es wieder, DM berührten mich im tiefsten Inneren meiner Seele. Resonanz pur.

 

Was für Momente ... . Diese Melodie ... .

 

Ein zutiefst intimer Augenblick inmitten einer aufgeheizten Atmosphäre. Kudos Mr. Gore!

Bildquelle: Rick Deckard Foundation

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Der wunderschöne Song GHOSTS AGAIN aus dem aktuellen Album befreite einen fast aus diesem emotionalen Würgegriff, im Hintergrund lief dazu das Schwarz-Weiß Video mit unzweifelhafter Hommage an Ingmar Bergman, dem I FEEL YOU (SONGS OF FAITH AND DEVOTION) und A PAIN THAT I’M USED TO (PLAYING THE ANGEL, zu selten erwähntes Album nebenbei) folgten.

 

Interessanterweise war MUSIC FOR THE MASSES gestern Abend sehr häufig vertreten. Wer glaubte der Abend würde keine weiteren Highlights bieten, sah sich getäuscht. Überraschenderweise – und als Gedenken an Andrew Fletcher – folgte nicht WORLD IN MY EYES, wie 2023, sondern ein kompositorisches Monument dieser Band:


BEHIND THE WHEEL!

 

Live und so, wie gestern dargeboten, eine brutal-geile Wucht! Gahan live auf der Bühne am rotieren und im Hintergrund auf der Leinwand im jungen Alter in dem berühmten Video von Anton Corbijn. Der Song ist wie eine Spirale, ein Sog, hypnotisch, wild, gewaltig. Ich war von Sinnen und nicht in Berlin, sondern in einem Paralleluniversum.

 

Dem schloss sich ein Song an, der von der Band einzig als Liebesbeweis an die Fans verstanden werden kann, weil er vom Aufbau, der Musik, dem Tempo sich absolut nicht für eine Live-Performance eignet, BLACK CELEBRATION vom gleichnamigen Album. Ist der Song auf Platte einer der besten DM Songs überhaupt, so verflüchtigte sich gestern in den Weiten der Halle sein dunkler Zauber.

 

Gleiches gilt für einen weiteren Fan-Liebling: STRIPPED (BLACK CELEBRATION). Irgendwie passte der Song gestern nicht in das Gefüge.

 

Beide Songs, sowieso das ganze (geniale) Album, mit Ausnahme von A QUESTION OF TIME, sind eher etwas für die eigenen vier Wände, als die grosse, weite Welt.

 

Mit JOHN THE REVELATOR (PLAYING THE ANGEL) konnte ich mich bislang nicht anfreunden, einer der ganz wenigen Ausnahmen in dieser Hinsicht!, ging die Reise weiter.

 

Eine Offenbarung hingegen, ununterbrochen seit dem Erscheinen dieses Songs:

ENJOY THE SILENCE.

 

Diesen Song hätte ich mir gestern, in der ursprünglich von Gore mit deutlich langsameren Tempo und nur mit Gitarre gespielten Version, bevor Alan Wilder den Song mit dem berühmten Beat unterlegte, gewünscht.

 

Alle sangen mit.

 

Es folgten vier Zugaben:

 

WAITING FOR THE NIGHT (Gore und Gahan im Duo). Ein Song, den ich Abends, tief in der Nacht höre, sehr häufig, ein Song von einer ergreifenden Wahrheit und Schönheit, ein Song mit einer berührenden Melodie. SIGNATURE SONG! 


JUST CAN'T GET ENOUGH (Thinking Of You Vince!).

 

NEVER LET ME DOWN AGAIN (und wieder MUSIC FOR THE MASSES).


PERSONAL JESUS.

 

Reach out, touch faith.

 

Your own personal Jesus
Someone to hear your prayers
Someone who cares
Your own personal Jesus
Someone to hear your prayers
Someone who's there.

 

Kann man das Schicksal berühren?

 

Rick Deckard.

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