Was genau ist die Revolution? 'Il Mercenario' von Sergio Corbucci
Was an den Filmen, im weitesten Sinne 'Western', aus Italien immer faszinierend ist, sind die originellen Charakterzeichnungen und die Einfälle mit denen so virtuos jongliert wurde. Viele der Regisseure und Filme verlegten die Handlung in den Süden der Vereinigten Staaten in das Grenzgebiet zu Mexiko und die 'Revolution' war dafür ein stets solider und willkommener Rahmen. Bei diesem Film musste ich schmunzeln und herzhaft lachen und das nicht zu wenig.
Allein das Triumvirat der 3 Hauptdarsteller ist schon famos: Franco Nero, Tony Musante (!) und Jack Palance. Natürlich einer durchtriebener und unmoralischer als der andere. Sensationell die Historie der Hauptfigur Sergej Kowalski (!), der sich aus für den Zuschauer unerklärlichen Gründen von Polen nach Mexiko verirrt hat, sehr stylisch und souverän verkörpert von Nero, der im Film stets bei heissen Temperaturen einen Staubmantel und Krawatte trägt, sowie einen etwas untypischen Hut und einen insgesamt kultivierten Eindruck vermittelt in der Art wie er isst und redet. Vermutlich, seinen Handlungen im Film zu Folge, stammt er aus aristokratischen Verhältnissen und muss in der Vergangenheit einen hohen Rang beim Militär gehabt haben. Im Film heisst er nur 'Der Pole'. Als exaktes Gegenteil aus den Niederungen des Proletariats wird ihm Tony Musante gegenüber gestellt, der als schuftender Arbeiter in einer Silbermine die Ungerechtigkeiten nicht mehr ertragen kann und sich nolens volens zum Grossrevolutionär wandelt, im Film trägt er den Namen Paco Roman. Als dritter im Bunde mit schwarzen lockigen Haaren mimt der legendäre Jack Palance einen homosexuellen ehemaligen Priester (!), namentlich Ricciolo, der opportun jede Gelegenheit wahr nimmt um seinen Vorteil daraus zu ziehen.
Diese Mischung der 3 Charaktere sorgt für einige sehr belustigende und erheiternde Momente in dem Film. Nicht, dass man diese Konstellation schon früher einmal gesehen hätte, trotzdem wirkt das alles unverbraucht und frisch. Eine klare Unterscheidung zwischen 'Gut & Böse' gibt es ohnehin nicht. Franco Nero erzählt die Geschichte zu Beginn des Films als Rückblende. Er schliesst sich als Söldner den Revolutionären an und bietet ihnen gegen eine bestimmte Bezahlung seine Erfahrung und Dienste an. Das kumuliert dann in Action-Szenen mit viel Geballer und dem unvermeidbaren Maschinengewehr, ein Hang Out des Italo-Western. Aber die Action ist wohl dosiert und die Dialoge stehen gleichberechtigt im Vordergrund. Nicht selten hat man bei diesen Filmen den Eindruck, dass eine Spur zynischer Gesellschaftskritik in Ihr steckt. Und diese Kritik ist wenn man genau hinhört keineswegs oberflächlich oder reisserisch, sondern fundiert. An dem Drehbuch von Vincenzoni, Bolzoni und Spina war auch Corbucci beteiligt.
In der besten Szene des Films erklärt der Pole aka Nero Paco Roman aka Musante auf seine Frage hin die Revolution anatomisch an einem Frauenkörper mit folgender Erklärung:
Nero:"Stell Dir vor: Der Kopf, das sind die Reichen, die herrschende Klasse. Sie lassen alle anderen für sich schuften. Der Hintern dagegen, das sind die Armen. Die Klasse der Besitzlosen. Wenn die Armen nun eine ... sagen wir Revolution machen, dann wollen Sie mit Gewalt, dass der Hintern neben dem Kopf ist."
Paco:"Ja, das wäre natürlich schön. Aber wie bringt man den Kopf und den Hintern zusammen?"
Nero:"So eine glückliche Kombination gibt es normalerweise nicht, weil nämlich der Rücken, der so genannte Mittelstand dazwischen liegt und die Harmonie stört."
Paco:"Verstehe, die Reichen sind also nie am Arsch!"
Ich musste Tränen lachen. Ein Kult-Dialog und darüber hinaus grossartige Analyse.
Ebenso über eine der 'trashigsten' Schlägereien. Da sich beide Alpha Tiere um die gleiche Frau streiten schlägt diese einen Kampf vor. Nun gibt es ja virtuos gefilmte Fights in der Filmgeschichte, aber keiner ist so lustig wie in diesem Film. Es gelten keine Regeln und die Brutalität kennt bei aller Komik auch keine Grenzen. Grandioser Kampf.
Wie in vielen dieser Italo-Western üblich kommt es am Ende zu einem unvermeidbaren Duell, bei dem Nero eine ähnliche Rolle inne hat wie Clint Eastwood in 'Il buono, Il brutto, Il cattivo'. Palance, Musante und Nero stehen sich in einer Stierkampfarena gegenüber. Doch nach diesem Finale folgt noch ein weiters etwas explosiveres Ende. Die Musik von Ennio Morricone ist grossartig, bei diesem Film setzt er das menschliche Pfeifen perfekt als ein zusätzliches Instrument ein, garniert von viel Folklore, Songs und südamerikanischem Flair. Ideen- und Zitate-Weltmeister Tarantino verwendete jüngst diese Melodie für eine Szene in 'Inglorious Basterds'. Morricone verweigert Tarantino bis heute eine Zusammenarbeit.
Corbucci hat neben diesem Film einen weiteren meisterhaften Film gedreht, der mich als ich ihn das erste Mal sah ungemein fasziniert hatte, weil er den gesamten Mythos des Western vollkommen demontierte und das auf eine höchst deprimierende sowie düstere Art und Weise: 'Il Grande Silenzio' mit Jean Louis Trintignant und Klaus Kinski in den Hauptrollen. Neben diesem darf man natürlich den Klassiker 'Django' nicht vergessen, der eine Flut an Kopien nach sich zog, die aber alle dem Original nicht das Wasser reichen konnten.
Dass alle diese Filme in Europa Kultstatus geniessen kann ich absolut nachvollziehen und seit gestern ist für mich 'Il Mercenario' (Die gefürchteten Zwei) definitiv auch einer. Wie man im Booklet von Mike Siegel nachlesen kann machte Palance Corbucci zu Anfang enorme Scherereien am Set, bis dieser drohte ihn mit einem Backsein zu erschlagen. Nach der Drohung wurden beide beste Freunde und Corbucci verdiente sich bei Palance den nötigen Respekt. Parallel zu 'Il Mercenario' drehte Robert Mitchum einen Film in Almeria und Corbucci berichtet wie beide, Palance und Mitchum, sich jeweils immer nach Drehschluss trafen und das ganze in "schweren Besäufnissen und unvorstellbaren Schlägereien!" endete. Der als Volodymir Palanuk geborene Palance war ehemals ein erfolgreicher Profiboxer.
Rick Deckard