Vergessene Helden - Tom Scott (Target)
Heute möchte ich gerne Werbung für eine weniger gute Platte machen. Aufgenommen wurde sie 1983 von dem Saxophonisten Tom Scott.
Ich bin mir sicher, dass viele musikalisch Interessierte Menschen, die diese Seite lesen, ob sie nun Ahnung haben oder nicht, ob sie nun Jazzmusik mögen oder nicht, sich diesmal ausnahmslos einig sein werden: Target ist eine Konsensplatte des schlechten Geschmacks.
1984, als ich in meinem Jugendzimmer mit 14 Jahren saß ,auf einen Seitenarm des Mittellandkanals gesehen habe und mir die große weite Welt vorgestellt habe, hatte ich das natürlich anders gesehen und verstanden.
Wie ich zu der Platte gekommen bin, hatte ich bereits berichtet, http://lomax.over-blog.de/categorie-10864341.html. Nun an diesem Samstagvormittag bin ich also so weit es wieder zu versuchen. Die Scheibe läuft während des Frühstücks und während ich das hier schreibe bereits zum dritten mal.
Mein breites Grinsen wegen dieser Platte wird noch mal verstärkt, weil ich den wunderbaren Aufkleber „Full Digital Recording“ auf dem Plattencover entdeckt habe. Ich erinnere mich, das mein damaliger Nachbar und Mentor Atze Karla, mir die Platte von einer erstaunlich teuren und auffälligen Onkyo-Anlage aufgenommen hat. Sie klang wunderbar. Aus heutiger audiophiler Sicht leider nicht mehr.
Die Songs auf der Platte sind alle samt glatt, fürchterlich jazzpoppig (das Wort ist schlimm genug) und geprägt von einem katastrophalen achtziger Fusionjazz. Weitesgehend mit unmöglichen E-Drums und spektakulär unwohl klingenden Keyboards.
Trotzdem, die Scheibe macht Spaß und ist mehr als ein Erinnerungs bzw. Trasherlebniss der besonderen Art.
Tom Scott schien es egal zu sein, sich musikalisch korrekt zu verhalten. Er harmonisiert und will kommerziellen Erfolg. Zu der Zeit konnte er machen was er will. Denn er war einer der erfolgreichsten Produzenten und Komponisten Amerikas. Er spielte mit Steely Dan, Quincy Jones und Frank Sinatra. Hatte die Musik zu den Fernsehklassikern Starsky & Hutch und Die Strassen von San Francisco komponiert. So mit konnte er eine Momentaufnahme der US-Amerikansichen Musik des Jahres 1983 aufnehmen und in die vollen Greifen. So hört man bei Got to Get out of New York einen sehr schmutzigen Rapper. Bei Come Back to Me gibt es Soulpop und mit Burundi Bump nimmt er den damaligen Trend des Ethnopops auf.
Schon klar, aus heutiger Sicht, haben andere Knaben in dem Alter, Grandmaster Flash, Jesus & The Mary Chain und Joy Division gehört. Wie alle 14jährigen! Zumindest wird diese verwässerte Aussage, heute 25 Jahre später oftmals so dargestellt. Ich habe mit diesen Bands erst sehr viel später angefangen, nämlich als die Platten auch wirklich in Deutschland gab, Und ehrlich! Ich habe mich eben damals an diesen Sachen vor meiner kleinen Stereoanlage, kurz vor dem Seitenarm des Mittellandkanals, erfreut und träumte von Amerika. Eigentlich genau wie heute.
Obwohl die Platte heute, nicht mehr als ein musikalisches Relikt ist und zeitgemäß wirklich nicht mehr hörbar ist, so bin ich mir doch sicher, dass sie mein musikalisches Ohr geschult hat und mir eine Idee für gute Melodien mitgeben hat, die außerhalb der damaligen Popcharts lag. 1984 habe ich übrigens auch mein erstes Popkonzert besucht. Depeche Mode in der Eilenriedehalle in Hannover!
Alan Lomax