"Der Goldfinger des denkenden Mannes": IPCRESS-Streng geheim

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  28. Februar 2010, 17:00  -  #Filme

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So wurde damals für den Film geworben. Zunächst an die stylishen Nerds von heute: Michael Caine trug "eure" Brille bereits vor 46 Jahren. Wenn jemand wissen möchte was 'Anti' bedeutet, im filmischen Sinne, dem kann ich 'The Ipcress File' von 1964 unter der Regie von Sidney J. Furie empfehlen. 'Anti' ist aber keineswegs mit negativen Assoziationen behaftet. Harry Saltzman und einige andere des regulären James Bond Stabes wirkten mit an diesem Film, in dem Caine einen Mitarbeiter ihrer Majestät namens Harry Palmer darstellt, der für den Geheimdienst arbeitet.

Der Film beginnt mit einer Szene, die Erinnerungen weckt an die Eröffnung von 'Harper' mit Paul Newman in der Hauptrolle, der aber 2 Jahre später gedreht wurde. Die Kamera verfolgt Palmer bei seinen Morgenritualen. Exzellent angezogen und nach einem Kaffee verlässt der Mitarbeiter seine Wohnung um seinem Job, einer langweiligen Observation, nachzugehen. Von Beginn an wird dem Zuschauer vermittelt: hier gibt es keinen High Tech, keine Verfolgungsjagden, keine Promiskuität seitens des Hauptdarstellers, keinen Action-Overkill.

Nüchtern und präzise wird der Arbeitsalltag eines Agenten gezeigt, der auch mit viel "Papierkram", diversen Formularen und Schreibtisch-Arbeit verbunden ist. Es wird einem offensichtlich wie wirr die einzelnen Hierarchien sind und dass man niemanden trauen kann. "Abgehalfterte Majors" arbeiten nach ihrer aktiven Zeit beim Militär beim Geheimdienst und als Palmer versetzt wird bettelt er um eine Gehaltserhöhung. Über den Charakter Palmer selbst erfahren wir nur, dass er auf Grund der Gunst seines Chefs Col. Ross aus dem Gefängnis geholt wurde und dort verweilte, weil er "krumme Dinger in Berlin" am laufen hatte.

Die Handlung ist übersichtlich und eng an die politische Ära des 'Kalten Krieges' gekoppelt. Jeder gegen jeden und der meistbietende gewinnt. Ein Wissenschaftler wird entführt und es ist u.a. Palmers Aufgabe diesen wieder zu finden und die Ursache zu klären. Im Rahmen der Ermittlungen lernt der Charmeur und Pantoffelheld eine Mitarbeiterin kennen, wir verfolgen ihn beim Einkaufen in einem Supermarkt und beobachten seine Künste beim Omlett zubereiten zu der Musik von W.A. Mozart. Das ist der Alltag der Agenten, wenn sie nicht gerade Verbrecher mit allerlei Gimmicks um den halben Erball jagen. Einer unter vielen.

Die Verfilmung ist eng angelehnt an das Buch von Len Deighton, einen Schriftsteller anglo-irischer Abstammung, dessen Vater Chauffeur und die Mutter Köchin war. Ihr Interesse für kochen teilte der Junge und brachte auch zunächst ein Kochbuch heraus. Mit 'The Ipcress File' wurde er berühmt. Selbst aus der Arbeiterklasse kommend schuf er den Protagonisten seines Romans in Anlehnung an seine Herkunft.

Der Genuss bei diesem Film besteht darin den jungen Michael Caine bei seinem Spiel zu beobachten. Sarkastischer Humor, Schlagfertigkeit, Schnodder-Schnauze und eine Ablehnung gegen Obrigkeiten im Film zeichnen sein Spiel aus und er spielt diesen Anti-Helden perfekt ohne viel Aufhebens und Überzeichnung. Den Scheitel stets gezogen, die Hornbrille stilgerecht tragend und immer gut angezogen. Dem Zuschauer wird absolut keine Möglichkeit gegeben sich mit diesem Hauptdarsteller zu identifizieren, zu verschroben die allgemeine Attitüde zum Leben, zu unaufgeregt der ganze Lebenstil. Als Held mag man diesen Typus erst Recht nicht sehen. 

Aus technischer Sicht ist der Film für Menschen die ein fotografisches Auge haben oder selbst fotografieren eine Augenweide. Es gibt Dutzende von hoch interessanten und recht innovativen Kameraeinstellungen, schräge Perspektiven, Aufnahmen in der Rückansicht, ganz nah heran gezoomt oder extreme close ups. Die Ausleuchtung in vielen Szenen unterstützt diese mysteriöse und doppeldeutige Welt. Otto Keller, der tschechoslowakisch-britische Kameramann, gewann hierfür den British Academy Award. Weitere von ihm fotografierte und bekannte Filme sind 'Peeping Tom' und 'Der rote Korsar'. Die Musik wurde geschrieben von John Barry, der hier eine sehr düstere, geheimnisvolle und kalte aber auch melodische Musik schrieb, die perfekt die Bilder untermalt.

Es folgten 2 Fortsetzungen mit 'Finale in Berlin' (mit Paul Hubschmid, Eva Renzi und dem legendären Oscar Homolka in den Hauptrollen neben Caine) und 'Das Milliarden Dollar Gehirn', die beide auch erfolgreich waren. Bezug zur Popkultur: die Gruppe 'Madness' veröffentlichte eine Single mit dem Titel 'Michael Caine', das gleichnamige Video ist vom Film inspiriert. 'Ipcress File' reiht sich nahtlos in meine Sixties Bibliothek ein und wird sich sicherlich auch einer heimischen Wiederaufführung erfreuen, wenn mir der Sinn nach Style kommt.

Exzellenter Film.

Rick Deckard

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