Erinnerungen an Jean-Paul Belmondo
Ein Idol. Was versteht man unter diesem Wort? Gemeinhin versteht man unter einem Idol ein Vorbild, dem man große Bewunderung entgegenbringt.
Jean-Paul Belmondo war ein Idol.
Doch der Reihe nach. Meine Entdeckung und Wertschätzung des französischen Kinos ist sehr eng mit Jean-Paul Belmondo verbunden. Nach so vielen Jahrzehnten Verbundenheit und Leidenschaft für das Kino, ist es sehr schwer, sich daran zu erinnern, welchen Film man als erstes von wem wann sah. Nicht anders hier. Insofern mich meine Erinnerung nicht täuscht, waren es Claude Sautet und Jean-Pierre Melville, die mich diesem Franzosen näher brachten.
Es gab einmal eine Zeit, in der es nur 3 Fernsehsender gab und in dieser Zeit wurden Filme von Sprecherinnen angekündigt. Es folgten einige kurze Erläuterungen zum Film und seinen Darstellern sowie zum Regisseur. In dieser fernen Zeit begann die grosse Bewunderung für Belmondo.
Die französischen Regisseure wiederum waren Bewunderer der "Schwarzen Serie" Hollywoods, Fans von Bogart und Lorre, von Siodmak und Stanwyck, von Marlowe und Trenchcoats. Ich war es auch. Ich liebte Bogart und seine Coolness, Lorre (Kult!) und sein phänomenales Spiel.
Der Panther wird gehetzt von Claude Sautet! Was für ein Film! Was für ein "impact"! Zwar war der legendäre Lino Ventura Star des Films aber ein anderer raubte ihm die Präsenz und mir den Atem: Jean Paul Belmondo als Eric Stark. Wow!
Als Jugendlicher in der Pubertät ist man unsicher, orientierungslos. Belmondo, dieser - für mich - erste grosse Star des französischen Kinos, bot beides: Sicherheit und Orientierung. Warum? Es war seine Art zu schauspielern! Ähnlich den maulkargen Helden in den Italowestern "spulte" Belmondo "sein Ding" ab. Er war so unfassbar cool! Eigene Moral. Eigenes Ethos. Die Selbstsicherheit, mit der "Bebel" auf der Leinwand agierte empfand ich als phänomenal. So wollte ich auch sein!
Dieser Kleidungsstil, diese Lässigkeit, dieser Charme, diese Nonchalance!
Vom einem zum anderen. Ich wuchs auf in einer Zeit, in der es kein Netflix, kein Prime, kein Instagram, kein Internet gab. Um seinem Idol nachzueifern, musste man geduldig auf die nächste Präsentation seines Helden im Fernsehen warten, begierig in der Hörzu (!) nach Filmen mit ihm Ausschau halten, Bücher über Filme in einer Bibliothek ausleihen.
Die Supernova Explosion kam mit einem meiner absoluten Lieblingsregisseure des französischen Kinos: Jean-Pierre Melville. Der Teufel mit der weißen Weste haute mich um! Nie war Belmondo - zumindest in der Ausgestaltung ernsthafterer Rollen - besser als hier. Was für ein Film! Die Sequenz in der Belmondo bei strömenden Regen, mit Trenchcoat und Hut tief in die Stirn gezogen, bei Dunkelheit auf ein Haus zugeht, hat sich seitdem genauso unerschütterlich und tief in meiner Erinnerung verfestigt, wie die Sequenz in Psycho, in der Vera Miles auf das berühmte Haus zugeht! Die Tragik in der Rolle des Silien! Diese kaum spürbare Melancholie! Für mich ein Meisterwerk des französischen Kinos und einer der besten Filme mit Jean-Paul Belmondo!
Belmondo wurde für mich zum Idol und wer hat sie nicht, Idole?
Schauen sie sich dieses Bild oben aus Außer Atem an. Ob man diesen Schauspieler nun mochte oder verehrte oder auch nicht: Cooler gehts nicht mehr. Godard ist einer der ganz wenigen, wenn nicht der einzige französische Regisseur, mit dem ich "auf Kriegsfuß" stehe. Ich verstehe seine Filme nicht und ich mag sie nicht. So auch Außer Atem. Natürlich hat der Film eine filmhistorische Bedeutung, die sich mir aber bis heute nicht erschliesst. Sei es drum.
Jean-Paul Belmondo wurde durch diesen Film für mich zur absoluten Stilikone. Natürlich konnte ich mir weder solche Kleidung noch ein solches Gebahren leisten, aber das war mir egal.
Denken Sie wieder und wieder an David Lean: "Wir handeln mit Träumen".
Es war ein Rausch.
Ein Fest.
Parallel zum US-Amerikanischen Kino verfestigte sich die Leidenschaft für das französische Kino. Was für grossartige Filme aus der Grande Nation! Ich erinnere mich noch sehr gut: In der ARD gab es "Das Wort zum Sonntag" am Samstag Abend. Um 22:15 wurde zumeist ein Spielfilm im Anschluß gezeigt. Es waren meistens sehr gute, qualitativ hochwertige Filme. Week-end a Zuydcoote empfand ich als einen zutiefst beeindruckenden Film und aus der Bewunderung für Belmondo erwuchs die Bewunderung für einen weiteren ganz großen des französischen Kinos: Henri Verneuil. Ein Genie!
Dass Erinnerungen an ein Idol lebenslang anhalten äußert sich darin, dass man voller Freude entdeckt, dass ein Label die Filmmusik von Maurice Jarre eben zu diesem Film veröffentlicht(e), wie vor kurzem Music Box Records! Es sind schöne Momente, schöne Erinnerungen.
Ich liebte die Band U2. The Joshua Tree und Rattle & Hum sind für mich mit die schönsten Popmusik Alben der Geschichte. Ewige Longplayer. Immer dann, wenn Künstler, Musiker, Idole einen Image-Wandel vollziehen, bekomme ich große Probleme. Weniger mit dem Wandel, als mit meiner Einstellung. Ich kann es nicht verneinen: Es hing und hängt mir ein gewisser Konservatismus an. Egal ob U2 mit Achtung Baby oder Clint Eastwood mit Unforgiven. Ich brauch(t)e Zeit, um diesen Wandel nachvollziehen zu können, zu verstehen.
Merkwürdigerweise war das mit Jean-Paul Belmondo nicht so. Mitte der 60er Jahre vollzog auch er einen Wandel, von der Ernsthaftigkeit in die Komödie, langsam, kaum merklich, aber doch stetig zunehmend. Vielleicht war es dieser nicht so radikale Wechsel, der es mir erlaubte ihm zu folgen?
Ein Paradebeispiel dafür ist eines der Meisterwerke des französischen Kinos überhaupt: L`Homme de Rio (Abenteuer in Rio) von Philippe de Broca.
Der Film avancierte für mich von Null auf Hundert zum absoluten Kult-Klassiker. Ich wüsste nicht, wo ich mit meiner Begeisterung hier aufhören und wo enden sollte ... ! Was für ein Film ... ! Die Leichtigkeit, mit der Belmondo diese Handlung und die Probleme bewältigt, die Rastlosigkeit, die Hyperkinetik, die atemberaubenden Orte, geographischen Wechsel, das irre Tempo! Unfassbar! Hatte man so etwas schon gesehen? Nein! Jean-Paul Belmondo lief, sprang, schwamm, flog, kämpfte. Nichts, aber auch nichts ist für ihn unerreichbar. Dieser Optimismus, die Naivität, dieser unbändige Wille!
So wie Peter O' Toole als Thomas Edward Lawrence zum "Larger Than Life" Heroen avancierte, so wurde es Jean-Paul Belmondo als Adrien Dufourquet in Abenteuer in Rio.
Ich muss ein Wort aus dem Fußball bemühen: Weltklasse!
Es gab viel zu lachen. Louis de Funes eroberte die Leinwand. Das französische Kino entwickelte sich zumindest mit Jean-Paul Belmondo in Richtung Mainstream, oft gar Klamauk und es erstaunt mich im Nachhinein, dass ich auch bei diesem Wandel Belmondo treu blieb. Er war einfach zu gut. Ein Star. Ein Weltstar. Gérard Ourys Das Superhirn ist ein Beleg für diesen Cinemascope Irsinn. Grossartige Unterhaltung. Auch heute noch.
In den 70er Jahren folgten eine Reihe guter Filme, Komödien, wie auch Thriller und Kriminalfilme, in denen Belmondo seinem Image treu blieb, es aber auch mit Nuancen variierte. Es sind dies die Zeiten, die Jahre, in denen der Zuschauer aber auch der Akteur merkt, dass sein Zenit überschritten ist, unabänderliche Veränderungen eintreten, die sowohl dem eigenen Alter, als auch dem Zeitgeist geschuldet sind. Der Coup von Verneuil zum Beispiel ist ein Beleg für diese Ära. Der Film ist Trash, oder unfreiwillig komisch, wie ich einst in einem anderen Artikel schrieb.
Nichtsdestotrotz blieb Jean-Paul Belmondo im Rennen, ob mit Komödie, Action oder Thriller. Ob Le Magnefique, dem widersprüchlichen Angst über der Stadt oder Der Greifer. Er blieb präsent.
Nebenbei: Solche Karrieren sind heute nicht mehr denkbar. Oder können Sie mir einen Schauspieler, eine Schauspielerin ad hoc ohne nachzudenken benennen, der/ die in den letzten 10 Jahren 3 gute Filme gedreht hat?
Eine der schönsten und lustigsten Erinnerungen an diese Zeit ist der Film L'Animal (Ein irrer Typ) in dem Jean-Paul Belmondo vollkommen durchdreht und mit ihm alle anderen Beteiligten an diesem Film. Was für ein Spaß! Was für eine furiose Anarchie! Unvergessen die Sequenz, in der ein kleines Barock-Orchester im Film ohne Ankündigung die Titelmelodie des Films spielt, als Belmondo in einer Szene auftaucht. Sensationell!
Vive La France!
Vive la Jean-Paul Belmondo!
Der Profi wurde zu Beginn der 80er Jahre zu einem Profi auf der Leinwand und lieferte seinen letzten großen Hit ab. Der legendäre Ennio Morricone unterlegte den Streifen mit einer Melodie - die er eigentlich für einen anderen Film geschrieben hatte - die zum Welthit wurde. Selbst Menschen, die nichts mit Filmmusik anzufangen wussten, nannten die Single oder gar die Platte ihr eigen. Ein seltener Moment.
Morricone verewigte, wenn man so will, einen der grössten Superstars des Kinos im Olymp, und die Melancholie dieser Verewigung in der Melodie holt einen selbst jetzt noch ein, wenn die Erinnerungen wach werden an eines der ganz großen persönlichen Idole.
Alan Lomax schrieb mir neulich, dass diese Zeiten nie mehr kommen werden. Das machte mich traurig, aber er hat recht.
Gewisse Erinnerungen sind jedoch unauslöschlich, sie bleiben, für immer und mit ihnen die Bewunderung für so grossartige Schauspieler wie Jean-Paul Belmondo.
Ein Idol.
Ein Held.
Eine Legende.
Rick Deckard