Scarface - Brian De Palma

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  18. September 2011, 08:37  -  #Filme

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Was hält einen auf, sich die ganze Welt eigen zu machen? Nur der freie Fall.

Widerspricht sich in der Aussage, ist aber in einem Satz die Essenz des Gangsterepos aus dem Jahr 1983. Brian De Palma inszenierte den Film nach einem Drehbuch von Oliver Stone und lieferte mit diesem Thriller eine Blaupause für den Gangsterfilm der kommenden Jahrzehnte.

Der Film ist fulminant und mit ihm der Hauptdarsteller Al Pacino. Seine Darstellung des aus Kuba "emigrierten" Kriminellen, der in den Vereinigten Staaten zum Gangsterboss aufsteigt ist eine hochenergetische Leistung sondergleichen. Pacino trägt den Film in fast jeder Szene und zeigt sein ganzes Können als unterprivilegierter "Mensch aus der Gosse", der die Gelegenheit und die gesellschaftlichen Vorgaben nutzt um aufzusteigen. Die Art wie er spricht, auch seine Körpersprache und sein einfühlsames Spiel sind absolut bemerkenswert und nötigen fast zur Euphorie, v.a. im legendären Finale.

Dreh- und Angelpunkt des Films ist neben der Regie das Drehbuch von Oliver Stone, der in einem Special erzählt, wie er im Rahmen der Recherchen selbst dem Kokain verfiel, in dem es auch im Film geht, und nach Europa, Paris, reisen musste um Abstand zu gewinnen.

Das was solche Filme wie 'Scarface' ausmacht, ist ihre Vielschichtigkeit. Man kann den Film als Gangsterepos betrachten mit all seinen Elementen. Daneben zeigt er aber auch die Mechanismen des Kapitalismus und ist gerade in der heutigen Zeit aktueller als jemals zuvor. Natürlich kann der Film eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema Kapitalismus nicht ersetzen, aber sehr plastisch werden beiläufig die Mechanismen gezeigt, aber auch die "Nebenwirkungen".

In einer sehr schönen Szene sieht man Pacino gen Himmel blicken, als dort ein Zeppelin ein Werbebanner laufen lässt mit dem einleitenden Satz "The World Is Yours". Dieser Satz wird fortan zum Leitsatz des Gangsters. Mit Skrupellosig- und Zielstrebigkeit baut sich Tony Montana, so Pacinos Name im Film, ein Imperium auf, weil er schnell erkennt, wie man zu Geld kommen kann. Basis dieses Erfolges ist der Handel mit Drogen, vornehmlich Kokain. Faszinierend wie Stone und De Palma anhand dieses Modells zeigen, wie "der Markt" funktioniert, mit all seinen einzelnen Bestandteilen.

In heutiger Zeit nach dem Immobilien-Skandal in den Staaten und dem Börsencrash weltweit wirkt der Film wie eine Allegorie und sowohl dem Regisseur als auch dem Drehbuchautoren muss man rückwirkend grosse Weitsicht attestieren. Insbesondere der Aspekt der Gier wird überdeutlich im Film thematisiert. Es gibt einige wunderbare Dialoge im Film, die sich fortan einprägen werden.

Neben diesen Aspekten ist 'Scarface' aber Kino in absoluter Reinkultur und es hat grossen Spass gemacht diesen Film gestern wieder zu sehen. De Palma (ein "Lieblings"regisseur von mir und Mr. Lomax) ist einer der wenigen Regisseure, die es verstehen Kino auf einem Niveau zu zelebrieren, welches sowohl das Feuilleton befriedigt, als auch den klassischen Kinogänger. Das beweist er mit diesem Film. Er hat enormen Unterhaltungswert, ist ausserordentlich packend und grosses, episches Kino mit vielen aussergewöhnlichen Momenten. Dazu trägt auch die wunderbare Kameraarbeit von John A. Alonzo bei, mit scharfen, präzisen, bunten und leuchtenden Bildern, sowie berauschenden Totalen und langsamen, langen Fahrten. Was für ein optischer Genuss! Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg auch die Musik von Giorgio Moroder. Normalerweise lehne ich synthetische Filmmusik ab, aber in diesem Fall muss man es Moroder wirklich hoch anrechnen, dass er mit seinen Klängen und Tönen aus den Keyboards die perfekte musikalische Untermalung für den Film schuf. Eine sehr dichte, passende und atmosphärische Musik, die einen dunklen Schleier über den Film legt.

Ein weiterer Aspekt, der mir bisher so nicht bekannt war: Der Film ist absoluter Kult in der Hip Hop Szene. In einem weiteren, sehr aufschlussreichen Special erklären Def Jam und andere bekannte Hip Hop Grössen, was den Film für sie so besonders macht. Grosse Szenen, grosse Sätze.

Zuletzt sei noch auf jemanden hingewiesen, der wie viele andere in Vergessenheit geraten ist: Howard Hawks, einer der wirklich besten Regisseure aller Zeiten und einer der vielseitigsten, der in fast jedem (!) Genre einen Klassiker schuf. De Palma widmet diesen Film Hawks und seinem Drehbuchautoren Ben Hecht, die 1932 (!) mit dem gleichnamigen Film mit Paul Muni in der Hauptrolle die Vorlage lieferten. Wer diesen Schwarz-Weiss Klassiker nicht kennt: Unbedingt ansehen!

De Palma verbeugt sich vor diesem Meister, ich tue das auch.

Ein Hoch auf die Schauspielkunst und Al (!) Pacino.

@ Alan Lomax: Wenn Sie Zeit haben: Ein Muss! Ist gerade in einer neuen Edition erschienen.

Rick Deckard

 

 


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