Rocky - John G. Avildsen

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  2. April 2011, 09:51  -  #Filme

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Vielleicht liegt es daran, dass ich seit Wochen keinen Film gesehen habe. Serien, private Dinge, Beruf, Musikabende mit mir selbst, Bücher und andere Ablenkungen habe mich von meiner liebsten Leidenschaft getrennt.

Nach solchen Durststrecken ist dann immer ein Fest, für meine Seele, einen Kinofilm zusehen. Dass es nun ausgerechnet "Rocky" (USA 1976 Regie John G. Avildsen) war, lässt sich wie folgt belegen: Schon immer war ich großer Boxfan. In den siebziger Jahren haben mich mein älterer Bruder und mein Vater zu nächtlichen Zeiten aus dem Bett gerissen, um uns gemeinsam Kämpfe von Muhammad Ali anzusehen. Dies wurden damals vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen live übertragen. So kann ich mich z. B. an die letzten Kämpfe des Sportgenies gegen Leon Spinks erinnern. Den ersten Kampf verlor Ali in Las Vegas, im Herbst des gleichen Jahres holt er sich dann nach 15 Runden seine Ehre zurück und boxte Spinks in New Orleans nieder. 

Solche Ereignisse sind für einen kleinen Jungen anstrengend, aber auch aufregend. Weil man auf einmal in die Welt der Erwachsenen eintaucht, deren Realität sieht, aber nicht versteht, worum es geht. Man will mithalten, schreit, jubelt und weint, wenn es die älteren Menschen auch tun. 

Später habe ich einige Boxkämpfe in Hannover gesehen, die ich aber weites gehend vergessen habe. Was ich aber nicht vergessen habe, sind Besuche in Boxbuden auf Rummelplätzen. Dort boxen meist irgendwelche Ex-Semi-Profis aus Russland oder Polen für nen' Fünfziger gegen Besoffene Großstadtrocker. Das ganze riecht nach Muff, Dreck, Blut und eben Rummelplatz. Und ich habe regelmässig die Weltmeisterschaft im Catchen auf dem Schützenplatz in Hannover gesehen. Boxfans und Liebhaber werden nun die Nase rümpfen, denn diese Veranstaltung ist wahrlich verwunderswert gewesen. Ich muss da mal etwas nach recherchieren und werde da mal ein gesonderten Eintrag zu schreiben. Im Kern war es aber auch der Grund, warum ich Boxen heute immer noch gerne mag. Es ist dieser Geruch des Ehrlichen (Kampf Mann gegen Mann) und die gleichzeitige Betrugsstimmung. Das Wetten klar, das Geld, die Faszination der Halbwelt und des Milieus, aber auch die einzigartige Möglichkeit für die Legendenbildung.

Kaum jemand der mich kennt, wird wissen, dass ich im Herzen, aber ehr ein Box-Ästhet bin. Nächte habe ich bei Olympiaden zugebracht und habe mir Amateurkämpfe angesehen. Auch fasziniert von dem technischen Aspekt des Sports, der Leichtigkeit des Tanzes und der Vielzahl der Möglichkeiten des Schlages. Mein Mentor war dabei über Jahre der österreichische Kabarettist und Sportkommentator Werner Schneyer. Der die Philosophie des Sports, die Lyrik des Dramas und der Halbwelt und die Technik des Boxsportes, wie kein anderer verstanden hat. Alles was ich über das Boxen weiß, weiß ich von ihm. Das kann man so sagen.

Nun finde ich es also keineswegs zu früh meinen acht jährigen Sohn für diesen Sport zu begeistern. In Zeiten, wo man gegen schlechte Wettkämpfe von Wrestlingmenschen aus den USA kämpfen muss und erzieherisch oftmals an öden und brutalen Gewaltdarstellungen scheitert, die von allen Seiten auf einen kleinen Jungen im Jahre 2011 einprasseln, kann es aus meiner Sicht nur gut sein, ihn frühzeitig in einen richtigen Sport inhaltlich einzuführen, um zu vermitteln, dass es letztendlich nicht die Gewalt ist, die in der Faszination des Kampfes liegt, sondern die Idee, sich zu messen. Und zwar auf mentaler und körperlicher Ebene. Hört sich etwas martialisch an, ist aber -wenn man drüber nachdenkt- durchaus geistig gemeint. So haben wir gemeinsam vor zwei Wochen den Kampf Klitschko gegen Solis gesehen. Dieser wurde nach einigen Sekunden abgebrochen, weil Solis sich verletzte und es nach einem Niederschlag von Klitschko so aussah, dass er ihn K.O. boxte. Das war natürlich zeitlich gesehen, wenig Boxzeit, aber trotzdem hatte der Kampf, alles was zeitgemässen Boxsport ausmacht. Dramatik, ein perfekt aufgebautes Rededuell im Vorfeld, Gut gegen Böse und ja auch (und so ist im Boxen immer) schwarz gegen weiß. 

Einige Tage später nach dem Kampf, fragt mich mein Sohn nach einem Film der übers Boxen handelt. Ich nannte ihm ca. zwanzig Beispiele, entschied mich dann gestern aber für Rocky. 

Und zwar aus dem Grund, weil er am besten, den sozialen Faktor des Boxen erzählt. Die Underdoggeschichte einerseits, aber auch den Willen, etwas zu erreichen und die Tatsache, dass das Böse nicht immer das scheinbar Böse bzw. das Gute nicht immer das scheinbar Gute ist. Denn wir dürfen ja nicht vergessen, dass Rocky, als Geldeintreiber für einen Capo arbeitet! Ein moralischer Witz von mir? Nicht wirklich, denn schliesslich geht es auch um die Sicht eines achtjährigen, der nicht alles versteht!

So viel dazu! Der Film ist eine cineastische Wucht. Normalerweise bin ich kein Freund vom Realismus, aber wenn es einen kommerziell gewordenen amerikanischen Film gibt, der das meisterhaft umsetzt, dann ist es Rocky. Man darf auch nicht die Zeit vergessen. Schliesslich lieben wir meist Filme von den Meistern des "New Hollywood" und vergessen dabei oft, dass es auch ein anderes Kino gibt. In allen Abhandlungen über das neue Hollywood der siebziger Jahre, wird Rocky nicht erwähnt. Weil er eben nicht aus dem intellektuellen Staub, eines Scorsese oder Cimino entstanden ist, es trotzdem aber im Geiste ein Autorenfilm ist.

Rocky funktioniert über 30 Jahre später immer noch. Der Film ist ein zeitloses Meisterwerk. Stallone spielt den italienischen Hengst furios, ebenerdig und glaubwürdig. Talia Shire (Schwester von Francis Ford Coppola), liefert in der merkwürdigen Rolle der Adrian Balboa, die zweitbeste weibliche Schauspielleistung der siebziger Jahre ab. Überhaupt sind alle Nebenrollen grandios besetzt und sind wohl auch ein perfektes Abbild der Gesichter dieser Zeit in dem prekären Milieus. Allen voran muss da unbedingt die unvergessliche Leistung von Burt Young als Paulie Pennino genannt werden, dem Schlachter, der sich auch mit Werbung auskennt! 

Rocky ist ein von mir unterschätzter (jetzt nicht mehr!) Film gewesen. Die Echtheit des Films, die Wahrheit der Kamera, der Schnitte, der Boxsequenzen, die tolle Musik von Bill Conti und der meisterliche Schwenk zum Epos auf den Stufen des Philadelphia Museum of Art sind genial. Überhaupt könnte man bei dieser einzigartigen Sequenz sagen, dass da die ganze Kraft des Medium und der Kunstform Kino drinsteckt. Der wahrhaftige Höhepunkt. Ich bin im Rausch des Filmes gefangen und unterbreche jetzt lieber, sonst schreibe ich im Wahn Dinge, die ich vielleicht nach ein paar weiteren Filmen, bereuen werde. Schliesse aber mit der Geste, die Arme jubelnd in die Höhe zu strecken. 

Alan "Underdog" Lomax

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