Micmacs – Uns gehört Paris – Jean-Pierre Jeunet

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  24. Januar 2011, 10:39  -  #Filme

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Dieser Jean-Pierre Jeunet muss ein seltsamer Typ sein. Wenn man sich seine Filmografie so betrachtet, denkt man aufgrund der Originalität seines Werks ehr an einen Typen der Aussieht wie Burton oder vielleicht etwas noch etwas verhuschter. Im Making Off… zu seinem neusten Werk Micmacs kann man ihn dann bei der Arbeit beobachten. Ehrlich gesagt, die Enttäuschung ist groß. Jeunet sieht ehr aus wie der Chef einer Sicherheitsfirma oder wie der zweifelhafte Gebrauchtwagenverkäufer aus dem Vorort.

 

Innerhalb von 20 Jahren hat Jeunet nun 6 Filme gedreht. Das ist nicht besonders viel. Berücksichtigt man aber die Detailtiefe seiner Werke und den Ideenreichtum ist es ehr glaubwürdig, dass vieles aus seiner eigenen Feder stammt und er nicht als Marke benutzt wird, für den in Wirklichkeit mehrere Schreiber und Redakteure arbeiten.

 

An Delicatessen kann ich mich noch dunkel erinnern. Anfang der neunziger Jahre bin ich noch hin und wieder in sog. Programmkinos gegangen. Szenenmenschen benutzen heut zu tage gerne das Wort Off-Kino. Ein durchtriebener, böser, aber auch faszinierender Film, weil er bis heute einen sehr skurrilen Eindruck hinterlassen hat. Die Stadt der verlorenen Kinder habe ich nicht gesehen. Über Alien – Die Wiedergeburt sollte man noch einmal streiten. Die Filmreihe steht sowieso ganz oben auf meiner Wunschliste. Jeunets Version von 1996 wurde von Fans weitestgehend abgelehnt. Ich kann mich wenig an die Zusammenhänge der gesamten Story erinnern, weiß aber, dass „Die Wiedergeburt“ visuell und optisch ein Highlight war.

 

„Die fabelhafte Welt der Amélie“ ist ein Geschenk ans Kino. Jeunets vorläufiges Meisterwerk. Man kann dem Film eine gewisse Verspieltheit, großen Kitsch und eine verschönte Darstellung der Stadt Paris vorwerfen. Aber einem gewissen Charme kann man diesem Streifen nicht absprechen Wenn man die Seele der Franzosen etwas kennt, kann man sicherlich verstehen, warum dieser viel für soviel Aufregung gesorgt hat. La Grande Nation war begeistert auch über die süße Audrey Tautou.

 

„Warum drehst Du einen Film ohne mich“ sagt diese dann auch zu Jeunet, als sie zufällig am Set von MicMacs erscheint, weil sie in der Nachbarschaft wohnt. Niedlich! Hört sich etwas albern an, aber anders lässt sich das kaum beschreiben.

 

So ist sie dann auch in „Mathilde – Eine große Liebe“ zu sehen. Ein Film über den Ersten Weltkrieg, der insbesondere den deutsch-französischen Stellungskrieg thematisiert. Auch hier glänz eine wunderbare Tautou und Jeunets großes Talent zur außer gewöhlichen Visualisierung. Es fällt schwer dem Film etwas vorzuwerfen, da er einen fast 2 Stunden lang fesselt. Merkwürdiger Weise bleibt er trotz allem nicht im Kopf verankert. Was vielleicht daran liegt, dass Jeunet immer etwas zuviel will. Die Rückblenden, Ritte auf den Zeitachsen, der Humor, aber auch die Poesie die in dem Streifen stecken, sind einfach zuviel. Man kann daraus vielleicht lernen, dass auch ein Film ab und zu mal auf die Bremse treten muss, damit der Zuschauer noch etwas checkt.

 

Es gibt analog zu diesem Film auch ein Beispiel aus dem Fernsehen. Die vergessene Serie „Pushing Daisies“ kommt ähnlich vertrackt her. Sympathisch, schnell, charmant, vielseitig, aber es ist einfach zuviel des Guten. Irgendwann wird es einfach nur noch wirr, man kann nicht mehr folgen und langweilt sich.

 

Mit Micmacs ist genauso. Wieder einmal, allerdings kommt hier erstmals die Komponente der Langatmigkeit hinzu. Ein neuer Faktor in dem Werk von Jenuet, der mich einwenig bedenklich stimmt! Worum geht es:

 

Bazil (gespielt von Dany Boon Frankreichs neuer Comedystar) hat eine tragische Vergangenheit. Früh hat er seinen Vater verloren, der bei dem Versuch eine Landmine zu entschärfen gestorben ist. Sein Leben ist fortan schwierig. Der Regisseur erzählt uns das in 3 Minuten. Typisch für Jeunet. Als Erwachsener wird Bazil bei einer Schiesserei unbeteiligt verletzt. Eine Operation wird kompliziert. Der Chirurg entscheidet dass die Kugel in seinem Kopf bleibt. Das Leben von Bazil nimmt wieder eine Wende. Er verliert alles und freundet sich mit einer Gruppe von Clochards, die unter einem Müllberg mitten in Paris leben. Jeder Clochard hat eine Begabung. Die Gruppe von Superhelden hat sich gefunden, um gegen zwei miese Waffenhändler einen Krieg zu führen. Es sind die Waffenhändler die für den Tod von Bazils Vater verantwortlich sind und letztendlich auch die Kugel im Kopf hergestellt haben. Ein wahnwitziger Plan wird verfolgt, der in den besten Momenten an einen guten Heist-Movie erinnert.

 

Für Kinofreunde ist der Streifen dann auch ein Ritt durch die Filmgeschichte. Es gibt wunderbar poetische Anspielung an Charlie Chaplin und Jaques Tati, offensichtliche Anspielungen an „Spiel mir das Lied vom Tod“ und wunderbare stilistische Anspielungen an alte Filme aus Paris (von Franzosen).

 

Jeunet sollte man weiterhin beobachten, aber nicht zu sehr loben. Künstlerisch ist er durch und durch. Ein Attribut, welches für einen französischen Filmemacher wichtig ist. Weil Kunst für ihn wichtig ist. Sonst hätte Junet nicht die Regie zum fünften „Harry Potter“ Film abgesagt. Geld und Ruhm scheinen ihm nicht wichtig zu sein. Selbstbestimmungsrecht bei Dekorationen und visuellen Visionen schon. Das war zumindest der Grund seiner Absage.

 

Nun steckt er aber tief in einer künstlerischen Krise. MicMacs deutet an, dass er zuviel will, übertreibt. Er muss sich stoppen, sonst gerät er in Gefahr ins unbedeutsame abzurutschen.  Mir fällt dazu auf Anhieb Terry Gilliam ein. Der auch ein großer phantasievoller Erzähler ist, aber zum Schluss in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht ist.

 

Ich wünsche mir einen kleinen dramatischen Film von Jeunet, an dem er beweisen kann, dass doch ein großer Filmemacher in ihm steckt. Ich wünsche es ihm zumindest. MicMacs bleibt ein Film den man sehen kann, weil er unterhält, aber nicht sehen muss, weil er leider nur durchschnittlich ist. Zumindest für das Verhältnis zwischen Jeunets Talent und dem europäischen sonstigem Kino!

 

Alan Lomax

 

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