Kennen Sie Kino? ...oder warum mit den Filmen AVATAR und INGLOURIOUS BASTERDS wieder ein Stück Kino stirbt!

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  31. Januar 2010, 13:21  -  #Filme

10 Jahre lang (1971 – 1981) stellte der Moderator, Schauspieler und Synchronsprecher Hellmut Lange in seiner Quizshow die Frage: „Kennen Sie Kino ?“

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Seit Jahrzehnten vermeide ich es mich selbst als Cineast zu bezeichnen, da ich finde, dass es mühsam ist, sich selbst mit Titeln zu schmücken. Trotzdem gibt es zwei Sorten von Kinogängern: Den Filmkonsumenten und eben den Cineasten, der sich auch für den Diskurs interessiert. Also, nicht nur die pure Unterhaltung sucht, sondern auch die Filmkultur betrachtet. Nun sagt man Cineasten gerne nach, dass sie sich nicht eingehend mit Mainstreamfilmen beschäftigen sondern mit Filmen die bei Festivals und unabhängigen Studios keimen. Eine unkorrekte Betrachtung, denn Kino ist für alle da!

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Seit dem der Film AVATAR so erfolgreich ist, unterhalten sich Menschen an Versammlungsstätten wieder über das Kino. Erst kürzliche erzählte mir eine Auszubildende, dass AVATAR der wohl beste Film aller Zeiten sei. Ich war erstaunt über die Aussage, da ich soviel Leidenschaft von einer zwanzigjährigen nicht erwartet habe. Euphorisiert, fragte ich sie direkt, welches aus ihrer Sicht, der beste Film aller Zeiten war, bevor AVATAR in den Kinokomplex um ihrer Ecke kam. Schockierte blaue Augen sahen mich an, kurze Atempause, das folgende HERR DER RINGE war vorprogrammiert. 

Nur eine Woche später, habe ich eine neue Kollegin bekommen. Nach ein paar Tagen sind wir ins Gespräch gekommen und sie erzählte mir, dass ihre Leidenschaft das Kino ist. Famos dachte ich, endlich ein kollegialer Gesprächspartner. Erneut euphorisiert, fragte ich sie nach ihrem Lieblingsfilm. Die enttäuschende Antworte war ebenfalls vorprogrammiert: „....,dass kann ich so nicht sagen und da habe ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht!“  Eine vermeidlich philosophische Antwort? Wohl kaum, da sie weder, die von mir aufgezählten Klassiker aus der goldenen Zeit kannte, noch die einigermaßen bekannten Filme der letzten Jahre. 

Quentin Tarantino kennt wohl jeder, der im heutigen Popstrom unterwegs ist. Ein Massenphänomen und heiliger Kral für Umhängtaschen tragende Hedonisten mit popkultureller Halbbildung. Einer der wichtigsten Filmemacher der letzten 20 Jahre, der es geschafft hat, mit Zitaten und extrem viel Filmwissen, zentrales Kino zu veranstalten. PULP FICTION ist sozio-kulturell gesehen, einer der wichtigen Meilensteine der Kinogeschichte. Tarantino hat den nach Ewing besonderen definierten Luxusstatus, dass er machen kann was er will. Ist er aber mit I.B. zu weit gegangen?

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Das breite Publikum urteilt niemals nach dem Autor oder dem Schauspieler. Es glaubt an Sie. 

Und genau hier liegt der wirkliche Grund dafür, dass ich mit beiden Filmen meine Schwierigkeiten habe. Beide Filme kommen ohne irgendeine moralische oder soziale Idee aus. Allerdings kann man ihnen eine gewisse Leidenschaft nicht absprechen. Vorprogrammiert ist somit, dass beide Streifen, bei dem exklusiven Publikum der Cineasten schlecht wegkommen. 

Womit wir direkt bei meinem aktuellen Dilemma sind: Ich mag eigentlich keine Elite, kein Tribunal, das befinden könnte, was ein Film auf seinem langen Weg auslösen wird.  Die einzige Instanz für einen Film wird sein Stil sein und die Kraft seines Ausdrucks. Alles andere wird niemals jemand schlüssig erklären können. 

Der Poet und Filmemacher Jean Cocteau brachte es einmal auf den Punkt:„Ich bin jedes Mal sehr erstaunt, wenn ich höre, wie leichtfertig über die Poesie im Kino geredet wird, über das Wunderbare im Kino, und besonders über die „Ablenkung“ – ein modischer Ausdruck, der besagen soll, dass das Publikum sich selbst zu entfliehen sucht, während uns doch die Schönheit in all ihren Formen zu uns zurückbringt und uns in unserer Seele den Rückhalt finden lässt, den oberflächliche Menschen anderswo zu finden hoffen.“

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Diese Ablenkung, die Kritik gewöhnlich mit einer inneren Bereicherung verwechselt, kann eine ganze Jugend möglicherweise auf den falschen Weg bringen – eine Jugend, die, „die teure Feder des Kinos in der Hand nehmen und sich mit der Tinte des Lichts artikulieren will.“ Beiden  Blockbustern kann man genau diesen Vorwurf machen! Sie bringen eine ganze Generation vom richtigen Weg ab. 

Je länger ich über beide Filme nachdenke, desto mehr bemerke ich, dass Filme die auf eine intime, bekennende und realistische Weise wirken und uns nicht vom richtigen Weg abbringen, die Filme sind, die mich in den letzten Jahren begeistern haben. 

Die Rolle des Publikums ist außerordentlich groß und ein Film wie AVATAR weckt offensichtlich die Schläfer auf. 

Bei dem Tarantino Streifen wird der Schläfer = gemeiner Kinogänger in die Kunst des Kultes eingeweiht. Umhängetaschen werden im übertragenden Sinne vermehrt verkauft und bald werden nur noch Filme von einer verhängnisvollen Vulgarität hergestellt werden. Ebenso wie I.B. einer ist. 

Heute liegt mir nicht so sehr die Kraft des Ausdrucks am Herzen, sondern die Überlegung zum Status Quo des Kinos. 

Das Ende des Kinos haben wir noch nicht erreicht, aber mit diesen beiden Filmen haben wir einen weiteren Wendepunkt, hin zu einer noch undurchsichtigeren Entwicklung der Kunst- und Unterhaltungsform Kino erreicht. 

Ich glaube an die Schönheit des Kinos! Schönheit entsteht aus Beziehungen. Ihr Reiz liegt in einer besonderen Wahrheit. Die Kritiker haben keine Macht mehr! Ein erfolgreicher und dann vermeidlich guter Film wird durch das Marketing entschieden. Das Volk glaubt was es im Vorfeld sieht und lässt sich bei der anschließenden Kauf(Seh-)bestätigung nicht beirren. AVATAR ist der erfolgreichste Film aller Zeiten, also ist er auch der beste. Tarantino ist Kult, dass sagen alle, also stimmt es! So banal, aber auch so gefährlich sind die Gleichungen und Gesetze für den Kinogänger. 

In der Sozialpsychologie nennt man das „kognitive Dissonanz“. Die positiven Aspekte eines mittelmäßigen Film werden verstärkt, während die negativen Teile verdrängt werden. 

Kürzlich habe ich über die Nouvelle Vague geschrieben. Ein Credo der Herren war, das Kinopulikum ebenso zu erziehen wie das Publikum, das eine Gemäldeausstellung besucht. Mit AVATAR und I.B. wurde nun erreicht, das sich das ganze Publikum den schlechten Gewohnheiten der Produzenten, der Verleiher und der Kinobesitzer unterwirft. 

Lieber Leser -und ich bin mir sicher, dass es nur noch einer ist;-)- die geschrieben Worte sind nur eine Überegung, kein Manifest! Ich bin unsicher geworden, wie ich das zeitgenössische Kino verstehen soll. 

Oftmals sehne ich mich nach den Zeiten zurück als wir die Belmondo-, Bond-, Spencer/Hill- und de Funes-Filme im ollen Schachtelkino am Hauptbahnhof gesehen haben. Das war kurz nach der Zeit als Hellmut Lange in seiner Sendung die entscheidende Frage: „Kennen Sie Kino?“ gestellt hat und wir uns einfach nur unterhalten lassen wollten. 
Siehe auch: http://lomax.over-blog.de/article-erinnerungen-39239166.html
Alan Lomax


 

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