Inglorious Basterds - Ein Kommentar

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  31. Januar 2010, 15:12  -  #Filme

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Mr. Lomax!

Ich denke es gibt diverse Gründe, warum das zeitgenössische Kino nicht unseren Vorstellungen entspricht. Ich habe Avatar noch nicht gesehen, aber Ihre Argumentation ist vollkommen schlüssig und entspricht der Haltung des aktuellen Kinogängers: Schein vor Sein. Ich habe unabhängig von diesen Filmen in vielen Foren die Beobachtung gemacht, dass gerade die jüngere Generation (16-30 Jahre) grossen Wert auf Schauwerte legt und nicht mehr dem Leitsatz folgt, dass die Geschichte alles ist. Ich war überrascht das zu lesen, denn vielen dieser Schreiber ist der letzte Teil des vorausgehenden Satzes inhaltlich sehr wohl bewusst. Aber im Kino mit seinen visuellen Schauwerten wird Wert gelegt auf Bilder und Unterhaltung zu Popcorn und akustischem Krawall. Wenn man die Filme der letzten Jahre sorgfältig gesehen und sich Gedanken darüber gemacht hat erkennt man, dass der Anspruch langsam aber stets gesunken ist und die Filme, die die Jahrzehnte überdauern werden in den aller meisten Fällen von einigen wenigen Regisseuren gedreht wurden, die entweder aus der Glanzzeit (muss man schon sagen) Hollywoods stammten oder einigen wenigen jüngeren, wie beispielsweise Christopher Nolan.

Es ist nichts gegen diese Entwicklung zu sagen, denn darum heisst es ja auch 'Motion Picture'. Die Bilder waren und werden immer vorrangig bleiben. Man kommt aber auch nicht umhin zu sagen, dass langsam ein Generationenwandel im Kino stattfindet und die Auswirkungen sieht man auf der Leinwand. Wenn man ehrlich ist wird das Kino, so wie Sie es ja formuliert haben, immer Unterhaltung bleiben und leider sehen die allerwenigsten Menschen eine Kunst dahinter. Auch ich werde irgendeiner Titulierung streng aus dem Weg gehen und das Wort 'Cineast' ist fürchterlich. Ich gehe, ebenso wie Sie das tun, ins Kino, um mich in aller erster Linie unterhalten zu lassen, aber und das ist wesentlich, vertiefe mich dann aus einer grossen Leidenschaft in das Medium, weil ich Interesse für diese Kunstform habe. Das Problem aber ist, das eine so denkende und fühlende Gruppe in der absoluten Minderheit ist. Genau diese Art Unterhaltungen wie Sie sie bei der Arbeit geführt haben, führte ich vor Jahren auch, habe aber eben wegen solcher Antworten aufgehört zu fragen. Das ist 99% der Menschen einfach zu anstrengend sich Gedanken zu machen. Kino hat für diese Menschen eine ähnliche Bedeutung wie ein Jahrmarkt oder eine Kirmes. Man geht mit Freunden aus, aber das was nach dem Kino kommt ist wichtiger als das was im Kino gezeigt wurde. Ja, der Lustgewinn steht an erster Stelle. 

Kommen wir zu 'Inglorious Basterds' (I.G.). Sie schreiben vom "Stil und Kraft des Ausdrucks" der bewegten Bilder. Beides kann ich in diesem Film nicht entdecken. Er ist stillos und ohne jegliche Aussage. Ich war masslos enttäuscht. Der Grund dafür warum Tarantino's Filme immer schlechter werden ist im wesentlichen die vom Serienstar 'Ewing' formulierte Aussage: "Er hat Narrenfreiheit!" Auf der Suche nach neuen Talenten hat man diesen Regisseur dermassen inflationär gepuscht und mit einer so grossen Hype umgarnt, dass er den Boden unter den Füssen gänzlich verloren hat. Das zeichnete sich bereits bei seinem letzten Film, bzw. Double Feature mit Rodriguez ab. Wer von Cannes über Hollywood und den Oscar mit Ruhm überschüttet wurde, der wird haltlos. Es gab nie irgendetwas schlechtes über diesen Regisseur zu lesen, was seine Filme betrifft. Seit 'Pulp Fiction', ohne Zweifel als ein Meilenstein zu werten, ist alles was dieser Regisseur macht Kult. Es gibt überhaupt keine Differenzierung, keine Kritik, keine kritische Reflexion. Das ist ein grosses Verschulden der schreibenden Zunft. Wie sollen dann die Alco-Pops trinkenden Taschenträger (Entschuldigung, soll keine allgemein gültige Pauschalisierung sein), die gerade der Pubertät entfleucht sind, in der Lage sein kritisch zu reflektieren? Mundpropaganda ist bei Tarantino alles, wie auch bei Cameron, ja im Kino überhaupt. Der Nachbar geht rein und ist begeistert, also tue ich das auch. Deren gutes Recht. Mag ja auch sein, dass Avatar der grösste und beste Film aller Zeiten ist, aber wir wissen das zu deuten. Diese Frau von der Sie sprechen hat in ihrem Leben wahrscheinlich gerade mal 5-10 Filme gesehen, kann nicht zurückblicken auf 20 Jahre Kinoerfahrung und kommt nach diesem Bildergewitter zum Schluss , dass das die Maxime ist. Wer weiss, wie sie in 10 Jahren denken wird?

Die ersten 20 min. in I.B. sind absolut superb. Der Zuschauer wird, aber auch ein hinlänglich bekanntes stilistisches Mittel, mit einer heranfahrenden Kolonne Autos und einem Bauern beim Holzhacken gelangweilt, bis Christoph Waltz aka Hans Landa die Bühne betritt. Der folgende Dialog ist eine Kunst im Spannungsaufbau und Erwartungen des Zuschauers. Hätte Tarantino nach dieser Sequenz den Film beendet, wäre es einer der besten Kurzfilme aller Zeiten geworden! Doch was danach folgt ist Kino in seiner allerschlimmsten Form: keine Handlung, kein Konzept. Tarantino zitiert wie wild, was er mittlerweile am besten kann und zeigt die schlimmsten Bilder, die ich im Kino je gesehen habe. Wenn man schon eines der schlimmsten Kapitel der Weltgeschichte überzeichnet und komödiantisch darstellen oder karikieren will, dann wie Chaplin oder Lubitsch, aber dieser als 'Märchen' von der Journaille hochstilisierte Film ist ein Witz und ein schlechter dazu. Ich hätte allzu gerne nach dem Film draussen eine Befragung der 16-30 Jährigen vorgenommen. Sind die integer und intelligent genug die im Film überzeichneten Monster in der Realität auch als solche wahr zu nehmen?

Wenn bei 'Pulp Fiction' der episodenhafte Charakter des Films Sinn ergeben hat, so ist er bei I.B. vollkommen fehl am Platz, ebenso wie diese Pseudo-Hommage an das Kino einer vergangenen Ära. Das hat Giuseppe Tornatore viel bewegender und hinreissender hinbekommen. Die Handlung insgesamt ist sprunghaft und ohne jeglichen Sinn und Verstand und letzteres war bei diesem Ergebnis auch nicht gewollt, fragt sich nur warum der Film nach einer Gruppe benannt wurde, die im gesamten Film eine eher untergeordnete Rolle spielt. Das Verhör im Wald nebenbei ist an Menschen verachtender, dümmlicher und grausamer Darstellung kaum zu überbieten. Hätte zu gerne gewusst wie viel Einfluss Eli Roth auf Tarantino gehabt hat, der (Roth) mit seinen ebenfalls grauenvollen Filmen verboten gehört. I.B. wurde gepriesen wegen seiner Dialogszenen die laut Aussage so genannter Filmkenner der schreibenden Zunft sein Markenzeichen sind. Das muss man bejahen, aber lediglich in der Eröffnungssequenz kommt dieses Talent Tarantinos zum tragen. Die Dialoge die im wesentlichen folgen sind dermassen schwachsinnig, dass es einem graust, insbesondere der "Dialog" in der langen Kneipenszene. Schlimm auch wie viele Schauspieler sich für diesen Film prostituiert haben, nur um eine Rolle in einem Taranito Film zu erhalten, oder ist die Rolle eines Kneipenwirts so grandios ausgelegt, dass es sich lohnt da mitzuspielen? 

Schauspielerische Leistungen bei I.B.: Waltz ist deswegen so gut, um es mal etwas zynisch zu formulieren, weil er keinen einzigen neben sich hat der ein Gleichgewicht darstellt. Und ohne die Leistung von Christoph Waltz schmälern zu wollen: Was macht er eigentlich genau? Er verhört 4 mal im Film eine oder mehrere Personen in 3 verschiedenen Sprachen. Sicherlich tut er das mit einer durchaus nachvollziehbaren Glaubwürdigkeit und Intensität, aber ganz ehrlich: Ist das eine schauspielerische Leistung Mr. Lomax, die uns jubeln lässt? Das Problem dabei ist, dass in seinen Verhören sein (Waltz') Part bezüglich des Dialoges so extrem stark zu seinen Gunsten gewichtet ist, dass dem Gegenspieler wenig Möglichkeiten bleiben ihm Paroli zu bieten. Lediglich der Bauer am Anfang sorgt für das nötige Gleichgewicht und deswegen ist die Szene auch so gut. Ich frage mich wie seine Leistung bewertet würde hätte er einen ähnlich starken Gegenspieler gehabt. Brad Pitt, Diane Krüger und Eli Roth sind da doch Kanonenfutter für einen Schauspieler solchen Formates. Pitt ist eine komplette Fehlbesetzung, mit seinen ständig verformten Mundwinkeln sieht er eher debil aus und was Frau Krüger an Sätzen liefert ist ein Grauen. Da fehlt jegliches Können, keine Modulation in der Stimme, kein Spiel mit den Augen, kein effektives Nutzen der Mimik. Verheerend ist das solche Leistungen, mit der Ausnahme vielleicht von Waltz, weltweit auch noch Anerkennung finden und mit Auszeichnungen goutiert werden!

Das Ende oder das letzte 1/3 von I.B. ist, ob nun Märchen oder Persiflage oder was auch immer geschrieben wird um diesen Müll zu rechtfertigen, ein einziger grenzdebiler Witz.

Ich stimme Ihnen zu, dass die Herren Cameron und Tarantino mit Leidenschaft ans Werk gehen, aber die Masse an kritiklosen Menschen die diese Filme sehen geben Ihnen das Gefühl einer gewissen Unfehlbarkeit, was vielleicht die Zeit eines Tages wieder in die richtigen Verhältnisse rücken wird. Ich frage mich bis heute, was die Menschen an 'Titanic' berührt hat. Jetzt sind es die 3D Bilder. Der Grund ist genau der den sie nannten: alles positive ins unermessliche verstärken und nur nichts negatives an die Oberfläche kommen lassen. Im übrigen ein Muster, welches ich im täglichen Leben immer wieder beobachte!!!

Das Kino muss, wenn diese These denn stimmt, in einer ziemlichen Krise stecken.

Ich bin jemand der den Diskurs sucht, mich aber auch blendend unterhalten lassen will. Beides muss sich nicht ausschliessen und die Filme, die das bisher geschafft haben sind die, die alle Zeiten überdauern werden. Erinnert sich noch jemand an 'Jackie Brown' oder 'Reservoir Dogs' oder 'Death Proof'? Nach 'Kill Bill 1&2' hatte ich Hoffnung, dass er sich weiter entwickeln oder steigern kann, aber diese Hoffnung stirbt langsam.

Ich verstehe und bewerte das zeitgenössische Kino so: als eine sich weiter in Entwicklung befindliche Idee, nämlich die Menschen zu unterhalten. Wir haben uns oft darüber unterhalten: wenn es eben keine moralischen oder sozialen Ideen in der Gesellschaft gibt, warum sollte es sie dann im Kino geben? Die Nuller Jahre sind wie wir mehrfach bereits gesagt haben ein Zeitalter des Hedonismus, also wird sich das auch im Kino widerspiegeln. Kino ist immer schon Ausdruck des Zeitgeistes gewesen und dieser besteht in diesem Jahrzehnt im Lustgewinn. Gedanken oder Ideen oder Reflexionen sind Worte aus vergangenen Jahren. Wenn man sich ansieht welche Flut an Remakes dieses Jahr auf uns zukommt, dann erkennt man wie ideenlos selbst die Drehbuchschreiber sind. Gutes Kino findet im Fernsehen statt, sprich die qualitativ hochwertigen Fernsehserien. Es findet eben ein Wandel statt.

Der wichtigste Satz Ihres vorherigen Beitrages lautet aber: "Die Kritiker haben keine Macht mehr!" Das genau ist der Schlüssel. Alle schreiben das was vorgegeben wird, keiner traut sich auch nur einen Deut davon abzuweichen was der Nachbar in den Rechner tippt. Siehe das aktuelle Album von Tocotronic - Spex, Rolling Stone und der Musikexpress auf einer Welle. Siehe aber auch die Kritiken zu I.B. oder Avatar. Selbst diejenigen unter den Filmmusik-Enthusiasten die James Horner Plagiarismus in der Vergangenheit vorwarfen (und zwar zu Recht) stimmen sich ein in den Kanon und rezensieren seitenlang positiv über den Score, der überall und allen Orten zum Erbrechen verwendete musikalische Ideen hören lässt. Der Grund ist: Alle finden den Film super, also ist es auch die Musik. Schön im Strom mit schwimmen. Genauso verhält es mit der Musik zu Titanic. Die Kritiker sollten wieder mehr an Gewicht bekommen und sich daran besinnen, warum sie einst den Beruf des Journalisten erwählten in einem Land, in dem man noch frei seine Meinung äussern darf und sollte.

Ich hätte zu gerne ein Gespräch mit Ihnen hierüber geführt Mr. Lomax, aber die Geografie lässt es nunmal nicht zu. Zudem schliesse ich mich Ihnen an: Auch das sind Gedanken, die durchaus kritisch bewertet werden dürfen, keine Dogmen.

Cineastische Grüsse! 

Rick Deckard 

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