So ist der Film Priscilla von Sofia Coppola

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  8. Januar 2024, 17:10  -  #Sofia Coppola, #Priscilla, #Filmkritik

So ist der Film Priscilla von Sofia Coppola

Sofia Coppolas "Priscilla" entfaltet in der ersten Hälfte eine cineastische Symphonie, die nicht nur das Auge verführt, sondern auch die Seele durchdringt. Die Regisseurin webt geschickt popkulturelle Elemente in die Handlung ein, die wie bunte Fäden ein faszinierendes Muster der Epoche spinnen.

Der Film beginnt mit einer visuellen Explosion, die das Publikum sofort in die Welt von Priscilla hineinzieht. Coppola gelingt es trotz geringen Budgets, die Atmosphäre der Zeit einzufangen, ohne dabei in Nostalgie zu versinken. Die Figuren erscheinen wie lebendige Collagen aus den Seiten eines Lifestyle-Magazins dieser Ära. Priscilla, die Protagonistin, verkörpert die zarte Eleganz, späteren Wahnsinn der einzelnen Jahrzehnte. Ihre Outfits sind ein visuelles Fest, eine Ode an die extravagantesten Modetrends, die diese Zeiten zu bieten hatte. Coppola bestätigt erneut einen Sinn für Stil, sondern auch für die subtile Rebellion, die in der Mode dieser Zeit steckte. Priscilla ist mehr als nur eine Filmfigur; sie ist ein Statement, eine Manifestation der Freiheit und der Selbstentfaltung. Gleichzeitig reflektiert sie das Gefangen sein in der Wattewelt Gracelands und die psychische sowie physische Abhängigkeit von Elvis Presley.

Die cineastische Umsetzung ist ein Rausch für die Sinne. Die Kameraführung ist elegant und dynamisch, jeder Schnitt scheint wohlüberlegt und trägt zur Gesamtkomposition bei. Coppolas Einsatz von Farben und Licht verleiht dem Film eine ästhetische Brillanz, die den Zuschauer in eine Welt der Träume entführt. Die erste Hälfte von "Priscilla" ist wie ein visuelles Gedicht, das die Augen mit einem Feuerwerk aus Bildern und Farben verwöhnt und den Zuschauer kaum eine Gelegenheit gibt, vom wunderschönen Gesicht der Hauptdarstellerin Cailee Spaeny abzuschweifen.

Die musikalische Begleitung verdient eine eigene Lobeshymne. Die Auswahl der Songs ist nicht nur zeitgemäß (und von der wohl derzeit besten Band der Welt, Phoenix, ausgewählt), sondern auch emotional treffend. Jeder Track scheint perfekt auf die Handlung abgestimmt zu sein und verstärkt die Gefühle der Charaktere. Die Musik ist nicht nur Hintergrund, sondern ein integraler Bestandteil des Erlebnisses. Beeindruckender Weise gelingt dies, obwohl kein einziger von Elvis eingespielter Song dabei ist, da die Plattenfirma keine Freigabe für die Rechte erteilt hat. Sofia Coppola macht auch hier aus der Not eine Tugend, ebenso wie bei der Besetzung von Jacob Elordi, der mit seiner imposanten Größe im Vergleich zur zarten Cailee Spaeny wie ein Riese wirkt, was bestimmten Szenen eine klassische, märchenhafte visuelle Wirkung verleiht.

In der ersten Hälfte schafft es Sofia Coppola, das Publikum auf eine nostalgische Reise mitzunehmen, ohne dabei in Klischees zu verharren. Sie präsentiert die Popkultur der 50er und 60er Jahre mit zeitgenössischer Frische und verzaubert mit einer Ästhetik, die das Auge verwöhnt und das Herz höherschlagen lässt. "Priscilla" ist nicht nur ein Film, sondern ein audiovisuelles Kunstwerk, das die Magie des Kinos in ihrer schönsten Form zelebriert.

Ein besonders fotografisches Highlight des Films ist die Szene, in der Priscilla alleine und verloren an einem Fenster steht und auf das Anwesen von Graceland hinaussieht. In einer atemberaubenden Sequenz von etwa einer Minute fährt die Kamera aus dem Zimmer und zeigt mit unfassbarer Romantisierung und visueller Erhabenheit einen beinahe an französische Filme der Nouvelle Vague erinnernden, elegischen Inszenierungsstil. Diese Szene unterstreicht nicht nur die Schönheit der Hauptdarstellerin, sondern auch die Verletzlichkeit des kleinen Mädchens, allein gelassen im Schatten des "Elvis-Mythos", der laut der "Neuen Zürcher Zeitung" auf die kümmerliche Farce eines amerikanischen Unterhaltungsprofis reduziert wird und "zu Hause seine Frau genauso gängelt wie Millionen andere Männer auch". Seit dem Francois Jeanne Moreau inszeniert hat, habe ich solch wahrhaftige Bilder voller Liebe, Bewunderung und Zuneigung kreiert durch eine Kamera, nicht mehr gesehen!  Es ist einfach FANTATASTISCH...

Sofia Coppola ist eine der wenigen lebenden Regisseurinnen, die in der Lage ist, mit dem richtigen Bild zur richtigen Zeit im Film einen komplexen Sachverhalt darzustellen. Diese Kunst ist kein Zufall, sondern die Extraktion ihres popkulturellen Verstandes, Wissens, ihrer Feinfühligkeit und der unbändigen Liebe zur Geschichte und ihren Figuren und Darstellerinnen. Der Film ist ein Meilenstein und ein Paradebeispiel dafür, eine vermeintliche Ikone der Popkultur zerlegt werden können und im Falle von Elvis Presley der ganz nebenbei als talentierten Spießer und kritischen ersten Helden von Marketing- und Medienhype dargestellt wird, der weder über ein besonderes Talent oder musikalische Fähigkeiten verfügte, wurde das auch einmal Zeit. 

"Priscilla" ist vielleicht nicht das größte Werk von Sofia Coppola, reiht sich jedoch unbedingt in die Meisterwerke "Lost In Translation", "Marie Antoinette" und "Somewhere" ein. Der Film beweist, welch beeindruckendes Bollwerk an unfassbaren Fähigkeiten in dieser Regisseurin und Drehbuchautorin steckt, die ich stets zu meinen Lieblingskünstlerinnen zählen werde.

Mit freundlichen Grüßen aus Memphis,

Alan Lomax

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