Don’t Look Up – Adam McKay (inkl. kurzer Exkurs: Problem Filmbewertung, ohne Sinn und Verstand)

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  27. Dezember 2021, 13:18  -  #Kino, #Filme

Don’t Look Up – Adam McKay (inkl. kurzer Exkurs: Problem Filmbewertung, ohne Sinn und Verstand)

Sie kennen das – Irgendein Hobbyastronom entdeckt, einen Astroiden der auf die Erde zusteuert. Es bleibt nur wenig Zeit um eine Lösung zu finden. An irgendeinem abgelegen Ort der Welt wird ein Held*in gefunden, um die Lösung schnellst möglich umzusetzen. Ein paar Anläufe scheitern, ein paar wecken Hoffnungen. In die Leitstory werden ein paar Counterstorys eingebaut, die das Dilemma –mehr oder weniger gut– im Kleinen und im Großen beschreiben. Einigen Produzenten*innen (und es sind meist Produzenten- und nicht Regiefilme), gelingt die Spannung verbunden mit einer Portion Ironie, einigen anderen gelang es auch zusätzlich enorme Spannung aufzubauen.

Die Satire von Adam McKay beginnt ähnlich und verlässt auch im Verlauf der restlichen Erzählung den bekannten Handlungsfaden nicht. Was auch wenig Sinn machen würde, da die Idee des Kontrasts und der Erzählform Satire sofort zusammenbrechen würde.

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Bereits an dieser Stelle möchte ich auf folgendes Hinweisen: Ich schreibe nunmehr seit über 30 Jahren über Filme. Ob gut oder schlecht, will ich selbst nicht beurteilen! Selbstverständlich lese ich umfangreich: Artikel, sehe mir Interviews an und lese auch andere Besprechungen. Was mir seit einigen Jahren auffällt, ist, dass diese Besprechungen mit Ausnahme von Wenigen, auffallend furchtbar und wenig Kenntnisreich sind. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass 80% der Kollegen*innen gegenseitig voneinander abschreiben und so natürlich ein mögliches breites Spektrum von unterschiedlichen Sichtweisen automatisch verloren geht oder ob die Kollegen*innen einfach keine Ahnung vom Kino und dem Film haben? Und zwar aus dem banalen und für ein*e Jeden eigentlich aufzuholenden Grund, dass diese sog. Cineasten, sich entweder keine oder die falschen Filme ansehen.  

Vielleicht ist diese „neue“ schreibende Zunft, auch einfach zu wenig empathisch. Ein anderer, rationaler Weg, ist es Filme zu sezieren und sie analytisch zu bewerten. Aber wir alle wissen, dass diese mögliche Art Filme zu besprechen, nur ein paar Profis vorbehalten ist.

Ich persönlich, als Laie, aber Kinoliebhaber, der den Wunsch hat, seine Meinung zu archivieren, interessiere mich im wesentlichem für zwei Motive. Ich möchte gerne verstehen, welches Motiv der Regisseur/Produzent/Autor gehabt hat, den Stoff zu verfilmen, um mir korrespondierend zu überlegen, weshalb diese Motive subjektiv bei mir selbst und wenn ich gut gelaunt bin und Zeit habe zusätzlich zu überlegen, weshalb das beim überwiegenden Teil des Publikums gelungen ist oder eben nicht.

Wenn ich aber nun bei „Anderen“ wahrnehme, dass weder Bio- und Filmographie der Filmschaffenden, noch kontextuelle, also begleitende Umstände reflektiert werden und dann noch, bei dem Großteil der Filmkritiker*innen, ausfindig mache, dass sie einfach zu wenig und leider auch häufig die falschen Filme in ihrem Leben gesehen habe, muss ich auffordernd, folgendes bei Euch anklagen:

Filmkunst fängt nicht 2010 an! Es gibt sie bereits weit über 100 Jahre. Wie bei allen Künsten die sich ja fast alle über mehrere Jahrhunderte fortsetzen, gibt es Regeln und es gibt vor allem die unumstößliche Tatsache, dass auch (ich bediene mich nun einigen Aussagen von Martin Scorsese) FilmKUNST nicht plötzlich von irgendwo herkommt. Die größte Wahrheit ist, dass alle – jedes Bild, jeder Film, jedes Theaterstück, jedes Lied – aus einem Vorläufer entsteht. Es ist eine Kette menschlicher Antworten.

Die Schönheit und die Kraft des Kinos, liegt darin, dass sie standardisiert oder mechanisiert werden kann.

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Die verhält sich insbesondere bei der filmischen Satire so. Es macht daher überhaupt keinen Sinn, sich den Film DONT LOOK UP anzusehen oder (schlimmer) drüber zu schreiben, wenn sich Zuschauer oder Kritiker vorher nicht bewusst eine mögliche cineastische Vorbildung haben. Damit meine ich natürlich keine akademische, sondern –ich wiederhole mich–  cineastische! Film, Geschichten und Geschichte kann nur unter Menschen passieren und muss untereinander ausgetauscht werden, denn sonst wird ein Film keine Kunst!

Nehmen wir z. B. den Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ von Stanley Kubrick. Der Film spielt in den 60er Jahren, während der Kubakriese. Kubrick warnt seine Zuschauer mit diesem Meisterwerk vor der Atombombe, gleichsam ist Kubricks Meisterwerk eine der witzigsten Satiren aller Zeiten. 1964 hatten die meisten Menschen den letzten Krieg und Hiroschima selbst miterlebt. Mit „Der längste Tag“, Gesprengte Ketten“, „Das dreckige Dutzend“, „Die letzte Schlacht“ oder „Der Brücke von Remagen“ waren die besten Kriegsfilme bereits abgedreht. Mit „Agenten sterben einsam“, „Drei Bruchpiloten in Paris“ und insbesondere „Die Nacht der Generale“ von Anatole Litvak wurden Kriegsfilme auch auf einmal reaktionär und ohne Melodramatik gezeigt. Nur so konnte „Dr. Seltsam…“ funktionieren und nur so ist es möglich, Kubricks Ansätze zu verstehen.

Lange Rede! …es wird unmöglich sein, den aktuellen Film zu verstehen, wenn sie seit jeher Filme von Michael Bay oder Roland Emmerich ablehnt haben sollten oder nicht zumindest die Genrestandards: „Achterbahn“, „Erdbeben“ oder „Flammendes Inferno“ gesehen haben.

Schlimmer…stellen Sie sich vor, sie schreiben über Filme und lesen dann über diesen: „Wofür aber die Darsteller letzten Endes verheizt wurden, ist ein selbstgefälliges, handwerklich sicher überzeugendes Abklappern bekannter Themenkomplexe“. Und später: „Die Botschaften des Filmes sind stets recht schnell klar und was dann noch bleibt, ist das drauf Rumreiten. Und so werden die rasch geschnittenen Hochglanzbilder ebenso rasch immer inhaltsleerer, obwohl sie vorgeben, vor Inhalten zu bersten!“

Es ist schlimm, da ich mich, neben meinem eigentlichen Antrieb, diesen Film auf meinem Blog zu archivieren, immer wieder gedanklich von der zitierten Unwahrheit, des Kritikers der Computerzeitschrift CHIP, gestört werde. Denn genau in seiner zusammengefassten Essenz, liegt der Punkt, den er und eben diese „Anderen“ unnötig und unfair machen.

Ich erkläre es weiterhin, geduldig und anschaulich:

Um die Botschaft von „Don’t Look Up“ zu verstehen, sollte man die Filme von Adam McKay kennen: Denn der hat sich in den letzten 8 Jahren still und heimlich zu einem der furiosesten Komödienregisseuren entwickelt: „VICE“, „THE BIG SHORT“, aber auch „Anchorman“ und „Stiefbrüder“ (beide mit Will Farrell). McKay hat sich bereits in diesen Filmen mit der überstrahlenden Dummheit der medialen, politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit auseinandergesetzt und vom Zuschauer dabei eine gewisse Fähigkeit der schnellen Antizipation vorausgesetzt. Denn er übrigens im schwierigsten aller Genre, der Komödie, bei Schnitt, Schauspielerführung und Dramaturgie bestens umzusetzen weiß.

Das „Don’t Look Up“ eine Persiflage auf unsere Zeit, angefangen bei Trump, endend bei Corona (hoffentlich) und zwischenzeitlich ein Schlag in die Fresse aller Virus- äh Kometenverleugner ist, muss hier nicht beschrieben werden. Es ist der inzwischen alltägliche Irrsinn geworden, denn wir als solchen leider schon fast gar nicht wahrnehmen und von Filmkritikern*innen (siehe oben) als inhaltsleer beschrieben werden.

Denn ist es in Wahrheit nicht ehr schockierend, dass wir seit dem Last-Cut des Filmes, bereit noch mehr Irrsinn ertragen mussten? Auf Hochglanzbildern die, ja lieber CHIP Filmkritiker es stimmt, inhaltsleer sind, aber eben für diesen Film die unbedingte Notwendig darstellt, dass er funktioniert, wie er funktioniert. Überlegen Sie an der Stelle doch einmal, weshalb Stanley Kubrick, für „Dr. Strangelove“ die Variante s/w gewählt hat?

Die Schmerzvollste aller Varianten jemanden anzustoßen oder aufmerksam zu machen, ist es der Einzelperson oder der Gesellschaft den sprichwörtlichen Spiegel vor das Gesicht zu halten. Wir leben in Zeit, in denen es schwierig ist, Millionen von Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass ihr mediales Verhalten dumm ist und dass der mediale Aufschlag von Regierungen, Journalisten, Politikern, Prominenten, Themen und Wissen noch viel dümmer ist. Ein möglicher Niederschlag von Protest, Satire, Ironie entspricht somit immer einer gesamt gesellschaftlichen Anklage, da WIR alle betroffen sind. Früher zu Zeiten von Vietnam, Studentenrevolte, Atomkriege etc. waren es eben die anderen und selten „wir“. Popkultur war noch nie so schwierig wie heut zu tage. Jeder hat Zugang zu jedem Film, jedem Buch, jeder Platte, jeder Information. Was aber noch, lange nicht, beinhaltet, dass die Zusammenhänge somit auch häufiger erkannt werden.

Ein Film wie DONT LOOK UP ist daher auch von großer Wichtigkeit. Denn er gibt uns Hoffnung, dass es noch denke Menschen gibt, die versuchen in Form der Unterhaltung Kino, mittels einem satirischem Ansatz, dem Wissen der Vergangenheit und dem Irrsinn der Gegenwart mal etwas nachzudenken, aber trotzdem zu lachen.

Und wenn Sie mir nicht folgen möchten. Dann stellen Sie sich doch bitte Frage weshalb eine 8-teilige Serie über ein deutsches Kaufhaus (ARD KADEWE) oder eine 6-teilige Serie über die „HitlerTagebücher“ (Faking Hitler RTL) einen übergeordneten Sinn ergeben sollte.

DONT LOOK UP ist stilistisch und inhaltlich mehr als sehr gutes Kino. Der richtige Film zur richtigen Zeit. Dass die meisten kritischen Kontexte von realen Figuren erzählt werden bzw. gekonnt genutzt werden, ist überwiegend genial und ich könnte wohl eine ganze Website mit diesen Hinweisen füllen.

Beginnend mit der genialen Idee nicht Will Ferrell, sondern wegen, „The Wolf On Wall Street“ den ebenso lustigen und genialen Jonah Hill zu besetzen (der auch übrigens das letzte Wort in diesem Film hat), mit Ariana Grande und Kid Cudi einen echten Fall aus dem Wahnsinn „wichtige Nachrichten“ zu nehmen und natürlich DiCaprio, Lawrence, Streep und Blanchett diese Rollen auf den Bauch zu pinseln, wäre eigentlich von der leidenschaftlich unreflektierten Seite der Pros für diesen Film alles gesagt.

Aber es müssen auch die kleinen feinen Gags wahrgenommen werden in denen ebenso wichtige Kontraste gefunden werden können. Denn natürlich haben wir endlich eine weibliche Präsidentin. Und klar, dass diese von Meryl Streep gespielt wird. Die Idee, dass das Oval-Office nun aber wirklich viel kleiner scheint und gezeigt wird, als es vorher in allen Filmen mit männlichen Führern der freien Welt war, amüsiert mich noch bis jetzt und dann ist dann ja auch noch diese Harry Stamper Puppe.

Und somit ist ist DONT LOOK UP vielleicht gar nicht so weit entfernt von Kubricks Masterpiece Dr. Strangelove aus den sechziger Jahren. Bitte! Dies ist kein Pitch und wir wollen Filme ja auch nicht als Wettbewerbe gegenüberstellen. Aber es gibt doch einige –vielleicht sogar– ungewollte Parallelen: Die Schauspieler, die erwähnten Kontraste, die Spannung, seine Referenzen, die Detailversessenheit und die hohe popkulturelle Bedeutung.

Wir leben in einer sehr labilen Zeit. Unterhaltung, Reflexion aber auch echtes Wissen über die komplexen Zusammenhänge in Kunst, aber natürlich auch bei allen anderen Themen, von denen „wir“ keine Ahnung haben, z. B. Medizin, Kommunikation, Nutzung von Technik, Einseitige Betrachtung von Nachrichten und Informationen, Unfähigkeit zur Debatte etc. sollten wir alle persönlich und ständig für selbst neu bewerten. Und wenn ich z. B. nicht weiß wer Mark Robson oder John Guillermin gewesen ist, so ist das nicht schlimm. Und es ist auch nicht schlimm, wenn dann nachgelesen wird, wer das war. Es ist auch nicht schlimm, wenn sich die Filme „Erdbeben“ und „Flammendes Inferno“ dann doch nicht noch einmal angesehen werden. Aber es wird schlimm, dann mitreden zu wollen um die Kette menschlicher Antworten zu unterbrechen…. und das gilt leider nicht nur in der Filmkunst!

Aus den Trümmer als letzter Überlebender

Jason Orlean

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