THE KILLER (Netflix) - David Fincher
Liest man sich die Bewertungen zu THE KILLER im Internet durch, so gelangt man schnell zu der Schlussfolgerung, dass sich der Anspruch der Menschen an das Medium Film geändert hat. Die Machart vieler Mainstream-Filme hat die Rezeption von Filmen sichtlich beeinflusst.
Krawall-Kino, ein Stakkato an Schnitten von mehreren Bildern pro Sekunde, schlechte Musik, hanebüchene Handlung, visueller Overkill gepaart mit schlechten Dialogen und drittklassigen schauspielerischen Leistungen.
All das bietet THE KILLER nicht und gerade deswegen war ich begeistert, bin begeistert.
Der Film ist aus ästhetischer Sicht in gewisser Weise (aus der Flut der schlechten Filme) herausragend, was seiner Machart zu verdanken ist. Mit einem ruhigen Erzählfluss, der an eine Meditation erinnert, erzählen Fincher und sein Drehbuchautor, Andrew Kevin Walker, die Geschichte eines Auftragskillers, der nach einem verfehlten Attentat selbst ins Visier seiner Auftraggeber gerät.
Diese Exposition mag nicht neu sein, aber die Art und Weise, wie Fincher und Walker die Geschichte erzählen und bei der Handlung fokussiert bleiben, das ist beeindruckend.
Da wäre der Mut, das von den allermeisten Regisseuren gemiedene Stilmittel des „voice-over“ zu nutzen, also den Zuschauer die Gedanken des Protagonisten hören zu lassen, um so in seine Welt eintauchen zu können. Regisseure meiden das, weil dem Zuschauer die Fantasie geraubt wird und sie keine Wahl mehr haben. Die Motive für das Handeln sollen sich schlüssig aus dem ergeben, was zu sehen ist.
Doch gerade das Hören lassen, das „akustische Sichtbarwerden“ der Gedanken des Protagonisten ist bei THE KILLER, meines Erachtens, der Schlüssel zum Erfolg des Films, gerade auch deshalb, weil die Vorlage ein Comic ist!
Die Eröffnungssequenz, in der Michael Fassbender in Paris (als Scharfschütze) geduldig auf sein Opfer wartet, ist ein kleines Meisterstück in Sachen Erzählkunst. Nach einer sehr schnellen und atemlosen Titelsequenz zu Begin (!) des Films, werden wir Zeuge der (für den Killer) quälend langsam dahinfließenden Zeit. Das interessante hierbei ist, dass die Zeit, die für den Killer auf der Leinwand zäh dahinfließt, für den Zuschauer viel schneller abläuft, was natürlich dem Schnitt geschuldet ist und dadurch die Sequenz auf diese Weise reizvoll macht. Der Kunstgriff endet gar darin, dass wir am Ende mit dem Killer mitfiebern und das, obwohl wir wissen, dass wir es hier mit einem eiskalten, rücksichtslosen Killer zu tun haben. Perfekte Manipulation.
Das (gemeinsame) Warten auf das Opfer wird für den Zuschauer geschickt überbrückt, indem der Drehbuchautor uns an der Gedankenwelt des Killers teilhaben lässt. Und genau dieser stilistische Griff führt zu einer Ambivalenz, derer man sich nicht bewusst wird, im Gegenteil, der Zuschauer wird manipuliert.
In diesem Anfangsmoment zeigt sich, was Ausnahme-Regisseure wie David Fincher von durchschnittlichen unterscheidet.
Im übrigen erinnert die Geisteshaltung des Killers sehr an die Gedankenwelt des von Tom Cruise gespielten Killers in Michael Mann’s grandiosem Thriller COLLATERAL (2004). Die Gedanken des Drehbuchautors Stuart Beattie sind nicht weit entfernt von denen eines Andrew Kevin Walker.
Fincher gelingt es auf subtile Art Spannung aufzubauen und den Zuschauer auf die Atmosphäre des Films einzustimmen. Das Timing ist von einer unglaublichen Präzision und hier zeigt sich auch, wie effektvoll Schnitt und Kameraführung sein können – es war eine wahre Freude das zu sehen. Nebenbei: Wir werden – zusammen mit dem Killer – zum Voyeur (REAR WINDOW und Hitchcock lassen grüßen).
Diesen Erzählfluss von zu Beginn nimmt David Fincher auf und taktet den ganzen Film mit diesem langsamen Rhythmus, was viele Zuschauer heute anscheinend nicht ertragen können. Filme mit der Geschwindigkeit eines LAWRENCE OF ARABIA würden im heutigen Kino wahrscheinlich untergehen.
Alles fließt in THE KILLER, nirgends kommt Hektik auf, selbst in unruhigen, bedrohlichen Momenten im Ablauf der Handlung nicht. Die Kamera beobachtet, bewegt sich langsam, verharrt, steht still, zieht sich zurück.
Ich bin kein großer Freund des Sound-Designs (mit Ausnahmen selbstredend wie Ben Burtt für STAR WARS), aber das Design der Töne durch Trent Reznor und Atticus Ross passt sehr gut zu den Bildern. In der Gesamtschau schwören auf diese Weise Schnitt, Bilder und Musik eine unheilvolle Atmosphäre auf.
Michael Fassbender – hinterher lässt sich das immer leicht sagen – ist perfekt besetzt. Seine Körpersprache, seine Leinwandpräsenz, seine Art sich zu bewegen, seine Kälte, sein seelenloses Wesen erinnern hier und dort an den von Alain Delon gespielten Jef Costello in DER EISKALTE ENGEL von Jean-Pierre Melville (einer meiner Lieblings-Regisseure). Der Vergleich wird immer wieder bemüht, aber er trifft zu: Ein Raubtier im Dschungel. Bemerkenswerterweise und parallel hierzu verweist der Killer selbst auf sozialdarwinistisches Gedankengut.
Regungslosigkeit ist nicht einfach zu spielen. Selbst dann, wenn man nichts sagt und die Mimik zum Stillstand kommt, muss ein Schauspieler zu überzeugen wissen. Fassbender ist gerade in diesen Szenen überzeugend. Was tun Menschen im Angesicht ihres bevorstehenden Todes? 2 oder 3 Szenen, in denen einigen Menschen genau das bevorsteht, gehören zu den intensiven Momenten im Film, insbesondere der Monolog von Tilda Swinton in einem Gourmet-Restaurant. Verspüren Sie auch Lust auf einen Whiskey?
Der Film verzichtet auf Actionszenen und umso heftiger ist die Wirkung eines Zweikampfes. Dieser Fight ist exzellent choreografiert und von einer archaischen Gewalt. Hier zeigt sich, wie wirkungsvoll solche Zweikämpfe sein können, wenn sie nicht sinnentleert pausenlos die Handlung dominieren.
Die Ansichten des Killers wurden in einer Kritik eines bekannten Kinomagazins als „Plattitüden“ bezeichnet, was so nicht stehen gelassen werden kann. Es geht in diesem Film nicht um Philosophie, oder um philosophische Ansichten, sondern um das Narrativ eines Auftragskillers, der zeitgleich auf der Flucht und auf einem Feldzug ist. Filme sind keine Bücher. Der Zwiespalt aus Fatalismus und der Fähigkeit des Willens eines Einzelnen zur Entscheidung ist das, was den Killer beschäftigt und mit ihm den Zuschauer.
THE KILLER ist seit langer Zeit wieder ein sehenswerter und sehr guter Film von David Fincher. Ästhetisch und vom Erzählstil beeindruckend.
Was die Negativ-Kritiken im Netz angeht?
„I don’t give a fuck!“
Aus der Dominikanischen Republik,
Rick Deckard