FIGHT THE POWER II Aktueller Bezug – Ein zweiteiliges Essay zu dem Film Harriet – Der Weg in die Freiheit (2019 Kasi Lemmons) von Alan Lomax

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  18. November 2020, 13:48  -  #Alan Lomax Blog, #Essay, #Feuilleton, #Filme, #Kommunikation

FIGHT THE POWER II Aktueller Bezug – Ein zweiteiliges Essay zu dem Film Harriet – Der Weg in die Freiheit (2019 Kasi Lemmons) von Alan Lomax

Seit dem Jahr 2008 dokumentieren und archivieren wir auf der Blogseite www.lomax-deckard.de unsere kulturellen Erlebnisse und stellen subjektive und leidenschaftliche, somit immer persönliche Beziehungen zu Popkulturellen Themen her. Dabei sind über 3.000 Artikel entstanden, die weit über eine halbe Million Einzelbesucher gelesen haben. Zudem sind Freundschaften und Netzwerke entstanden, welches auch in den Sozialen Medien und sogar im Radio bei 674FM eine Relevanz gefunden haben.

In 12 Jahren verändert sich viel. Popkultur ist dynamisch und erfindet sich permanent neu, passt sich aber auch an soziokulturelle, politische und oftmals komplexe, in alle Lebensbereiche hereinragende Gegebenheiten an. Popkultur ist manchmal visionär und oftmals seltsam vergangenheitsorientiert.

Nicht alle Gedanken und Erlebnisse, haben heute die gleiche Relevanz, wie zu den Zeiten, als wir diese geschrieben haben. Aber wir stellen uns unseren Erinnerungen. Viele Artikel sind aus heutiger Sicht streitbar, einige vielleicht sogar peinlich, ein paar reaktionär und progressiv. Over all haben wir uns aber immer Mühe gegeben politisch korrekt zu sein und niemanden zu beleidigen. So soll es bleiben…

TEIL II (TEIL I vom 17.11.2020 www.lomax-deckard.de)

„Wenn man denkt, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion bestimmte Talente hätte, nennt man das „positiven Rassismus“, schreibt die SPEX-Autorin Alice Hasters in ihrem Buch „Was weiße Mensch nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“. Und die Autorin schreibt auch weiter: „…guten Rassismus gibt es nicht.“ Denn auch rassistische Komplimente sprechen Menschen die Individualität ab.

Wenn wir im Jahr 2020 über US-amerikanische Kultur schreiben müssen wir neu denken. Denn auch wir auf diesem Blog, haben in der Vergangenheit den eklatanten wenig durch dachten Fehler, der kulturellen Aneignung, gemacht. „What white People Are Taking From Black Culture“ ist eine wichtige Essaysammlung, die ein jeder oder jede, der/die sich mit Popkultur auseinandersetzt, einmal lesen könnte.

Natürlich haben wir auf diesem Blog niemals auch nur ansatzweise daran gedacht, irgendjemande*n aufgrund ihrer/seiner Herkunft zu diffamieren. Aber wir haben uns auch selten die wichtige Frage nach der Dominanzkultur gestellt! So ehrlich sollten wir sein. Wir werden also ab sofort bei all‘ diesen Themen noch mehr berücksichtigen, dass ca. 90 Prozent der Dinge über amerikanische Kultur, über die wir hier schreiben und die wir lieben, in ihren Ursprüngen, Konzeptionen und Inspirationen afro-amerikanisch gewesen sind.

Greg Tate (Autor o. g. Essays) hat sich also, sehr intensiv mit dem Thema „Was Weiße von schwarzer Kultur nehmen“ beschäftigt und um nun die Herleitung zu eine der wohl unglaublichsten afroamerikanischen Heldinnen der amerikanischen Geschichte –Harriet Tubman– hinzubekommen, muss ich mir tatsächlich erst einmal die Frage nach Filmen ähnlicher Coleur bzw. gleichen Genres stellen.

Und schon bin ich mittendrin im Dilemma!

Gibt es neben dem Genre Historischer Film – Drama – tatsächlich das Genre Sklavenfilm? Eine bewusste Frage und bei allem Respekt; …müsste da nicht eine andere Bezeichnung gefunden werden? Denn kontextuell kann das Erzählkino hier nur eine Position einnehmen. Die der himmelschreienden Ungerechtigkeit und der zivilisatorischen Verwahrlosung „Sklaverei“.

HUMANISMUS IST NICHT VERHANDELBAR!

Meistens mündet dieses nicht bezeichnete Genre, allerdings in unverzichtbares Kino! Denn natürlich darf das Thema nicht in Vergessenheit geraten. Große künstlerische Alternativen gibt es allerdings kaum, denn welcher Zuschauer will sich schon mit einem möglichen perspektivischen Wechsel auseinandersetzen? Der ja zudem auch überhaupt nicht notwendig erscheint. Vielleicht ist dann auch Steve McQueens TWELVE YEARS A SLAVE ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten auf die wir Konsumenten erstmal nicht kommen (weil wir ja sonst selbst solche Meisterwerke schaffen würden). Denn in dem Film wird unter anderen die Ineffizienz der Sklaverei aufgezeigt, zumindest, wenn die Eigentümer die Kraft Ihrer Sklaven vergeuden! McQueen gelingt es mit der sogenannten Darstellung des: „ganz normalen Wahnsinns“, den tatsächlichen Wahnsinn auszudrücken.

SPARTACUS, BEN HUR und DJANGO UNCHAINED? Oh je! Da muss da muss doch noch mehr sein, ah, kurzer Blick ins Filmlexikon bringt mich wieder auf die Spur: THE BIRTH OF A NATION, ROOTS (Serie), klar AMISTAD von Spielberg und BELOVED von Jonathan Demme und oh je…Sie wissen bereits worauf ich hinaus will…genau auf die kontextuelle Crux meines anfänglichen, beschrieben, Dilemmas. Plus der Tatsache, dass es ja abgesehen von den in den 1960er-Jahre entstanden Blaxploitation Filmen, nur eine Handvoll Regisseure gab die im Zusammenhang mit dem New Black Cinema genannt werden können: Klar, Spike Lee und John Singleton (Boyz N The Hood) und Albert Hughes (Menace II Society) und Mario Van Peebles (New Jack City). Thats it! Der ganze Mist und die ganze Katastrophe, die wir heute unter BLM zusammenfassen, wurde davor kaum hinterfragt vom internationalen Filmkritikertum. Welches wahrscheinlich überwiegend keine afro-amerikanischen Wurzeln hat.

Und ganz ehrlich schade, dass es nicht bereits in den 1950er Jahren einen afro-amerikanischen Regisseur gab, der sich mit den Gräueltaten der Nazis und dem dritten Reich auseinandergesetzt hat. Denn wäre dem so, müsste ich nicht anmerken, dass in 90 Jahren Filmgeschichte, kaum ein Afro-Amerikaner einen Film über das Schicksal seiner Vorfahren drehen durfte oder gar ein oder eine Native American einen Film wie z. B. THE SEARCHERS (John Ford) oder APACHE WOMAN (Roger Corman) machen durfte. Auch nicht aus Spaß. Denn ganz ehrlich, ohne „Spaß“ sind diese Überlegungen eigentlich kaum zu ertragen!!!

Selbst die besten Filme die sich mit Rassismus beschäftigen sind zum überwiegenden Teil nicht von Afro-Amerikanischen oder Opfern gemacht worden, sondern immer von Künstlern aus der vermeidlichen rassistisch geprägten Gruppe. Diese Erkenntnis ist nicht neu, muss aber unbedingt erwähnt werden, wenn wir uns den Film Harriet – Der Weg in die Freiheit (2019) von Kasi Lemmons vornehmen.

Wir schreiben das Jahr 2020! …und ich muss zwei Teile über diese ganze Absurdität schreiben, die ja dann in der gesamten Betrachtung einfach nur noch absurd ist. Harriet ist von einer afro-amerikanischen Frau gedreht worden. Es wäre schön, wenn ich meinem Schweigen vertrauen könnte und das nicht erwähnen müsste, leider ist das Gegenteil der Fall. Wir leben im Mittelalter!

Harriet sollte kein innovativer oder außergewöhnlicher Film werden. Kasi Lemmons erzählt die Geschichte einer einzigartigen Frau, einer Heldin der amerikanischen Geschichte. Die Regisseurin hält dabei an Ihrer Vision fest diese Geschichte für die breite Zuschauermasse, für das Mainstreamkino zu erzählen.

 

Mehr will ich gar nicht dazu sagen. Neben der kleinen Anmerkung, dass Terence Blanchard hier vielleicht einen der wundervollsten Scores der kürzeren amerikanischen filmischen Vergangenheit eingespielt hat. Harriet wird eindringlich von Cynthia Erivo gespielt, die natürlich eine Oscar-Nominierung dafür erhalten hat. Sie lebt diese Rolle und wertet den häufig etwas penetrant erscheinenden Film etwas auf. Was bleibt ist die Freude über Diversität, über die Chance, dass HUMANISMUS durch solche Werke ausschließlich die eine und einzige Lösung für alle Menschen wird, weil es eben solch‘ wunderbaren Künstler gibt, die solche Zeilen schreiben und weitere die sie in so einem Film für immer vortragen und zum Bleiben verordnen: 

"Die Rettung von Sklaven erfordert Geschick und sorgsame Planung. Und man muss lesen können, Harriet! Kannst Du Schilder lesen, Karten, Straßennamen? Kannst Du überhaupt lesen?" - "Ich bemühe mich eher, ganz klar Gottes Stimme hören zu können." - "Du hattest Glück, Harriet! Es gibt nichts mehr, was du tun kannst." -

"Erzähl mir nicht, was ich tun kann! Ich bin allein bis hier hergekommen. Gott hat über mich gewacht.

Aber es waren meine Füße, die rannten, bluteten, ich bin geklettert, fast ertrunken, hatte nichts zu essen tagelang. Aber ich bin jetzt hier! Also sag mir nicht, was ich kann oder nicht kann."

Stationsvorsteher*

Alan Lomax

*https://de.wikipedia.org/wiki/Underground_Railroad

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