The Devil All The Time – António Campos

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  21. September 2020, 16:15  -  #Essay, #Filme

The Devil All The Time – António Campos

Ich habe mir in den letzten Tagen viele Gedanken zu der Geschichte und dem Autor des Filmes THE DEVIL ALL THE TIMES (2020) gemacht. Der Autor heißt Donald Ray Pollock und zu meiner geringen Überraschung, erfüllt er all‘ die Vorstellungen die ich im Kopf hatte, als ich mich fragte, wer zum Teufel so viel Scheiße gefressen haben muss, um so ein düsteres Gesellschaftsbild zu schaffen.

Pollock wuchs in Knockemstiff (Ohio) auf. Die Erzählstimme erklärt uns -sofort im Bann befindlichen Zuschauern- was es bedeutet, in so einer Stadt aufzuwachsen und in einer nicht weit entfernten anderen Stadt, die Chillicothe heißt, mit Jobs in Schlachthöfen und Papiermühlen seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Der Mann ist somit erst mit 45 Autor geworden und wir alle können nur froh sein, dass er nicht zum Massenmord tendierte. Pollock hat bisher einige Kurzgeschichten und drei maßgebliche Bücher geschrieben. DAS HANDWERK DES TODES ist die Vorlage zu dem nun bei NETFLIX erschienen Film.

Und somit ist wahrscheinlich auch der Roman ein Höllenritt und ebenso aufwühlend wie der 140 Minuten lange Film.

Wissen Sie ich will Ihnen hier nichts vormachen. Die menschlichen Abgründe die sich in diesem Streifen auftun sind von großer Grausamkeit geprägt, aber eben auch in einem großen Film umgesetzt. Die Geschichte spielt zwischen den Jahren 1945 und 1966, in dem bereits genannten geografischen Angelpunkt Ohio und beschreibt die schweren Schicksalsschläge und nicht immer richtigen Entscheidungen der Protagonisten zwischen religiösen Wahn und zwei großen Kriegen.

Stilistisch ist der ehr unbekannte Regisseur Campos, daran interessiert große Bilder zu schaffen. Was ihm weitestgehend gelingt, auch wenn die Inszenierung visuell erkennbar zwischen den Filmen ROAD TO PERDITON (Sam Mendes, 2002) und NO COUNTRY FOR OLD MEN (COEN BROTHERS, 2007) zu verorten ist. Wer meine Filmkritiken sonst liest, hat wahr genommen, dass ich mich zu solchen Vergleichen ungerne hinreisen lasse. Und der Film wird in die Geschichte eingehen, weil hier ein männlicher Cast an den Start geht, der in den 1960ziger Golden Age Jahren für ein weltweites Rumoren, weit neben all dem jetzigen Nerdismus und Filmliebhaberei gesorgt hätte. Ein Best Off der jungen Wilden (ich mag den Ausdruck überhaupt nicht, aber er charakterisiert einfach am einfachstem, was ich meine): Bill Skardsgard ist magisch als manischer Willard, übertrifft Brad Pitt in seiner Rolle als Mr. O’Brien in Terrence Malicks Masterpiece THE TREE OF LIFE (2011) tatsächlich, Tom Holland, der neue Spider-Man ist atemberaubend und seine Rollenanlage des Arvin Russell ist unendlich diskutabel in einem positiv Sinn, weil sie irgendwie innovativ, frisch und unique ist, Robert Pattinson als Preson Teagardin, spielt sich frei und spätestens Tarantino hätte ihn irgendwann auf seine Payroll genommen, wenn wir einmal genau nachdenken, auch zu recht. Weiter geht’s noch zu den Nebendarstellern, die insbesondere in den weiblichen Nebenrollen, alle ausufernd bewegend sind bis hin zu dem unfassbaren Harry Melling, den wir bereits als Dudley Dursley bei Harry Potter kennengelernt haben und nun das Thema Arachnophobie auf ein neues epochales, „das will ich nicht nochmal sehen Level“ bringt.

Wäre dieser Film vor 10 – 20 Jahren im Kino erschienen, wäre es einer der Filme des Jahres geworden. Ein Streifen über den wir gesprochen hätten, der morgens beim Kaffee im Büro und bei Treffen mit Freunden besprochen worden wäre. Wir hätten uns über den Film gestritten und uns später wegen der gemeinsamen Liebe zum Kino wieder umarmt. Heute ist der Film im Ranking von NETFILX auf Platz 4, keiner spricht drüber und morgen wird er vergessen sein.

Das aber liegt nicht an der vorhandenen Filmkunst, der angewandten Cinematographie oder der wunderbaren Kunst der Darsteller, Menschen so eindringlich darzustellen. Nein, liebe Leser! Es liegt an uns! Es liegt gottverdammt noch mal uns!! …dass solche Filme nicht mehr wahrgenommen werden und unserem fehlenden Respekt vor dem Entstehungsprozess und der dahinterliegenden künstlerischen Dimension.

Vermehrt höre ich, dass Leute sagen, sie haben Netflix gesehen, wenn diese einen Beschäftigungszweck angeben. Was genauso dumm ist, als wenn jemand sagt, dass er gerne Musik hört, die im Radio läuft. Es ist furchtbar, furchtbar…

Alexander Müller hat in der FAZ über THE DEVIL ALL THE TIME geschrieben: „Niemand kommt ungeschoren davon in diesem Höllenritt von Roman.“ Das gleiche gilt auch für den Film. Und vielleicht ist, dass das große Legat dieser Geschichte.

Aus dem mittleren Westen der USA

Alan Lomax

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