William Goldman

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  17. November 2018, 13:20  -  #Vergessene Helden

Bildquelle: Deutschlandfunk

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Drehbuch. Auch ohne Vorwissen lässt sich die Bedeutung des Wortes aus sich selbst heraus ableiten: Das Buch nach dem ein Film gedreht wird. Gibt es ein Buch, dann gibt es auch einen Autoren.

Mit Beginn der 80er Jahre wuchs das Interesse am Kino. Es war ein Prozess, kein einmaliges "Aha!"-Erlebnis. Der Vorspann wurde mit der Zeit genauso interessant, wie der Film, der folgen sollte. Unser Interesse wurde geweckt: Wer waren all die Menschen, die zum Gelingen eines Filmes beitrugen? Welche Aufgaben hatten sie bei der Entstehung eines Filmes? Über die Schauspieler, den Filmmusik-Komponisten und Cutter gelangte zunehmend auch der Drehbuchautor in den Fokus.

Seine Aufgabe ist es eine Vorlage zu liefern, die die Basis eines jeden Films darstellt. In dem Buch ist nahezu alles enthalten, was notwendig ist: Kameraeinstellungen, Dialoge, die Geschichte. Je besser dieses Drehbuch ist, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass daraus ein guter Film werden wird.

Noch vor wenigen Tagen schrieb ich, dass "die Luft raus ist", im Zusammenhang mit Butch Cassidy And The Sundance Kid, einem Film, zu dem William Goldman das Drehbuch schrieb. Jahrzehnte zählte er zu meinen Lieblingsfilmen und zu den allgemein anerkannten Klassikern der Filmgeschichte. Etwas, das vorher als gut empfunden wurde und jetzt eine neuerliche Bewertung erfährt, muss das Dagewesene nicht in seiner Qualität mindern. Ein Grund, warum Zwei Banditen einen so hohen Stellenwert genoss, waren Redford & Newman, die Regie von George Roy Hill und die Kamera von Conrad Hall. Derjenige, der das alles aber erst ermöglichte war:

WILLIAM GOLDMAN.

Goldman legte in den 70er Jahren den Grundstein zu 3 Filmen, die weiterhin im persönlichen Kanon einen enorm hohen Stellenwert geniessen und auch abseits persönlicher Vorlieben zu Klassikern der Filmgeschichte gezählt werden:

Der Marathon Mann.

Die Unbestechlichen.

Die Brücke von Arnheim.

William Goldman

Der "Schock" saß tief, v.a. nach Der Marathon Mann. Die Autoren früherer Filme gingen konform mit der Studio-Politik, Gut und Böse waren klar getrennt, am Ende gewann die Held und der Zuschauer verließ mit Genugtuung den Saal. Die Western der 40er und 50er Jahre gehörten dazu, aber auch Hollywood-Melodramen und eine ganze Reihe von Abenteuerfilmen.

Dann kam Goldman und mit ihm einer der verstörendsten Filme der 70er Jahre. Man muss sich dessen bewusst sein: Der Erfolg dieser Filme und ihre permanente Erwähnung in allen möglichen Bestenlisten ist zu einem beträchtlichen Teil Goldman geschuldet. Optisch, inhaltlich und schauspielerisch war Der Marathon Mann umwerfend und schuf eine so düstere und beklemmende Atmosphäre, dass er in der Folgezeit zu den berühmten "Angst-Filmen" von mir und Lomax avancierte. Gemeint ist damit, dass der emotionale Nachhall solcher Filme so gewaltig war, dass nach dem Betrachten eine ganze Zeit lang nichts anderes mehr möglich war. Der Film kam einem einzigen Albtraum gleich und wer will einen solchen immer wieder über sich ergehen lassen? Ein meisterhafter Thriller mit einem unglaublich guten Drehbuch.

Nach diesem Film und vielen anderen der 70er Jahre wurde alles anders. Lomax schrieb es bereits in seinem Nachruf: Das Interesse ging soweit, und wurde auch durch William Goldman entfacht!, dass wir anfingen, uns für die Kunst des Drehbuch-Schreibens zu interessieren und die beiden von Goldman geschriebenen Bücher wurden zu persönlichen Meilensteinen.

Ein Beispiel: Goldman wurde gefragt, warum der Held, der Protagonist eines Films, in einer Großstadt immer einen Parkplatz bekommt, genau dort, wo er hin möchte? Das sei unrealistisch! Daraufhin antwortete er: Man könne mit der Kamera dem Schauspieler auch minutenlang folgen, wie er genervt einen Parkplatz sucht, um ihm dann zum Ziel zu folgen, nur dann würde der Film sich ewig in die Länge ziehen und der Zuschauer genervt den Saal verlassen!

Das versteht sich von selbst mag man denken, erklärt aber, dass Filme einer bestimmten Dramaturgie folgen müssen und an eine zeitliche Vorgabe gebunden sind. Der Autor muss also viel bedenken, wenn er den Zuschauer bei der Stange behalten will. Solche Erkenntnisse und viele andere mehr führten dazu, dass sich Lomax und mir neue Universen eröffneten!

William Goldman

Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich das erste Mal Die Unbestechlichen an einem Sonntag im Fernsehen sah: Ich verstand so gut wie nichts! Die US-Amerikanische Politik und Geschichte waren mir vollkommen fremd und auch das Thema, um das es ging und trotzdem sass ich wie gefesselt vor dem Bildschirm und verfolgte staunend, wie Redford und Hoffmann Schritt für Schritt  als Journalisten die Wahrheit aufdeckten. Ich war einerseits hingerissen von der filmischen Qualität von All The President's Men, andererseits konsterniert ob der Umsetzung dieses Themas. Erst nach einigen mehrmaligen Betrachten erschloss sich mir die zeitlose Qualität dieses Meisterwerks, der zu einer Blaupause für alle noch kommenden Filme aus diesem Genre werden sollte.  Was für eine bravouröse Leistung des Drehbuchautoren, aus einem Tatsachenbericht die Vorlage für einen Film zu liefern! Goldman's Einfluss ist bis heute zu beobachten, siehe auch den kontrovers diskutierten Die Verlegerin auf diesem Blog.

William Goldman

Die Brücke von Arnheim (A Bridge Too Far) von Sir Richard Attenborough avancierte gleich nach dem ersten Sehen zu meinen Lieblingsfilmen. Das lag nicht nur an der grandiosen Musik von John Addison und der grossartigen Kamera von Geoffrey Unsworth, sondern auch hier wieder an der Vorlage von Goldman. Der Vorspann, in dem Liv Ulman mit einer tief traurigen Stimme für den Zuschauer die Grauen des Zweiten Weltkriegs zusammenfasst und das bevorstehende Ende einer Diktatur, brannte sich unauslöschlich in das Gedächtnis ein. Ein gigantisches Projekt gespickt mit Weltstars, von der Kritik eher durchwachsen und negativ bewertet, hinterliess auf mich einen immensen Eindruck. Goldman beherrschte auch hier seine Kunst par excellence!

Wie sehr ein Künstler wie er aber auch ein Produkt seiner Zeit ist und der ihn umgebenden Menschen gleich hohen Talents, zeigt sein weiterer Werdegang: Filme sind immer das Produkt vieler Menschen und das Endergebnis, ob nun "gut" oder "schlecht", ist nicht nur immer der Erfolg oder die Schuld eines Einzelnen.

Misery sah ich im Kino Am Thielenplatz in Hannover (!) und war sehr beeindruckt. Nicht nur wegen Kathy Bates, auch ob der immensen Spannung, die Regisseur Rob Reiner und Autor Goldman kreierten. Grossartige Suspense und eine kritische Auseinandersetzung mit Nerds und Fans (das Wort hat seinen Stamm im Fanatismus). Ich habe ihn danach nie wieder gesehen. Aber auch dieser Film eignet sich nicht für einen Genuss "nebenbei".

​​​​​​​Alle weiteren Filme, die folgten waren ausnahmslos gehobenes und gutes Kino.

Kein Künstler, auch Goldman nicht, kann permanent aussergewöhnliche Leistungen liefern, das ist nicht möglich und wäre unmenschlich. Chaplin war durchschnittlich, wenngleich mit einer schönen Musik von John Barry und einer aussergewöhnlichen Leistung von Robert Downey Jr., Last Action Hero gehört zu den exzellenten B-Filmen mit Arnold Schwarzenegger, Maverick ein humorvoller Western mit Mel Gibson und James Garner mit zum Teil arg industrialisiertem Humor, Der Geist und die Dunkelheit ist ein sehenswerter und spannender Abenteuerfilm alter Schule mit einem grossartigen Score von Jerry Goldsmith, Absolute Power ein eher durchschnittliches Eastwood-Vehikel und zum Ende setzte Goldman einen Höhepunkt mit dem Militär-Thriller Wehrlos - Die Tochter des Generals mit John Travolta.

Ich liebe Bücher und ich bewundere Autoren.

Am 15. November 2018 verstarb einer der besten Drehbuchautoren aller Zeiten.

Mit Hochachtung vor einem Künstler,

Rick Deckard

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