THE NIGHT OF (HBO) - Steven Zaillian

von Rick Deckard  -  6. August 2017, 16:36  -  #Fernsehen

Copyright/ Bildquelle: HBO

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Was für ein Albtraum!

Der in New York lebende pakistanisch-stämmige College Student Nasir Khan klaut das Taxi seines Vaters, um zu einer Party zu kommen. Auf dem Weg dahin verirrt er sich und verbringt den Abend bei einer unbekannten Frau. Noch in der gleichen Nacht wird es des Mordes an eben dieser Frau bezichtigt, angeklagt und landet in Untersuchungshaft.

Die 2016 bei Home Box Office erschienene erste Staffel der Serie THE NIGHT OF ist ein Thriller im Serienformat. Es tut der Qualität keinen Abbruch, dass sich die Serie der klassischen Genremuster bedient: Junge trifft Mädchen, Junge verliert Mädchen, der Boden wird ihm unter den Füßen weggezogen.

Die Frage nach dem Täter schwebt in jeder Folge in der Luft: Hat er es getan, oder nicht? Doch THE NIGHT OF bezieht die Spannung vielmehr aus den Konsequenzen einer möglichen Tat: Der Zerfall der Familie. Die Anfeindungen. Die ohnehin seit 9/11 schwelenden Ressentiments.

Das durch eine Straftat von heute auf morgen radikal veränderte Leben aller direkt oder indirekt beteiligten Menschen ist das Kernthema der Serie. Ohnmacht, Wut, quälende Ungewissheit, Hoffnungslosigkeit. Nichts ist so, wie es einmal war und es wird nie wieder so sein.

Auch wenn genretypische Konventionen der Erzählung zugrundegelegt werden (gewöhnlichen Menschen widerfährt ungewöhnliches), so liegt die Kunst der Geschichte darin, wie sie erzählt wird. Das ist die grosse Stärke der 1. Staffel.

New York in grauen und düsteren Tönen. Diese so schöne Stadt hat man selten in diesen Schattierungen gesehen. Die Kameraarbeit ist von zum Teil exquisiter Qualität.

Ein weiteres Thema ist das komplizierte und für uns Europäer nur schwer verständliche Rechtssystem. Wie in den einzelnen Folgen überdeutlich wird, geht es, wie so häufig im Leben, den Mitgliedern dieses Clubs aus Anwälten, Richtern und Polizisten gar nicht so sehr darum der eigentlichen Wahrheit nahezukommen, sondern für sich vorteilhafte Deals der eigenen Eitelkeit wegen auszufechten. Ein Menschenleben spielt in diesem System eine untergeordnete Rolle.

Auftritt John Turturro als Anwalt John Stone. Die schauspielerische Leistung ist ein weiteres Argument für THE NIGHT OF. Mit einer ausdrucksstarken Leistung weiss der Schauspieler sehr facettenreich zu überzeugen. John Stone ist keiner der typisch gelackten Juristen, sondern eher ein leicht heruntergekommener, von Neurodermitis und Geldsorgen geplagter Mann, der mit allen windigen Mitteln versucht durch das Leben zu kommen. Gewiss keine Identifikationsfigur, aber durch die Authentizität sehr lebensnah und dadurch auf den zweiten Blick sympathisch.

Turturros Leistung wird komplettiert durch die ebenfalls sehr gute Leistung von Riz Ahmed, der den Angeklagten spielt. Zuletzt war der Rapper und Schauspieler in Jason Bourne und Rogue One zu sehen.

Mich hat diese Serie als jemandem, der dem sterbenden Kino noch immer den Vorzug gibt, überzeugt. Eine der wenigen Perlen im ansonsten inflationär schlechten Serienkosmos. Es gilt an dieser Stelle Dank an Alan Lomax auszusprechen, "Mitstreiter und Kompagnon", der nicht nur Song- sondern auch Serienhunter ist und dem ich diese ausgezeichnete Unterhaltung zu verdanken habe.

Es bleibt zu hoffen, wenn auch die erste Staffel in sich geschlossen (auf wunderbare Weise) endet, dass in diesem Fall eine zweite in Auftrag gegeben wird.

Aus New York,

Rick Deckard

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