The Night Of – Richard Price, Steven Zaillian

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  12. April 2017, 17:27  -  #Fernsehen

The Night Of – Richard Price, Steven Zaillian

Kein Spoiler

Ich erlebe diese acht teilige HBO Miniserie wie im Rausch. Die grau-schwarzen nächtlichen Straßen von New York. Das hektische Treiben in Chinatown und auf den Straßen von Manhattan. Die Brutalität auf der Gefängnisinsel Rikers Island und die kalten Räume der Gerichtsverhandlungen.

Es gibt Momente da möchte ich vorspulen, weil ich die nächste Sequenz kaum erwarten kann. Dann möchte ich wieder zurückspulen, um das gerade gesehene nochmals zu zusehen. Ich möchte Pausen machen, um kurz nachzudenken, ertrage es dann aber doch nicht aus der Erzählung rausgerissen zu werden.

Ich verliebe mich in jede einzelne Figur der Serie. In jeden Charakter der etwas sagt. Ob es nun Nasir Khan (Riz Ahmed) als Mordverdächtiger ist, Chandra Kappor (Armara Karan) Khans Anwältin, Freddy Knight (Michael K. Williams) ein Häftling, der unfassbare Bill Camp als Dennis Box, verantwortlicher Detektiv und natürlich der ab sofort zur Kinogeschichte gehörende John Turturro der den Anwalt John Stone gibt.

Es ist ein glücklicher Zufall, dass John Turturro die vorgesehene Hauptrolle von Bob De Niro übernommen hat. Klar, ich liebe De Niro, aber was Turturro in dieser 8-teiligen Miniserie abliefert ist gelinde gesagt die oberste Schauspielkunst. Und zwar nicht nur bei der Interpretation der Rolle durch den amerikanischen Schauspieler, sondern auch was die Anlage der Rolle durch die beiden Masterminds und Showrunner der Serie Price und Zaillian angeht.

Diese ganze HBO Miniserie ist ein außerordentliches Phänomen, weil die Geschichte, in der Stadt, mit den Hauptfiguren und den sozialen Konflikten schon tausend Mal erzählt wurde. Von Raymond Chandler Hardboild Novels, hin zu Polanskis CHINATOWN bis zu den SOPRANOS! 

Dann aber entflammt erneut das HBO Sendezeichen aus dem weißen Rauschen und der Zuschauer wird ab der erste Sekunde in einen ungeheuren Bann gezogen: In eine sozial-psychologische Abhandlung über das Justizsystem, über Schuld, Gerechtigkeit und die ewige Frage an den Zuschauer: Kannst Du objektiv bleiben und vorurteilsfrei?

Wie eine Mahnung schwirrt dieser Satz unsichtbar über meinem Devise, allerdings bleibt der erhobene berühmte Finger lieber in der Knasthose stecken, als anderen damit aufzuzeigen. „Nas! …merk Dir eins, wenn du hier überleben willst! Schau den Leuten nicht in die Augen! Aber viel wichtiger, Nas, ist es den Leuten in Augen zu schauen! Nas: Ich verstehe nicht! Mitgefangener dreht seinen Kopf von der rechten zur linken Schulter, macht dabei 4 Pausen und sagt: Bub, Bub, Bub, …Bub!“ 

Einschub: Wenn man wie Rick Deckard und ich das Kino und insbesondere die Charaktere und deren Monologe oder Dialoge liebt, wird man zwangsweise zu einer Zitiermaschine. Gängige Filmzitate zu zitieren kann jeder. Es sind eben diese scheinbar unbedeutenden Sequenzen die ein Filmzitat bedeutend machen. Da der Satz und die Art und Weise wie der Satz ausgesprochen wurde und in welchen Klimax sich die Schauspieler gerade bewegen entscheidend ist. Das genannte Zitat ist das richtige. Glaubt es mir…

Diese acht Teile erlebe ich wie im Rausch. Ich habe gerade mal ein Zeitfenster von 30 h benötigt, um alle Teile zusehen. Ich wurde mitgerissen in einen Strudel aus Fragen, Poesie, allerhöchster Cinematographischer Kunst und der Herausforderung mich mit dem gutmütigen Rechtsanwalt John Stone zu identifizieren und gleichzeitig den Angeklagten Nasir Khan nicht zu verurteilen. 

Und es ist New York als Hauptdarstellerin. Serien wie SUITS die in New York spielen werden häufig in Kanada gefilmt. So spart man Geld. Aber Zuschauer sind nicht doof! Man merkt es jedem cm Film an, der einen verarscht und einem Seattle zeigt und nicht die Stadt der Träume. 

Es ist somit auch die Wahrhaftigkeit einer Stadt, seiner Menschen und Träumen und deren Ängste und Wünsche im täglichen Wahnsinn des Überlebens und gesellschaftlichen Widrigkeiten. Die Kamera transportiert das. Die Tiefenschärfen sind stimmig. 

Zufällig habe ich vor einigen Tagen „Fegefeuer der Eitelkeiten“ von Brian De Palmer und „Night On Earth“ von Jim Jarmusch gesehen. Wer sieht da nicht eine Hommage an das Kino und an diese unglaubliche Stadt, in der so unfassbare Menschen wohnen wie der gutmütigste aller Rechtsanwälte John Stone. Der ab sofort einer meiner neuen Helden ist!

Mit seinem Handy ein Selfie machend in den Straßen der Bronx vor einem qualmenden Gullideckel!

Alan Lomax

 
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