Serienüberblick – April 2016 (Ohne Spoiler)
Um die selbstdarstellerische Eigennützigkeit etwas zu reduzieren und den Servicegedanken dieser Seiten wieder etwas zu forcieren, bieten ich nun einen kleinen Überblick über die Serien des Frühlings an. Somit wünsche ich an dieser Stelle schon mal ein erfolgreiches Binge Viewing. Denn was gibt es schöneres, als sich aus dieser verstörenden Welt kurzfristig zu verabschieden um einen feinen Serienmarathon zu starten:
HOW TO GET AWAY WITH MURDER – STAFFEL 1
Shonda Rhimes ist sowas wie die Ophra Winfrey der amerikanischen Serienunterhaltung. Die Erfinderin von PRIVATE PRACTICE und GREY’S ANATOMY hat bei dieser ehr dem Krimigenre neigenden Serie, als der Justiz, freie Hand von den ABC Studios bekommen und sich so dem schnell entstehenden vorschnellen Vorwurf der leichten Unterhaltung gekonnt entzogen. Dennoch warne ich davor, diese Serie zu gucken, wenn man keine Affinität zum US-Amerikanischen Mainstrem hat.
Die Serie spielt auf der Middleton Law School, wo die Professorin Annalise Keating das Heft als praktizierende und lehrende Strafverteidigerin in der Hand hat. In jedem Semester wählt sie fünf besonders talentierte Studenten aus, damit diese der Juristen bei der Verteidigung ihrer Klienten unterstützt.
Neben den kurzweiligen Fällen pro Folge, gibt es eine am Anfang recht undurchsichtige formale Handlung und einen Mordfall in dem die Auserwählten ebenso verstrickt sind, wie die brillante Professorin.
Das Ganze ist leichte Kost, aber recht gefällige Unterhaltung für den Nachmittag. Lange wird man von dieser Serie nicht sprechen, dennoch empfehle ich die ABC-Serie als recht positive Neuerscheinung, weil sie sich recht spektakulär und vertrackt entwickelt.
SUITS – Staffel 1-3
Im Mittelpunkt dieser Rechtsanwaltsserie stehen Harvey Specter und Mike Ross. Beide sind recht adrette Typen, die für New Yorks führende Kanzlei arbeiten. Der etwas jüngere Mike Ross stellt dabei den hochbegabten Hochschulabbrecher dar und der Senior Partner Specter gehört zu den Top-Anwälten die nicht verlieren (können).
Ähnlich wie bei HOW TO GET… bietet jede Folge einen abgeschlossenen Fall und eine recht absurde Rahmenhandlung. Beide Handlungsstränge sind aber stets unterhaltsam, kurzweilig, intelligent.
Wenn man einen Rest kritischen Geist in sich empfindet, wird man am Anfang leicht aufstoßen. Denn was uns Showrunner Arron Korsch vorsetzt sind Yuppies und Neoliberale Ansätze, dass es schon leicht zu stinken anfängt. Der spröde Garbiel Macht (Harvey Specter) trägt nicht gerade dazu bei, dass die Serie voran kommt und so bleiben erstmal nur die grandiosen Bilder und Kamerafahrten zwischen den Schluchten New Yorks im Kopf, die nicht in New Yoek gedreht worden sind.
Nach und nach, stellt sich aber heraus, dass diese Serie schneller erzählt, als so manches Hirn denken kann. Die Dialoge zwischen den Protagonisten sind messerscharf und kompliziert. Somit setzt sich nach und nach ein recht komplexes, unterhaltsames Bild, einer Welt zusammen, die man nicht mögen muss und schon gar nicht verstehen will, aber trotzdem fasziniert. Vielleicht auch, weil man niemals selbst so werden möchte, wie diese ganzen traurigen Gestalten in der Serie, die die amerikanische Rechtschreibung sehr frei interpretieren und zu ihren Gunsten verhandeln.
THE WALKING DEAD – Staffel 6
Am Anfang habe ich noch über jede Staffel der Serie geschrieben. Dann habe ich aufgehört. Nicht zuletzt, weil die recht langen Abhandlungen, über Serien kaum zusammenfassbar sind bzw. ab einen gewissen Punkt auch keinen Sinn mehr für den Leser ergeben.
Zu der aktuellen Staffel, kann ich nur sagen, dass diese Serie, natürlich die derzeit streitbarste aller TV-Shows geworden ist. Es ist nicht wirklich überraschend und auch vollkommen nachvollziehbar, dass sie sich so entwickelt hat und die lebendigen Leichen schon lange nicht mehr im zentralen Mittelpunkt stehen, sondern die moralische Verrottung unserer Helden, die die Grenze zwischen Gut und Böse bereits lange übertreten haben, um einen neuen Überlebenskodex für sich selbst entwickeln, der aus unserer klein-bürgerlichen Sicht recht brisant ist.
Ob man sich nun ansehen möchte, wie das ganze (sind wir doch mal ehrlich) menschenverachtend weitergeht, muss jeder für sich selbst entscheiden! Aber ich warne davor, ohne den mahnenden Zeigefinger zu erheben, diese Staffel und die drei davor auf die leichte Schulter zu nehmen oder sich anzusehen, wenn man dem Genre nicht zugeneigt oder zumindest psychologisch gefestigt ist.
Man sollte zudem jemanden zum Reden haben. Mir geht es immer so, dass ich nach jeder Folge, tatsächlich „fertig“ bin und viele Fragen in mir ausgelöst werden, die mit denen ich so kaum jemals konfrontiert worden bin. Es bleibt ein Trip. Und zwar ein ungeheuerlich spannender und ernstzunehmender.
Abgesehen von der Eigenverantwortung den die Macher der Serie bei jedem Zuschauer voraussetzen, ist THE WALKING DEAD derzeit über der Linie der besten Serien. Erzähl technisch und dramaturgisch überschreitet jede einzelnen Folgen Grenzen an Kreativität und Intelligenz. Eine künstlerische Frage stellt sich aus cineastischer Sicht erst bei der zweiten Sichtung, da die moralische Textur und Philosophischen Fragen auf eine solch absonderliche Weise geschickt an den Zuschauer übertragen werden, dass sich große Literaten und kreative Schreiber die Zähne am Bleistift auskugeln werden.
AMERICAN CRIME – Staffel 2
Bereits die erste Staffel hat mich aufgrund der spannungsgeladenen und qualitativ hochwertigen Erzählform sehr euphorisch gestimmt: http://www.lomax-deckard.de/2015/05/american-crime-john-ridley.html
Allerdings muss ich revidieren, dass die zweite Staffel sich mit dem Fall O. J. Simpson beschäftigt. Das ist schlichtweg falsch.
Die zweite Staffel greift erneut einen recht komplexen Fall aus der Mitte der amerikanischen Gesellschaft auf. Hauptsächlicher Handlungsort ist diesmal eine teure Privatschule. Eine Mutter beschuldigt die Spieler des erfolgreichen Basketballteams ihren Sohn (!) vergewaltigt zu haben und zweigt den Vorfall bei der Schulleitung an. Der Skandal steht vor der Tür, Polizei und Medien verstehen nur die Hälfte.
Die Gründe sich diese Serie ansehen zu müssen sind vielfältig. Zunächst ist da die absolut hochwertig und filmisch interessante Umsetzung und Produktion von John Ridley, der hier einen famosen Erzählstil gewählt hat. Als Zuschauer kann man sich der Geschichten über das zeitgenössische Amerika nicht widersetzen. Die Kamera spielt dabei eine wichtige Rolle. Ridley Einfälle sind dabei schockierend, zwischen bestem Handwerk und totaler Expression.
Zudem macht es Spaß den grandiosen Cast aus der ersten Staffel in total anderen Rollen wieder zu sehen. Ehemalige Gauner und Opfer spielen nun auf der anderen Seite und die vermeidlich Gute, spielen die Bösen. Ein genialer Schachzug der Serie um dem Zuschauer klar zu machen, dass diese scheinbar schrägen Verästelungen jedem passieren kann. Egal, ob White Trash oder gehobenes Bildungsbürgertum.
Meine Top-Empfehlung dieser Session. Die Dynamik der Geschichte, die unglaubliche Hilflosigkeit aller Beteiligten und der Blick in die Wohnzimmer der amerikanischen Gesellschaft, ohne direkt zu be- oder verurteilen ist sehr faszinierend. Nach jeder Folge sitzt man verzweifelt vor dem TV-Gerät und schüttelt fassungslos den Kopf, mit der ständigen Frage in einem, was nur los ist der Menschheit. Nun gut, die Flucht aus der anderen Welt gelingt mit dieser Serie natürlich nicht;-) …aber auch Realität und Gesellschaftskunde kann unterhaltsam sein. Auch ohne stereotype Fiktion, wie sie ja nun doch immer häufiger vorkommt in der Serienwelt.
BETTER CALL SAUL –Staffel 2
Alles über die Serie und Episode 1 erfahren Sie hier: http://www.lomax-deckard.de/2015/05/american-crime-john-ridley.html
Peter Gould ist der neue Showrunner der Serie, Vince Gilligan angeblich nur noch für die Nuancen und das Artdesign zuständig. Und man muss diesen Peter Gould und seine Serie wirklich bewundern, denn das hier ist die neue Entdeckung der Langsamkeit im besten Sinne. Natürlich hat das immer noch nicht’s mit einer Anwaltsserie zu tun und ich habe auch noch keinen Gerichtssaal in den vergangenen Staffeln gesehen.
Letztendlich ist aber auch der Genialität Jimmy Mc Gill zu verdanken, dass das Recht nach seinen eigenen Regeln erwirkt und erzielt wird. Man muss in einem Kurztext unbedingt die Kunst des Bob Odenkirk erwähnen, der hier einen der wenigen ganz großen bleibenden Charaktere der amerikanischen Fernsehunterhaltung der letzten 20 Jahre geschaffen hat.
Das interessante an dem gesamten Set-Up, ist, dass man sich nach Ende einer jeden Folge fragt, was eigentlich passiert ist? Erst wenn man dann noch einmal rekapituliert, fallen einem alle möglichen Dinge und Details ein. Während des Sehens ist man wie in einem Rausch des totalen Schlummerns.
Nochmal möchte ich dringend darauf hinweisen, dass Better Call Saul, nicht’s mit Breaking Bad gemein hat und es sich auch nicht um ein Spin-Off handelt. Wenn ich dann irgendwo lese, dass diese Serie vor sich hin plätschert, dann würde ich am liebsten ohne Licht und Strom im dunkeln liegen…
Aus dem Hinterzimmer, eines vietnamesischen Nageldesignstudios.
Alan Lomax