CHVRCHES – Köln E-Werk – 04.04.2016
Diese Band macht als Ganzes Sinn, weil sie wie eine klassische Rockband funktioniert, die sie natürlich nicht sind. Ian Cook, Lauren Mayberry und Martin Doherty schreiben und produzieren ihren kinetischen charttauglichen Elektro-Pop selbst und legen somit auch Wert auf den eigenen komplexen künstlerischen Ansatz. Dabei sind die beiden Herren auch keine unbekannten und bringen jede Menge Erfahrungen von Bands wie Aerogramme, The Unwinding Hours und The Twilight Sad mit.
Bei Elektropop-Trios, Bands oder Solokünstlern ist das nicht immer so. Inzwischen weiß jeder, dass es nicht sehr schwer ist eine melodiöse Hymne mit ein paar verschlurften Beats und ein wenig gerumpele und gezierpele auf dem hauseigenen Laptop zu produzieren. Wenn Mutti dann noch eine einigermaßen gute Stimme hat, sollte der TOP10 Hit doch eigentlich schon fertig sein!?
Und ich will an dieser Stelle keine Namen nennen, denen das gelungen ist, sondern selbst mit einem Zitat auf dem Blumfeld Song „Wir sind frei“ punkten:
„Die Träume enden in den Charts / Bedienen eure Lieder / Ein Höhenflug und dann das wars / Die Erde hat euch wieder / Ihr Sklaven in der Überzahl / Wie lang noch wollt ihr leiden / Wer frei sein will, hat keine Wahl / Wir müssen uns Entscheiden“
An diesem Montagabend haben sich leider nicht ganz so viele Zuschauer für die schottische Band CHVRCHES entscheiden, die ihr zweites phänomenales Album EVERY OPEN EYE im halb ausverkauften E-Werk präsentierten.
Klar, da stehen eben zwei Männer hinter Maschinen und eine sehr süße Frau singt, es glühen ein paar (sehr viele) Lichter und es gibt einen sehr guten knackigen Sound zu hören. Wäre auch merkwürdig, wenn man das schlecht abgemischt bekommt! Unspektakulär? Von wegen! Wir sehen und hören eine kompakte, schlüssige Performance die an beste Laurie Anderson Tage erinnert und bekommen einen klassichen brillianten Vortrag mit grandiosen Synthesizer-Motiven geliefert der lange nachhallen wird und in den besten Momenten an New Order und Depeche Mode erinnern. Weil das Trio einen gültigen künstlerischen Gesamtansatz hat und nicht von 4 Produzenten und 7 Songwritern erfunden wurde, sondern nebst schönster Musik, einen tieferen Eindruck hinterlässt, als so manchen Gitarrenband, die bereits nach dem ersten Fis-Moll-Akkord die ersten Ideen ausgehen. Außerdem schaffen es die beiden Herren und insbesondere die besonders niedliche Lauren Mayberry sympathisch zu betonen, dass sie Musik- und Kulturkenner sind und ihre Musik, sowie Artdesign und Aussage triftig transformativ triezen.
…und so laufe ich dann den Rest der Woche mit einem beschwingten THE MOTHER WE SHARE im Herzen und einem peitschenden GUN im Glied durch die Gegend. Musik kann so schön, verstörend und lebensbejahend sein.
Mit dem Fuss auf einem MOOG Taurus stehen, wie Ian Cook, der überhaupt nicht zu alt für diese Band ist!
Alan Lomax