Motorpsycho – There Be Monsters

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  18. Februar 2016, 20:01  -  #Populäre Musik

Ganz schön kalt!

Ganz schön kalt!

 

Ich sollte es nicht mehr tun! Ich sollte nicht mehr über diese Band und deren musikalische Kunst schreiben! Zum Glück hat mir bisher noch niemand den Verlust des Realitätsbezuges unterstellt. Lese ich ältere Einträge von Platten- und Konzertbesprechungen -von mir- über die Norweger, überrascht die bisher unterlassene Diagnose einer zeitweiligen Motorpsychopsychose dann doch sehr. 

Doch wie mit dem neuen Album HERE BE MONSTERS umgehen, ohne mit dem unmittelbar gegebenen Phänomen der Band Ansätze im philosophischen oder psychischen Bereich zu finden? 

Und letztendlich ist es doch so, dass jeder der fanatischen Motorpsychofans die Musik der Band schon längst nicht mehr als alltägliches Rockmusikwerk versteht, sondern sich einen umfassenden Sinn zur Umschreibung zurechtlegt, der entweder die eigene Psyche oder die Musik der drei Musiker als Weltanschauung versteht.

Ich meine lesen Sie doch z. B. mal die aktuelle Plattenkritik von Oliver Polak zu seinem Motorpsycho-Moment bei Spiegel-Online: http://www.spiegel.de/kultur/musik/neue-cds-kanye-west-animal-collective-motorpsycho-a-1077593.html

Klar, Polaks polarisierende Themenspreizung zwischen geschmackvoll und geschmacklos ist bekannt, aber bei der aktuellen Plattenbesprechung schreibt der Komiker immerhin von einem neuen Lebensabschnitt.

Wer in den letzten Jahren bei einem Konzert von Motorpsycho war, wird die besonders andächtige Stimmung des weitestgehend männlichen Publikums vernommen haben. Es wird leise gesprochen, manch einer, mit Rückenproblemen, malträtierter über-vierzig Jähriger steht seit Stunden vor der Bühne, um später wahrhaftig, impulshaft zu weinen, spontan die Arme hochzureißen oder einfach nur laut ein Juch-Hu zu rufen. 

Oder lesen Sie doch noch mal den Eintrag von unserem Gastautor John Ross Ewing: http://www.lomax-deckard.de/article-motorpsycho-stale-storlokken-the-death-defying-unicorn-koln-burgerhaus-stollwerck-17-04-2012-103894831.html

Man merkt in diesem Artikel seine zurückhaltende Euphorie, die dann aber kurz vor der Kernschmelze des brodelnden leidenschaftlichen psychotischen Ausbruchs steht. Vielleicht lag es an der etwas verschnörkelten Platte THE DEATH DEFYING…, aber glauben Sie mir, ich habe auch diesen empathischen Mann einige Male vor dieser Band niederkniend gesehen. 

Und natürlich, was soll ein Nicht-Motorpsycho-Jünger, über Familienväter die in der ersten Reihe eines Rockkonzertes stehen und weinen, über einen polarisierenden Komiker, einen Musikkenner, guten Freund und leidenschaftlichen Verehrer wie Ewing und eben mich, der die Ursachen für die Psychose Motorpsycho ergründen will, sagen? Etwa das sich der lebensgeschichtliche Kontext nur noch abbilden lässt, wenn man alle Alben besitzt oder seit dem Bandbestehen (1989) dabei ist? Oder etwa, dass diese Band nach über 20 offiziellen Alben nicht mehr in der Lage ist ein Album zu produzieren, welches Motorpsycho wieder einmal in Hochform zeigt?

Nein, nein! All‘ das ist nicht zulässig. Und neben allen subjektiv kommenden Superlativen inkl. meines psychotischen Verlustes der Realität gibt es kein einziges Argument, der Musik und der Kunst dieser Band zu wiedersprechen. 

Selbst Genreablehnende Gründe dürfen bei der Vielfalt, zwischen Jazz und Rock, ohne dass es Jazzrock ist, nicht geltend gemacht werden. Denn Motorpsycho haben längst ihre eigne musikalische Welt geschaffen. Eine eigene Welt: Zwischen Schwarz und Orange, zwischen laut und leise, zwischen Sonne und Mond, Wüste und Meer und menschlichem Geist und mystischer Fiktion.

HERE BE MONSTERS würde ich als unbedingte Referenzplatte in der Diskographie der Band erklären. Und das obwohl sie erst ein paar Tage alt ist. Nicht ganz! Die Aufnahme des Albums, wurden als Auftragsarbeit des Norwegischen Technischen Museums begonnen und bereits 2014 gemeinsam mit Stale Storlokken aufgeführt. 

Unter Motorpsycho Anhänger zu diskutieren, welches die beste Platte ist, macht keinen Sinn. Da jede Platte in der Geschichte der Band und selbst jedes Nebenprojekt seine Berechtigung hat. Außerdem ist das Gesamtwerk zu ausführlich und Phasenabhängig um die Scheiben gegenseitig zu beurteilen. 

Zusammenfassend und stark vereinfacht, kann man von zwei Sorten sprechen: Der klaren Motorpsychoidee eines Trios mit Schlagzeug, Gitarre und Bass und der erweiterten Idee eigene Grenzen mit erweitertem Instrumentarium oder Einflüssen über das Genre hinaus. 

Bei der zweite Variante wird die Band häufig psychedelischer und etwas euphorischer, weniger düster, vielleicht auch ein kleines weniger mehr Pop, obwohl diese Momente eben ehr, sagen wir mal stimmungsvoll, festlicher Natur sind! Außerdem wirkt die Musik bei dieser zweiten Sorte, ehr symphonischer und weniger hart, aber auch kurzweiliger. Natürlich ist dieser Absatz hier auch schon wieder bipolar missverständlich und absolut widerlegbar, dann allerdings wird er auch (im Sinne meines Gesundheitszustandes) von der achtzehnminütigen Nummer BIG BLACK DOG therapiert bzw. gleichwohl widersprochen; einer dichten, völlig entrückten, stark konzipierten und mit den der gesuchten Motorpsychomomenten versehen wunderbaren meditativen Über-Epischen-Komposition mit sehr, sehr großem Sendungsbewusstsein. 

Nach fast 26-jähriger Bandgeschichte bringen Motorpsycho eine großartige, abgrundtief schwierige, aber doch einsteigsfähige Platte heraus, die textlich genial und musikalisch unfassbar ist. 

Es ist wirklich wahr, wir alle, die irgendwas mit Motorpsycho zu tun gehabt haben in all‘ den Jahren, haben alles richtig gemacht. Wir haben auf eine Band gesetzt, die uns inzwischen so persönlich geworden ist, dass man immer noch von bedeutungsvoll sprechen kann und alle anderen inkl. „uns“ selbst immer noch staunend und begriffsstutzig zurück lässt, obwohl wir doch schon lange dachten, alles gehört zu haben und Musik zwischen Gestern und Heute lange verstanden zu haben….

Staunend, sprachlos und erstarrt!

Alan Lomax

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