The Homesman - Tommy Lee Jones
Wann der Realismus in den Western einzog, ist mir nicht mehr genau erinnerlich, vielleicht im Zuge des New Hollywood, der Filme eines Robert Altman, vielleicht mit Mr. McCabe und Mrs. Miller?
Der Mythos des "Wilden Westen" wurde von seinen eigenen Erschaffern zu Grabe getragen, so viel steht fest. Es sei in diesem Zusammenhang erinnert an 'Der Mann der Liberty Valance erschoss' von John Ford. Mich hätte interessiert, würde er noch leben, was Ford zu einem Western wie 'The Homesman' gesagt hätte.
Es ist interessant in der Historie des Western-Genre zu beobachten, wie sich diverse Regisseure mehr und mehr von einer verklärten Version des Westen lösten und den Zuschauer mit einer Realität konfrontierten, die eigentlich keiner sehen wollte, wenn er ins Kino ging.
Tommy Lee Jones treibt es mit seinem neuesten Film 'The Homesman' auf die Spitze. Hier ist nichts so, wie man es gemeinhin vom Westen gewohnt ist. Natürlich ist er weiterhin weit und wild, aber ein Traum den es zu verwirklichen gilt ist er nicht.
Der Regisseur und Schauspieler erzählt in seinem Film die Geschichte und das äusserst beschwerliche Leben von einer Pionierin tief im mittleren Westen der USA. Diese Mary Bee Cuddy, gespielt von Hillary Swank, besitzt Land und beackert es mit eigener Kraft und unbändigem Willen. Doch weil sie alleine überfordert ist, benötigt sie die Hilfe eines (Ehe-)Mannes. Heirats- und Kennenlernbörsen gab es damals nicht und erst recht kein Internet, also muss ein Low Speed Datig her und sie versucht mit einem Farmer anzubandeln, den sie zum Essen einlädt. Dieser empfindet die fromme Frau als "herrisch und trocken" und zieht von dannen, um im Osten eine Frau zu finden. Eine vergnügliche, aber auch Mitleid erregende Szene.
In dem kleinen Ort Loup im Nebraska Territory verlieren 3 Frauen den Verstand. In gnadenlosen und schonungslos brutalen Bildern zeigt Jones, wie diese Frauen einen Realitätsverlust erleiden und mutet dabei dem Zuschauer einiges zu. Cuddy erklärt sich schliesslich bereit, die Frauen über den Missouri River zu einer Pfarrei in den Osten zu bringen, weil man ihnen dort vielleicht helfen könnte. Sie erwartet ein unbarmherziger Ritt voller Gefahren und keiner erklärt sich bereit der Frau zu helfen.
Auf dem Weg stösst sie auf George Briggs, gespielt von Tommy Lee Jones, einem versoffenen, alten und ehemals desertiertem Soldaten, der ihr verspricht zu helfen, weil sie ihm das Leben rettet.
Der Westen in Jones Film ist kalt, menschenfeindlich, spröde und weit. Und eben diese Weite, die sonst der Hintergrund für romantische und spannende Geschichten ist, ist der Gegner des Menschen. Nichts ist einfach, alles eine überlebensgrosse Hürde. Dass Menschen den Verstand verlieren, ist angesichts dieser unbarmherzigen und erbarmungslosen Natur kein Wunder.
Das skurille Paar macht sich auf den Weg gen Osten. Sie, die gläubige Pionierin, er der vom Leben gezeichnete und desillusionierte Opportunist.
Wer glaubt, dass aus solchen Vorgaben kein unterhaltsamer Film zu erwarten sei, der irrt. Man muss sich auf die Erzählweise und die Motivation des Regisseurs einlassen und seine Sehgewohnheiten und Erwartungen über Bord werfen. So wie Jones es zeigt, muss der Westen vermutlich gewesen sein.
Der Film ist zeitgleich eine Huldigung und Würdigung der Pionierleistungen im Amerika des 19. Jahrhunderts und trotz der pessimistischen und zum Teil sehr deprimierenden Blickweise unterhaltsam. Man hat den Eindruck, dass Jones bewusst und mit diebischer Freude die Stereotypien, Blickwinkel und Verlogenheit Hollywoods demontieren und den Blick des Zuschauers schärfen will.
Dieses kleine Kunststück ist ihm mit 'The Homesman' gelungen.
Ihm zur Seite steht ein grossartig aufspielendes Ensemble mit beachtlichen Leistungen. Kameramann Rodrigo Prieto liefert Bilder von bestechender Schönheit, entlarvt aber zeitgleich diese Ästhetik als unwirtlich und tödlich. Marco Beltrami komponierte ein eingängiges und passendes Thema zum Film.
Wer den Western wirklich liebt, der sollte den Film nicht verpassen, insbesondere, weil er einen ganz anderen, äusserst realistischen und ehrlichen Blick auf den "Wilden Westen" liefert.
Rick Deckard