The Trouble With Harry - Alfred Hitchcock

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  30. Dezember 2009, 12:39  -  #Filme

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ch räume ein, dass eine meiner schlechtesten Eigenschaft die Ungeduld ist. Der aufmerksame Leser wird die "Idee Hitchcock" in diesem blog mitverfolgt haben: http://lomax.over-blog.de/article-alfred-hitchcock-eine-briefliche-antwort-an-mr-deckard-41624218.html; ...und siehe auch Kommentare "Ein irrer Typ"

Deckard, Du kennst diese schlechte Eigenschaft und kannst hoffentlich mit ihr leben. Im Gegensatz zu mir, bist Du ein Pragmatiker, der erstmal jeden Film auf dem Stapel liegen haben muss, bevor die Retrospektive gestartet werden kann. Das gibt Dir Sicherheit und zeigt Deine Sammlerwut, Deine filigrane Leidenschaft!

Ich kam gestern nicht umher, mir auf arte.tv Hitchcocks ersten Film mit Komponist Bernard Herrmann anzusehen. 

Die einzige, richtig angelegte Komödie Hitchcocks von 1956 gehört nicht zu meinen Lieblingsfilmen des Meisters. Was in erster Linie daran liegt, dass die langen Dialogen, einfach nicht mehr der heutigen Geschwindigkeit einer Komödie entsprechen! 

Es gibt Beispiele guter Komödien bei denen die Geschwindigkeit und der Witz zeitlos sind. "Eins, Zwei, Drei" von Billy Wilder oder "Sein oder Nichtsein" von Lubitsch gehören dazu. Es gibt auch entsprechende Kriminalkomödien die in der Betrachtung des Zuschauers funktionieren. Dieses Werk von Alfred Hitchcock gehört leider nicht mehr dazu.

Kleiner Einschub: Mir ist mit Beginn der erneuten Hitchcock-Retrospektive in diesem Jahr bewusst geworden, dass insbesondere die Zeit eine wichtige Rolle spielt. Dazu muss man die Filme in sechs Phasen einteilen:

Die frühen Filme (z.B. The Lodger) 1922-1933
Die englischen Meisterwerke (z.B. Sabotage) 1934-1939
Hitchcock in Hollywood (z.B. Rebecca) 1940-1947
Suspense in Farbe und Breitwand (z.B. Vertigo) 1948-1959
Zwischenspiel beim Fernsehen 1955-1962
Die Jahre der Reife (z.B. Psycho) 1960-1975

Ich denke dieses Schema ist wichtig, um die Filme einer würdigen Kritik zu unterziehen. Denn das sehe ich inzwischen als die Herausforderung. Es ist einfach, überschwänglich über Hitchcock Filme zu berichten. Fast alles ist gesagt zu diesem Thema. Jede inflationäre euphorische Begrifflichkeit ist gezogen worden. Aus meiner Sicht gilt es also zu prüfen, was es ausmacht, Hitchcock Filme heute als Kunst und Massenphänomen zu betrachten. So sollte auch der Link funktionieren, eine Abstraktion zum heutigen Kino herzustellen und zu verstehen, warum es einen Künstler, Filmemacher und Menschen, wie Hitch, nur einmal geben wird. 

Ebenso wichtig ist die Betrachtung des Menschen Hitchcock. Kaum ein Regisseur gab soviel von seinem eigenen Leben preis wie er. Kaum ein Regisseur ist so persönlich geworden wie er und hat es verstanden seine eigenen bürgerlichen Ängste an das Volk zu vermitteln. Womit er eben kein Nischenkino gemacht hat, sondern Unterhaltung für die Massen. Einer von uns, im besten Sinne!

Das Hitchcock die Menschen liebte, zeigt er z.B. seinem Film "The Trouble with Harry" aus der der Zeit "Suspense in Farbe und Breitwand". Die vier Hauptpersonen: Jennifer (Shirley MacLaine), Captain Wiles (Edmund Gwenn), Sam Marlowe (John Forsythe) und Miss Gravely (Mildred Natwick), zeichnet er so liebevoll, als eben möglich. Obwohl er ihnen eigentlich Verachtung schenken müsste, da sie verlogen, oberflächlich und ungeschickt sind. Insbesondere der spätere Denverclan-Chef John Forsythe, als Sam Marlowe, stellt dies gut dar. Ein kleinbürgerlicher Künstler, der sich für etwas besseres hält und eigentlich kein Talent hat. Denn seine "moderne Kunst" ist lächerlich, nur ein Portrait des Toten Harry, scheint gut getroffen und beweist, das er nicht mehr ist als ein guter Handwerker. Somit ist der Humor in dem Film ehr verschlagen, intellektuell!

Understatement hat Hitchcock immer amüsiert, und so lässt er seine Personen ganz nonchalant über die Leiche diskutieren. Es gibt wie gesagt, einen Haufen an überfrachteten Dialogen. Hitchcock hatte damals verstanden, dass er sein Publikum mit Informationen überschütten musste, damit sie seinen Ansatz eines intellektuellen Humors verstanden. Haben sie aber nicht, der Film floppte und war "nur" ein Kritikererfolg.

Ein wahrlich wichtiges Indiz, dafür, dass der Film nicht zu seinen besten Werken gehört. Denn nach seinem Anspruch, müsste auch das Publikum, diesen Film verstanden haben. Auch heute würde er aus meiner Sicht nur von einer kleiner Gruppe von Kinofreunden, verstanden werden. 

Grundsätzliche Idee, dieses Dialoges mit Deckard, war die Verwendung der Musik in Hitchcock Filmen. In diesem Film also das erste Mal mit dem genialen Komponisten Bernard Herrmann. 

Was an diesem Score zuerst auffällt, ist das er nicht kommerziell ist. Ein wichtiger Gradmesser für die damalige Verwendung von Musik in Filmen. Denn Filmscores verkauften sich zu damaligen Vinylzeiten sehr gut. Eine Tatsache die uns Filmmusikplattensammlern heute sehr zu gute kommt. Herrmann allerdings eignete sich aus Studiosicht nicht wirklich für Schallplattenaufnahmen. Hitchcock bedauerte das später und beugte sich dieser finanziell orientierten Meinung.

Man hat bei Herrmanns Musik zu dem Film den Eindruck, dass er versucht, dass angesprochene Understatement zu unterstützen. Außerdem merkt man jeder Note an, dass der Komponist ein visueller Vertreter seiner Zunft ist. Er orientiert sich stark an der Skurilität der handelnden Personen. Was dem ganzen Score im Kontext eine sehr opernhafte Kodierung verleiht.
  
Im Hintergrund höre ich gerade die Neueinspielung des Scores unter Joel Mc Neely & dem Royal Scottish National Orchestra. Die komplette Partitur umfasst 40 (!) einzelne Tracks. Die zum Teil weniger als 30 Sekunden sind. Ein weiteres Indiz, für eine nicht durchführbare Kommerzialisierung. Die einzelnen Tracks tragen die Titel der einzelnen Themen oder Personen des Films. Aus meiner Sicht lässt sich Herrmann allerdings von der Schönheit Vermonts verleiten. Beim zweiten Hören des Scores hat man den Eindruck durch die herbstliche Landschaft Neuenglands zu laufen und vergisst schnell den Bezug zu den sympathischen Protagonisten des Films. Natürlich spricht dies für die Eigenständigkeit der Herrmanschen Kunst, aber nicht für den Einklang und dem Zusammenspiel von Film und Musik (Klangbeispiel: The Tea Time). 

In der Filmmusik gibt es die Genrebezeichnung "Golden Age". Dazu gehören Komponisten wie Max Steiner und Erich Wolfgang Korngold. Herrmann gilt mit seinen sparsamen Arrangements nicht unbedingt hinzu. Obwohl er in der Fachliteratur oft in einem Atemzug genannt wird. Wir werden bei späteren Filmen wie "Vertigo" und "Pycho" auf dieses Thema zurückkommen. Der Trouble with Harry Score zählt übrigens zu "den Perlen des späten Golden Age". Dieser Meinung ist zumindest Filmmusikkenner Michael Boldhaus. 

Mir persönlich ist das eigentlich egal, geht es doch um die Symbiose von Film und Musik, und der perfekte Zeichnung! In dem Film von 1956 funktioniert dies leider nicht, obwohl der Herrmann Score ein wunderbarer Score ist. 

Um aber faktisch und methodisch zu bleiben und Deckard die Möglichkeit der Verfolgung zu geben, halte ich nun ein, damit wir nicht blau meinen meinen, wenn wir grün sagen;-)

Alan Lomax




 
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