Soylent Green - Fred Myrow

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  24. Januar 2010, 11:57  -  #Orchestrale Musik

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Ehrlich gesagt war ich total verblüfft, nachdem ich den 'Main Title' gehört hatte. Max Steiner sagte einmal, dass die Filmmusik die Beste ist, die nicht wahrgenommen wird. Den Film habe ich vor knapp einem Jahr zuletzt gesehen und die Eröffnungsmusik ist mir so intensiv wie gestern nicht in Erinnerung geblieben, vielleicht weil die Bilder zu intensiv waren? Wie dem auch sei, ich war äusserst angetan von der Komposition des 'Prologue' und der 'Opening City Music'. Es ist unglaublich mit was für einem Ideen- und Erfindungsreichtum Myrow die Bilder auf der Leinwand untermalt. Der Zuschauer bekommt in einer Abfolge von unbewegten Bildern den Verfall der modernen Zivilisation gezeigt, von den Zeiten der Industrialisierung bis zum modernen New York im Jahr 2022 im Film. Ich habe mir die Sequenz gestern nochmals angesehen und das Zusammenspiel von Bildern und Musik ist grossartig:

link zu der Titelsequenz auf youtube

Als Ausgangsbasis für dieses Stück benutzt Myrow zwei Rhythmen, bzw. Musikrichtungen: Zum einen ein deutlich am Rhythm & Blues und Folk orientiertes Thema und zum anderen eine Jazz-Grundierung sowie ein Schlagzeug, wie man es aus der Rockmusik gewohnt ist. Diese Themen geben sich einander die Hand, bzw. wechseln miteinander ab und über die gesamte Zeit spielt das Orchester, bzw. die Streicher im Hintergrund im Sinne eines 'symphonic overlay'. Das Ergebnis ist absolut beeindruckend und umwerfend. Mit Sicherheit eines der interessantesten Kompositionen die ich in der Filmmusik gehört habe.

Die weiteren Tracks bieten eine interessante Mischung aus Ambient, Elektronik und Lounge Musik, die durchwoben sind von pop-jazzigen Einflüssen und die, bis auf ein einzelnes Stück am Ende der CD, durchweg melodisch und hörbar sind. Myrow musste sich natürlich Gedanken über die Zukunft machen und versucht diese Gedanken auch musikalisch mit o.g. Stilmitteln umzusetzen. Natürlich ist das musikalische Resultat auch eine Folge des Jahrzehnts in dem es komponiert wurde. Es kommen Erinnerungen hoch an Lalo Shifrin und phasenweise auch den Progressive Rock (!) der 70'er Jahre. Viele Passagen erinnern an Funk und auch die Auswahl der Instrumente die Myrow benutzt sind hervorzuheben: Synthesizer, elektrische Violine, Schlagzeug, einige Holzbläser und die Harfe. 

Der Track 'Can I do somehting for you' lässt lateinamerikanisches Kolorit aufkommen und klingt wie ein Tanz, begleitend spielt eine Violine dazu und im Hintergrund hört man Synthesizer, die befremdlich kalte Töne von sich geben. Diese Mischung macht die Musik sehr reizvoll und interessant.  'Tab's Pad/ Furniture Party' beginnt wie viele Fusion Tracks die man kennt: mit rockigem Schlagzeug, jazzigen Improvisationen und im zweiten Teil mit einem Beat der sehr an die Mischung der Musikstile der 70'er Jahre erinnert. Alle Elemente des Rock und Jazz sind hier vereint. Einige Rezensenten sehen hier auch Parallelen zu der Musik von JohnMcLaughlin und seinem Mahavishnu Orchestra.

Neben 'The Last Run' war 'Soylent Green' die zweite interessante filmmusikalische Entdeckung dieses Wochenendes und es ist reiner Zufall, dass beide Filme von Richard Fleischer gedreht wurden. Fred Myrow war mir bis zu diesem Punkt gänzlich unbekannt. Er wurde am 16.07.1939 in Brooklyn, N.Y. geboren. Sein Vater Josef Myrow war auch ein Komponist und schrieb einen Hit, den Sinatra populär machte: 'You make me feel so young'. Myrow belegte Kurse für Komposition und schrieb später auch seine ersten symphonischen Werke. Im weiteren Verlauf eignete er sich die Musiken fremder Kulturen an, arbeitete mit Jim Morrison von den 'Doors' an dem Film 'Highway', orchestrierte für Brian Wilson und Van Dyke Parks und war auch Mentor für den Pianisten Brad Mehldau und den Produzenten Daniel Lanois. Fred Myrow verstarb am 14.01.1999. Nebst 'Soylent Green' ist v.a. seine Musik zu 'Phantasm' bekannt. 

'Soylent Green' ist übrigens ein sehenswerter Film und mit Charlton Heston, Edward G. Robinson und Joseph Cotton prominent besetzt. Der Begriff 'Soylent Green' zog sich in den folgenden Jahren durch alle Aspekte der Popkultur über Punk Bands, Fernsehserien wie Futurama und Simpsons bis zu Computer-Spielen. Der Film wurde mit geringem Budget gedreht und ist einer der ersten kritischen Thriller zur Frage der Auswirkungen der modernen Zivilisation. Der Film basiert auf dem Roman 'Make Room, Make Room!' von Harry Harrison der das Leben einer überbevölkerten Zukunft kritisch beschreibt, insbesondere auch Kritik nimmt am Leben und Verhalten der 'Superreichen'. Es gibt in diesem Film eine unglaublich bewegende Sequenz, in der Robinson, der während der Dreharbeiten schwer erkrankt war, eine Euthanasie-Klinik aufsucht um zu sterben und sich die letzten Minuten klassische Musik zu Cinemascope Bildern vorführen lässt. Eine wirklich zu Herzen gehende Sequenz zur Musik von Tchaikovsky, Grieg und Beethoven, da Robinson hier seine eigene Todesszene spielt. Er verstarb 12 Tage nach den Dreharbeiten.

Die 60'er und 70'er Jahre sind musikalisch ungemein spannend und es gibt wahrscheinlich noch unzählige kleine filmmusikalische Perlen die es zu entdecken gibt. Ich freue mich auf die kommenden Monate und verliere mich in unzähligen schönen Kompositionen.

Rick Deckard

 
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