Lincoln von Steven Spielberg
Wenn man als Zuschauer im Kino sitzt, dann möchte man folgende zwei Dinge: Eine gute Geschichte und diese unterhaltsam erzählt bekommen. Das amerikanische Kino beschäftigt sich seit seit jeher mit ihren Präsidenten, ob Biographien, Abenteuerfilme oder Thriller. Einer der Regisseure, der sich hierbei besonders hervortat war Oliver Stone mit 'Nixon' und 'JFK'. Zwei meisterhaft inszenierte und grandios unterhaltsame Filme ('W.' nicht zu vergessen!). Woody Allen sagte damals über 'JFK', dass er inhaltlich nicht mit dem konform ginge, was Stone erzählte, er sich aber prächtig unterhalten fühlte. Allen bringt es auf den Punkt: Bei Lincoln kann man als Mensch und Bürger der freien Welt nicht genug wertschätzen, was dieser Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten bewirkte, nicht nur für das Land, sondern auch weltweit. Eine grosse Errungenschaft, die einem Respekt abverlangt. In dieser Hinsicht ist es Steven Spielberg und seinem Team gelungen eine bedeutende Episode aus den letzten Jahren dieses Politikers einem weltweiten Kinopublikum nahe zu bringen. Der Film zeigt, mit welchen Mitteln es Abraham Lincoln gelang, einen Zusatzartikel in die Verfassung der Vereinigten Staaten aufzunehmen. Ein Artikel, der die Sklaverei abschaffte und einen entsetzlichen Krieg beendete. Spielberg und seine Autoren porträtieren den Präsidenten als gewieften Politiker und Taktiker, als einen Staatsmann, der nicht abgeneigt war, "unlautere" Mittel einzusetzen, um ein wichtiges Ziel zu erreichen. Aber so ist Politik und nur so kann man auf ihrer Bühne bestehen.
Kommen wir zum zweiten Punkt: Tut er das aber auch auf unterhaltsame Weise? Vorab: Es ist mir durchaus bewusst, dass es bei einem solchen Film nicht um Schauwerte, Pomp und um Krawall geht. Es ist mir aber auch bewusst, dass das Kino seine Gesetze hat, seine künstlerischen Ausdrucksmittel, um eine Geschichte zu erzählen. Eines dieser Mittel ist die Dramaturgie. Lincoln ist in dieser Hinsicht entsetzlich. Entsetzlich langweilig. Es gibt keine Höhen und Tiefen, keine angemessene Pathetik, es ist keine Leidenschaft zu spüren. Leidenschaft in dem Sinne, als das dem Zuschauer bewusst würde, welches humane Ansinnen hinter diesem Gedanken stand. Natürlich gibt es eifrig und hitzig geführte Debatten im Repräsentantenhaus, aber der Großteil des Films ist ermüdend, so ermüdend, dass ich zwischendurch wiederholt für wenige Sekunden eingeschlafen bin.
Lincoln nimmt sich fast 2,5 Stunden Zeit um seine Geschichte zu erzählen. Der Großteil der Handlung spielt in geschlossenen Räumen und legt den Schwerpunkt auf Dialoge (wer das kammerspielartige liebt, dem wird er Film vielleicht gefallen). Diese sind mal ergreifend, dann aber wieder schlicht lähmend. Sie haben nicht dauerhaft die Kraft den Zuschauer bei der Stange zu halten. Das ist ein wesentlicher Nachteil und einer der Hauptgründe, warum mir der Film in der Gänze missfallen hat. Er hat kein Feuer.
Die technischen Aspekte sind sehr gut, aber auch nicht anders zu erwarten bei einem Film solchen Kalibers. Hervorzuheben ist die Kameraarbeit von Janusz Kaminski, insbesondere die Ausleuchtung bei den Innenaufnahmen. John Williams' Komposition ist sehr subtil und zurückhaltend und verbindet bzw. kittet und verstärkt die Handlung und die Emotionen auf eine sehr elegante und ökonomische Weise. Als Hauptinstrument ist die Trompete zu hören, die eindringlich aber nicht aufdringlich im Hintergrund die Geschehnisse untermalt. Auch bei seiner neuesten Komposition verzichtet Williams weitgehend auf ein dominierendes Thema als auch ausufernde Melodramatik oder Pathetik. In dieser Hinsicht eine sehr zweckdienliche Musik.
Daniel Day-Lewis. Was soll man über diesen Schauspieler noch schreiben, was nicht schon hinlänglich bekannt ist. Seine Leistung ist so gut, dass das eintritt, was man über überragende Schauspieler sagt: Er spielt nicht, er ist es. Seine mimische Ausdruckskraft und v.a. seine Körpersprache sind grossartig. Eine wirklich meisterhafte schauspielerische Leistung. Einzig die leicht metallische-trockene und dünne Synchronisation, besser Stimme, von Frank Röth mag nicht zu überzeugen.
Tommy Lee Jones. Jones zeigt durch die Ausformung seiner Rolle, natürlich ist diese eine dankbare für einen jeden Schauspieler, was wirklich intensives Schauspiel bedeutet und v.a. welchen Effekt dieses Spiel auf den Zuschauer ausüben kann. Ebenso gut wie Day-Lewis.
Lincoln ist ein Drama für Schüler, Politikstudenten und an Politik interessierten Menschen, das die Mechanismen der Mehrheitsgewinnung in der Demokratie en detail und auch mit grosser Akribie zeigt. Ein Film über die überragende Errungenschaft eines grossen und mutigen Menschen mit hohen humanen Idealen. Ein Vorbild.
Lincoln ist aber kein Film der wirklich gut unterhält. Er wirkt wie ein in die Länge gezogener Fernsehfilm. Bei diesem Medium wäre er sicherlich besser aufgehoben gewesen.
Eine Enttäuschung.
Rick Deckard