Ernst Toch - Bunte Suite, Mozart Transcriptions, Cello Concerto

von Rick Deckard  -  12. August 2012, 19:30  -  #Orchestrale Musik

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Ernst Toch

1887 war ein aufregendes Jahr: In Paris beginnt der Bau des Eifelturms, Emil Berliner stellt sein Grammophon vor, Heinrich Hertz erzeugt elektromagnetische Wellen, die Oper Otello von Verdi feiert grosse Erfolge.

In diese Ära wird in Wien Ernst Toch geboren und wächst zunächst in dieser lebendigen und so historisch bedeutenden Stadt auf. Nachdem er einige Instrumente lernt, u.a. Klavier, studiert er zunächst Medizin und Philosophie in Wien und Heidelberg. Er entschliesst sich der Musik und Komposition vollends zu widmen, als er den Mozartpreis der Stadt Frankfurt erhält. Toch wird zu einem bekannten und erfolgreichen zeitgenössischen Komponisten. Als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, emigriert er über Florenz, Paris und London in die Vereinigten Staaten, nach Kalifornien.

Dort keimt eine bedeutende und wichtige Industrie auf: Hollywood. Somit war es nahe liegend wie Ernst Toch seinen Lebensunterhalt verdiente: Er komponierte u.a. Filmmusik! Vielen (Filmmusik-Hörern) dürfte aus dieser Ära v.a. Erich Wolfgang Korngold bekannt sein, der grandiose und bis heute einflussreiche (siehe John Williams) Filmmusiken schrieb.

Toch blieb in den Vereinigten Staaten und komponierte später in dem Zeitraum von 1950 bis 1964 sieben Sinfonien. Daneben schrieb er über sein ganzes Leben 4 Opern, mehrere Orchesterwerke und Filmmusiken, sowie Werke für das Klavier.

Ernst Toch starb am 01. Oktober 1964 in Santa Monica, Kalifornien.

Eine Zeit grosser Umwälzungen und Veränderungen

Manchmal ist das Schicksal gemein und manchmal wird ein solches Schicksal nicht weiter gewürdigt. Schrieb ich, dass das Jahr 1887 ein aufregendes war, so war es auch die Jahrhundertwende vom 19. in das 20. Jahrhundert. Wobei aufregend in diesem Fall durchaus nicht positiv besetzt ist. Man mag es sich heute kaum noch vorstellen, aber ganze zwei Weltkriege ereigneten sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts und besonders der zweite nötigte viele Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und auf einem anderen Kontinent neu zu beginnen. Wenn man wie Toch in einer solchen Zeit aufwächst, so kann man sich ihrem Einfluss sicherlich nicht entziehen. Politische Veränderungen der Gründerzeit vor dem I. Weltkrieg, Diktaturen und ein erneuter Krieg, Verfolgung und Auswanderung sind massive Erfahrungen.

Diese gesellschaftlichen Veränderungen führten leider auch dazu, dass die Musik von Komponisten wie Ernst Toch und vieler anderer seiner Kollegen in Vergessenheit geriet, denn um Musik populär werden zu lassen oder damit sie es werden kann, braucht es auch stabiler politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse.

Vergessen

Wenn Vergessen Verlust von im Gedächtnis gespeicherten Informationen und Erinnerungen bedeutet, dann wird es Zeit dem (kollektiven) Gedächtnis diese wieder hinzuzufügen (insofern sie bedeutend sind und das sind sie in diesem Fall). Gerade wie im Falle eines Musikers wie Ernst Toch, einem vielseitig begabten Komponisten, einem Menschen der Komposition und Philosophie studierte und lehrte, an der Harvard Universität als Gast dozierte, den Pulitzer Preis und einen Grammy Award erhielt.

Wenn das kein aufregender und interessanter Lebensweg war!

In der klassischen Musik (als Teil der populären Kultur, ob man will oder nicht) scheint es aber nicht anders zu sein als in jeder anderen Musiksparte. Werden im Mainstream-PoP die Beatles, die Stones, Dylan und Springsteen immer wieder hochgekocht, so sind es in der Klassik Bach, Mozart und Beethoven (natürlich unter vielen anderen). Dass es nicht missverstanden wird: alle diese Musiker und Bands haben ihre Berechtigung und ihre Bedeutung und auch ich schätze einige von Ihnen sehr, aber es gab eben nicht nur sie.

Die Musikindustrie hilft im Grunde Musikern wie u.a. Toch nicht, ihr Schicksal posthum zu "verbessern" in dem Sinne, dass sie ihre Musik zugänglich macht. Ich frage mich wie viele solcher Menschen mit ihrer Musik verschollen vor sich dahin treiben und es Wert sind entdeckt zu werden! Nicht die Nachfrage bestimmt immer das Angebot, sondern ein besonderes Angebot kann die Nachfrage ja auch beeinflussen.

Insofern ist es als eine Bereicherung der (klassischen) Musikszene anzusehen, dass Deltamusic in der Crystal Classics Reihe zusammen mit Deutschlandradio Kultur und dem MDR seine Musik auf CD am 01.08.2012 veröffentlicht hat.

Bunte Suite/ Mozart Transcriptions/ Cello Concerto

Es handelt sich um Weltpremieren.

Die Bunte Suite (op. 48) wird interpretiert von der Kammersymphonie Berlin, das Allegretto aus den Variationen über Mozart's "Unser dummer Pöbel meint" für Klavier und Orchester (KV 455), wird auf dem Klavier dargeboten von Tatjana Blome nebst erneut der Kammersymphonie Berlin und das Konzert für Violoncello und Orchester wird gespielt von Peter Bruns als Solisten und dem Mendelssohn Kammerorchester Leipzig. Dirigent ist Jürgen Bruns.

Die Bunte Suite besteht aus 6 Sätzen und war eine Auftragsarbeit des Frankfurter Rundfunks. Das Radio muss eine ungeheure technische Errungenschaft gewesen sein, gerade für Musiker und Komponisten, konnten auf diese Weise statt einigen hunderten im Konzertsaal ungleich mehr Menschen in den Genuss dieser Musik kommen!  

Die Variationen über das Stück von Mozart sind eine Transkription. Darunter versteht man in der Musik das umschreiben oder notieren von, wie in diesem Falle, bereits geschriebener Musik (Noten) in eine andere Form. Das geschieht als Umschreibung einer Notenschrift in eine andere, als Übertragung von einer Besetzung für eine andere (z.B. von Soloinstrument zum Orchester oder umgekehrt) und als Übertragung wahrgenommener Musik in Noten. Sie erschien 1953 und wurde ursprünglich von Wolfgang Amadeus Mozart am 25. August 1784 niedergeschrieben. Ursprünglich gedacht als ein Solowerk nach einem Thema von Christoph Willibald Gluck aus seiner Oper "Die Pilgrime von Mekka" wurde aus der Umschreibung ein Konzertwerk.

Das Konzert für Violoncello und Kammerorchester schrieb Toch in den 20'er Jahren und enthält Eigenheiten der Moderne kombiniert mit Stilismen der Musik der Zwanziger Jahre.

Soweit ich als musikalischer Laie beurteilen kann, ist die Musik und die Interpretation durch die Solisten und das Orchester von herausragender Qualität. Da sie für mich gänzlich unbekannt war, war es insgesamt ein erfrischendes Erlebnis, das mich auch dazu motivierte, mich mit Komponisten aus dieser Zeit wieder etwas näher zu beschäftigen.

Natürlich erschliesst sich soviel Musik nicht in einem einzigen Hördurchgang. Wie so häufig muss man sich Muße und Zeit nehmen und sie von Zeit zu Zeit wieder hören, was das Erlebnis bereichert, so wie man bei einem grossen Gemälde beim genaueren Hinsehen immer wieder neue Details und Zusammenhänge erkennt.

Was bleibt?

Die Erkenntnis, dass es viele bedeutende Komponisten und Musiker gibt, die es zu entdecken gilt, neue Musik zu hören, das eigene Hörverständnis zu erweitern und zu verbesseren und dass es notwendig ist, Musikern wie Ernst Toch eine Gelegenheit zu geben und sie und ihre Musik auf diesem Weg auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Es ist weitaus spannender neue Wege zu gehen, als die üblichen eingetretenen Pfade. Am Rande erkennt man stets Neues und Unbekanntes!

Rick Deckard

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