Haldern Pop Festival 2012

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  13. August 2012, 13:08  -  #Konzerte

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Lykke Li, Ben Howard, Villagers, Beach House, Mumford & Sons, Grizzly Bear, Bon Iver, Kate Nash, The National, The Kooks, Phoenix, Kings of Leon, Muse, Starsailor, Keane…

Bob Geldorf, Blumfeld, The Afghan Whigs, Kent, TSOOL, Paul Weller, Travis, The Divine Comedy, Belle & Sebastian, Ian Brown, Supergrass, Notwist, Bright Eyes, Adam Green, Embrace, The Magic Numbers, Patti Smith, Polyphonic Spree, Mando Diao, Nada Surf, Lambchob, Mogwai, Editors, Maximo Park…

Es wird langsam lästig die immer gleiche Story vom Niederrhein zu erzählen. Wieder die ganzen Bands aufzuzählen die ich dort entdeckt habe und die ihre besten Auftritte hier hatten. Es wird anstrengend sich immer wiederholen zu müssen, in dem man die ganze Geschichte des Friedens, der privaten Atmosphäre und der tollen Landschaft erzählt und  die Legende der jungen Konfirmanden die einst zusammengekommen sind um dieses wunderbare Festival zu gründen, hervorkramt, aus dem ja inzwischen ein Label, ein Produkt geworden ist.

Inzwischen war ich 14x mal dort. Mich selbst als Veteran zu bezeichnen dürfte nicht übertrieben sein. In den neunziger Jahren gehörte ich mal zu den jüngeren Besuchern. Inzwischen gehöre ich zu älteren. Im letzten Jahr war ich das erst mal seit 15 Jahren nicht dort. Eine kurze Pause, bei der ich natürlich etwas vermisst habe, was aber die Euphorie  in diesem Jahr und die Vorfreude ums Doppelte steigerte.

Rockfestivals sind inzwischen gesellschaftsfähig geworden. Jedes Dorf, jede Provinz, jeder Landkreis hat sein eigenes. Jedes Festival hat seine eigne Geschichte. Jedes hat seine Vor- und Nachteile. Jedes hat gute und schlechte Bands aufzubieten.

Viele Rockfestivals aber bleiben konzeptionslos, strahlen provinziellen Stallgeruch aus, sind prekär prollig oder adaptiv-pragmatisch puristisch. Einige haben 10 Bühnen, mache ein Zelt, wieder andere setzen auf 2 Bühnen nebeneinander.

Es gibt Festivalmacher die bereits nach dem Sonntag beklagen, dass sie keine Headliner mehr finden. Es gibt Festivalmacher die Pleite gehen und es gibt welche die ständig überleben, aber vergessen haben, was sie dort eigentlich organisieren und für wen und welche Verantwortung sie damit auf sich nehmen.

In den letzten 15 Jahren ist aus dem ganzen Thema Festival ein riesen Publikumsmagnet und Wirtschaftsfaktor geworden mit wahnsinnigen Gewinn und Verlustrechnungen. Brands und Labels haben die Werbetauglichkeit verstanden, Fernsehsender übertragen inzwischen live und streiten über die besten Bands mit ihren Übertragungsrechten.

Und das alles passiert  in einer Zeit, wo es der Musikindustrie  eigentlich schlecht geht. In der es immer schwieriger wird eine Band oder einen Künstler weltweit langfristig zu positionieren, um ihm dann einen langfristigen Erfolg bis zum Headliner zu gewähren.

Das Ende des Produktlebenszyklus „Rockfestival“ ist bereits lange erreicht. Die Eskalation steht noch bevor. Bis dahin packt aber ein jeder seinen Campingstuhl weiterhin aus und kauft die Karten für das geliebte Fest bereits im Winter, ohne zu wissen wer eigentlich auftritt.

Auch beim Haldern Pop  spürt man diese Veränderungen! Liest man sich durch das Forum, erfährt man repräsentativ, dass Festivals immer noch etwas mit dem großen Auftritt von bekannten Bands zu tun haben. Obwohl das  Haldern-Pop-Festival  immer ein „Kenner-Festival“ für die Indie-Polizei war, so gibt es immer wieder Besucher die sich das Unmögliche und Unmögliches wünschen. Kuratoren haben es schwer. Egal ob am Niederrhein oder am Nürburgring.

Die Mischung macht es und es gilt gebuchte Bands rechtzeitig bekannt zu machen, sie aus ihrem Winterschlaf zu wecken und langfristig zu vermarkten und natürlich im Sinne ihrer Kunst zu betreuen. Die Menschen wollen Stars und Helden, völlig egal in welchem Genre wir uns bewegen.

So war es bei all‘ den Liveübertragungen auf zdf. Kultur  in diesem und im letzten Jahr. Die alten Helden haben überrascht. Noch immer könnte ich über den Edwyn Collins Auftritt auf dem Berlin Festival 2011 weinen und mit Public Enemy auf dem Splash vom letzten Jahr tanzen. Lagwagon in diesem Jahr beim Rock am Ring haben mich nach Luft ringen lassen. Machine Head in Wacken kurz daran erinnern lassen, was es bedeutet harte, aggressive Musik, seriös und bodenständig runterzuspielen. Cro bei Omas Teich hat Spaß gemacht und beneiden tue ich noch immer die Leute die New Order beim Hurricane  gesehen haben.

Und Haldern? Ich möchte wie gesagt nicht wieder von vorne anfangen. Mich nicht wiederholen und auch keine komplett Festivalerstattung abliefern!

Dafür müsste ich zu weit ausholen und auch einen Counterbericht über das Thema „Einfühlungsvermögen“ schreiben. Wozu es später kommen wird, aber nicht im  Zusammenhang mit diesen schönen Sommertagen in Haldern.

Totale Konzentration also auf die Musik und einfach chronisch erzählt was ich gesehen habe:

Eine Sache noch, falls das hier jemand liest, der Verantwortung in und für Haldern übernehmen möchte und kann! Es darf nicht sein, dass an einem Musikfestivalsamstag bei aller schönstem Sommerwetter  und bester Stimmung, der Campingplatz voll ist und der Publikumsraum vor der Bühne leer. Es gibt für alles eine Entschuldigung, eine Erklärung, eine Buchungs-, Budget- oder künstlerisches Argument, aber das darf einfach nicht passieren. Grand Lee Buffalo, TuneYards und Patrick Watson sind keine Bands und Musiker die zu dieser magischen Zeit auf die Hauptbühne gehören. Das ist so als wenn man in der Großraumdisko um Mitternacht anspruchsvollste Lo-Fi-Musik spielen  auflegen würde. Es geht nicht!

Iceage

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Irgendwo hatte ich gelesen, dass das die Band ist, die Du hassen musst, wenn Du bereits die 30 überschritten hast, weil sie all das verkörpern, was Dich Deine Jugend vermissen lässt. Sie sind laut, sie lassen sich gehen, sie begegnen ihrer eigenen Teenage-Angst mit der überironisierten Orientierungslosigkeit des digitalen Zeitalters.

Wenn Du unter 30 bist, musst Du die Band also folgerichtig lieben, weil sie nicht mehr als 2 Akkorde spielen können, langweilig aussehen, schlecht spielen und sich wie eine Schülerband aus der Realschule Rees anhören.

Wenn das die musikalische Revolution und die „neue“ musikalische Jugendbewegung ist, dann gute Nacht Gevatter Punkrock!

Kraftklub

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“Wir sind t.b.a”, ruft Felix Brummer von Kraftklub! Die all‘ das richtig macht, was Iceage mit schlechter Musik als Provokation nicht schafft. Kraftklub schaffen es dem Hype gerecht zu werden. Schlaue Musik, clevere Texte, glaubwürdige Menschen! „Tanz mit dem Herzen oder tanz gar nicht!“

Danke für diese Überraschungsauftritt der vielen Leuten ein Lächeln ins Gesicht zauberte und auch zeigte, dass Jugendbewegungen durchaus im Zeichen des Kommerz stattfinden dürfen. Ohne Vodafone wäre der Auftritt wohl nicht möglich gewesen und das ist auch völlig ok so!

Willis Earl Beal

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Ich glaube ich brauche noch ein paar Wochen um diesen „Geisterauftritt“  zu verarbeiten. Willis Earl Beal wird seinen Weg machen, in Abhängigkeit von der Entwicklung der schwarzen Musik im 20. Jahrhundert. Der HipHop sollte aufmerksam auf Beal werden, dann haben wir es hier mit einem baldigen Superstar zu tun.

Bleibt die verlorene Seele Beal  im Lo-Fi-Akustik-Segment wird es schwer, obwohl er wahnsinnig ist und definitiv nicht von dieser Welt. Das Foto repräsentiert meine Gedanken zufällig!

 Was ich hier eine halbe Stunde gesehen habe, war ein psychedelischer Bluesrausch, wie ich ihn direkter, hemmungsloser und gebrochener noch nie gesehen habe. Dabei sah ich nichts, außer Schmerz, außer einem großen weißen Raum und analogen Grundrauschen mit ein paar Klopfzeichen und die schreienden Panik von Willis Earl der härter und tiefgründiger ist als es je ein schwarzer Mann aus seinem Herzen hätte  formulieren können.

Ein absolutes Highlight und ewige Dankbarkeit an den Crossroadteufel, dass ich das hier sehen durfte.

Wye Oak

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Eine gute Wahl, der richtige Zeitpunkt und eine interessante neue Band aus Baltimore. Das Duo ist seit einiger Zeit auf meinem deutschen Lieblingslabel „City Slang“ zu Hause und spielt einprägsame Hooklines, vielfältige Harmonien und stört diese nicht unnötig, sondern dramaturgisch an der richtigen Stelle der Partitur. Dynamik könnte wohl die maßgeblich richtige Beschreibung sein. Wer schon lange nicht mehr auf lineares Songwriting steht, war hier ausnahmsweise mal richtig.

Thees Uhlmann

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Kein Geheimnis! Ich bin Fan, mag seine Musik, halte ihn für einen sympathischen und glaubwürdigen Mann und bin auch der Meinung, dass er zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz gespielt hat. Das war ein professioneller und leidenschaftlicher Auftritt, an dem ich nicht rummeckern werde, mich nicht beschweren werde und an den ich mich gerne erinnere.

Danke Thees (lass es mit dem Rappen bei &Jay-Z, such Dir ein Cover aus, was Dein Set auflockert und lass es sonst genauso, wie es sich anfühlt! Authentisch!)

Ben Howard

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In der persönlich geführten Haldern-Hitparade auf Platz 2! Auf der Liste der besten Gitarristen des Festivals auf Platz 4, was ihn ehren wird, denn hinter Jeff Tweedy, Nels Cline und Pat Sansone (alle Wilco) zu stehen, wird den jungen britischen Helden zufrieden stimmen.

Weiterhin möchte ich Howard gerne in Schutz nehmen. Er macht keinen Folk… irgendwas. Noch eine kleine Anmerkung an die Haldernmachern bzw. Programmheftgestalter. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster legen und bin ja auch nur ein kleiner blogschreiber. Aber eine zusätzliche zweite Verwendung der Begrifflichkeit Folk, wäre wirklich nicht schlecht und letztendlich auch vermitteln, dass das Haldern-Pop-Festival ein Popfestival ist und nicht Haldern-Folk-Festival heißt.

…also, Ben Howard! Ein toller Gitarrist, eine tolle Kopfstimme und junger Mann der in der Lage ist Klangvielfalt in seinen einfachen Songs unterzubringen, die aber trotzdem durch tiefgründige Harmonien aufgewertet werden. Liebe Plattensammler mögen Sie:  Crosby, Stills & Nash und gerne mal Pfannenkuchen bei Mondschein? Dann sind sie bei Ben Howard weiterhin richtig.

Bowerbirds

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Was für eine sympathische und tolle Band!. Leider war der frühe Samstagsslot der falsche Zeitpunkt! Die Anwendung Folk (mit irgendwas, meinetwegen psychedelisch) ist hier richtig. Denn die Band verkörpert das:  Sänger Phil Moore, lebte in den Wäldern North Carolinas als Vogelbeobachter, seine Freundin und Keyboarderin Beth Tacular singt nebenbei bukolische Lieder und trägt gerne Selbstgestricktes.

Die Bowerbirds bewegen ein musikalisches Fanherz, weil sie wunderbare lyrische Harmonien im Gepäck haben. Diese Harmonien werden natürlich leise vertont, damit sich auch bloß niemand erschreckt. Solche Bands wollen nicht rebellieren und durch Trommelgeschütze auffallen. Sie wollen mit Wendungen überraschen und sich dabei ihre robuste Freakigkeit bewahren. Live ist das torzt enormer technischer Probleme alles sehr gelungen, schön und glücklich machend!  Nebenbei eine der Platten des Jahres und das Video des Jahres sowieso: http://www.lomax-deckard.de/article-bowerbirds-the-clearing-107055775.html

Honig

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Dass, die ganze Band nicht eine zufällig Konstellation von Hobbymusikern ist sieht und hört man sofort. Überrascht könnte man fast sein, dass wir hier von Düsseldorf(-ern)/Wuppertal(-ern) sprechen. Das klingt mal richtig international, nicht Deutsch, schön und wohl komponiert, sehr ambitioniert. Das Album „Empty Orchestra“ ist gerade bei Haldern Pop Recordings erschienen und bekommt hoffentlich von Rough Trade den Vertrieb den sie verdienen.

Stefan Honig ist langjähriger Haldern-Festivalbesuchern und steht  jetzt auf der Bühne, auf die er schon oftmals sehnsüchtig hingeschaut hat. Eine schöne Geschichte, mit schöner Musik. Mal abwarten. Die Arrangements gehen zumindest ins Ohr, die Hoffnung auf Langfristigkeit und Entwicklung bleibt

Team Me

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Upps, was war das denn?! Spaß machender. geschliffener Pop zwischen Arcade Fire, Mew und viel Sympathie. Eine Band aus Norwegen, die man wohl ab sofort beobachten sollte. Die Single „Show Me“ hat mir die einzige Gänsehaut des Tages beschert. Eine popverliebte Hymne, die zudem mit den einzigen Konfettikanonen des Wochenendes verschönert wurde. Ich liebe Konfettikanonen! Ich liebe diese Norweger, ich liebe diese Momente auf dem alten Reitplatz. Die Überraschung des Wochenendes mit bleibendem Partygeschmack der mich und meine Reisegruppe  sogar dazu inspiriert  hatte eine eigene Tanzparty zu veranstalten.

The Afghan Whigs

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Nicht immer kann man in der ersten Reihe stehen. Nicht nach gefühlten 12 Litern Wein, 2 Kisten Bier, 1 Flasche Gin und schlaflosen Nächten. Nur das erstmalige baden im See und einem unfassbar schönen Tag mit meinen Freunden,  hatte ich es zu verdanken, dass ich zu diesem Moment überhaupt noch gesellschaftsfähig war. Insofern stand ich weit hinten, genoss mein Mineralwasser. Wollte aber immer wieder „JAAAAA!“ rufen als ich Greg Dulli und Kameraden gehört habe. Das war mal ordentlich auf die Mütze! Das war Herzblut, zwischen Grunge, Soul, Rock und erdiger ehrlicher Verzweiflung. Wahrscheinlich das beste Konzert des Wochenendes? Ich kann es nicht bestätigen, da man in Haldern Konzerte auf der Hauptbühne nur beurteilen kann, wenn man knapp davor steht und die ganze Wucht einer Liverezeptur um die Ohren bekommt. Am besten mit Tunnelblick und dann letztendlich, das passiert, was ich oben anhand von Bandbeispielen aufgeführt habe. Die Seelenfresser haben es mit diesem offensiven Auftritt bestimmt geschafft.

Wilco

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Endlich! Nach so langer Zeit! Wilco live! Was für ein musikalischer Unterschied zu allen anderen Bands. Und ich spreche mal nur von Handwerk. Von Sounds, von Möglichkeiten zusammenzuspielen von den Möglichkeiten gemeinsam Musik zu machen. Zusätzlich von der Fähigkeit Musik mit einer inhaltlichen Qualität zu versehen.

Es gibt einen entscheidenden Grund warum ich Wilco so sehr mag: Es ist die einzige Band auf dieser Welt, die es derzeit versteht komplizierten rhythmischen Strukturen Gitarrenklängen in Richtung Post Rock zu verpassen. Damit in Fußstapfen von Elvis Costello, Van Morrison, Steely Dan und einigen anderen meiner Lieblingsbands tritt. Vielen Menschen reicht es das als Postrock zu bezeichnen . Für mein Empfinden kommt viel mehr dabei raus. Ein kosmopolitischer Überblick über die derzeitige amerikanische  Musik mit der kompositorischen Kunst die Geschichte zu bewahren und gleichzeitig zuverlängern. Wilco sind nie gleichgültig, sondern wirken sehr professionell.

Natürlich ist die Band um Jeff Tweedy (der in echt sehr klein, gedrungen wirkt und somit an Van Morrison erinnert) eingespielt und letztendlich hat das auch alles was mit Muckertum zu tun: Wer sollte da nach der 15 gereichten Gitarre an Tweedy und der Gitarrensuperlative bei „Impossible Germany“ wiedersprechen?

Bei „War on War“ rutschte mir ein „Tweedy Du bist ein gottverdammtes Genie raus“. Das war mehr als ein Gefühl. Nach „Heavy Metal Drummer“, „I’m Always In Love“ und „I’m The Man Who Loves You“ war ich so glücklich und müde, dass es ok war, dass das alles sehr schnell ging und der Rausch, ohne Zugabe sehr schnell vorbei war.

Ich kommee wieder Haldern!

Alan Lomax

www.rockpalast.de Sendetermine!

Konzertefotos (außer Iceage: http://impose.vaesite.net/__data/iceage-band.6.jpg) von der Alan Lomax Foundation

Weitere Haldernberichterstattungen:

http://de.over-blog.com/recherche/recherche-blog.php?query=haldern+pop+2010&module=portal&action=search%3AsearchInBlog&ref=1522805

Lesen Sie alles über Wilco auf diese blog: http://de.over-blog.com/recherche/recherche-blog.php?query=wilco&module=portal&action=search%3AsearchInBlog&ref=1522805

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