The Village Gate

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  21. Juli 2009, 12:25  -  #Filme


Es ist heiß im August 1972. Vor der Bleeker Street 158 werden die Wasserhydranten von Jugendlichen aufgeschraubt um wenigstens etwas Erfrischung von oben zu bekommen, bevor die New Yorker Feuerwehr eintrifft um dem kurzfristigen Vergnügen ein Ende zu bereiten.

 

Es ist kurz vor 21:00 Uhr. Die jungen, unbekannten und aufstrebenden Komiker John Belushi, Chevy Chase, Garry Goodrow und Christopher Guest versammeln sich in ihrer Garderobe. In 2 Stunden haben sie ihren täglichen Auftritt in der musikalischen Comedyrevue „National Lampoon“. Aufgeregt sind sie schon lange nicht mehr. Das Programm läuft bereits seit 1 Jahr und eben haben sie erfahren, dass sie ein weiteres Jahr im Village Gate auftreten dürfen.

 

Das Village Gate liegt mitten in Greenwich Village. Dem angesagten Künstler- und Szeneviertel dieser Tagen. Nicht nur New Yorker Künstler gehen hier gerne aus, sondern auch Besucher aus anderen Erdteilen und Staaten der US of A.

 

Der Club füllt sich langsam. Wenn man seine Blicke schweifen lassen würde, so sähe man einige bekannte Gesichter und einige unbekannte die erst später bekannt werden.

 

An diesem Abend werden wir uns auf zwei Besucher konzentrieren und ihnen unsere erhöhte Aufmerksamkeit schenken.

 

Besucher 1 sitzt gerade am Tresen und bestellt sich ein einkaltes Bier. Wahrscheinlich der Marke Millers, vielleicht auch eine Dose Coors und einen kleinen Jack dazu. Er ist ohne Begleitung gekommen und möchte sich nach anstrengenden Vertragsverhandlungen für einen anstehenden Film erholen.

 

Besucher 2 ist gerade mit einem großen Freundeskreis in den Club gekommen. Die kleine Gruppe ist sehr laut, leicht betrunken, vielleicht auch etwas bekifft. Etwas unauffälliger in der Mitte witzelt ein kleiner Mann an dem Outfit einer Sitznachbarin rum. Der Mann ist ein bekannter Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor mit dem Namen Woody Allen. Soeben sind seine humoristischen Kurzgeschichten „Getting Even“ erschienen. Ein Grund mit seinen Freunden zu feiern.

 

Auch Besucher 1 ist den restlichen Besuchern und den Schauspielern von „National Lampoon“ kein Unbekannter. Als Polizeiinspektor Harry Callahan ist ihm vor kurzem der Durchbruch zum Superstar gelungen. Die New Yorker Besucher des Village Gate interessiert dieses Phänomen allerdings weniger. Die Methoden die „Dirty Harry“ gegen das Verbrechen anwendet sind den meisten Besucher zu radikal. Daher wird Clint Eastwood auch nicht wahrgenommen. Auch seine europäischen Filme werden nicht so verstanden, wie sie vielleicht ein Village Gate Club Publikum der Neuzeit verstanden hätte.

 

Der Abend verläuft wie gewohnt. Belushi & Co. zünden ihr Gagfestival. Das Publikum ist dankbar für spontane Einfälle und aktuelle Bezüge auf das Zeitgeschehen. Aber es bleibt heiß, die Klimaanlage ist seit längerer Zeit defekt und für diese tropischen Temperaturen wird viel zu viel getrunken.

 

Es gab auch schon erste Opfer, einer der Gründe warum sich der Club an diesem Abend schneller leert als sonst. Am Tresen sieht man immer noch Clint Eastwood sitzen. Jedoch nicht mehr alleine. An seiner Seite sitze ich!

 

Wir unterhalten uns über seine Zeit mit Sergio Leone, über Vietnam, über seine ersten Erfolge in Hollywood und über die Zukunft. Einem Thema zu dem ich am meisten beisteuern kann, da ich eben aus dieser Zeit komme. Clint weiß das zu diesem Zeitpunkt noch nicht und bestellt zwei weitere Jack’s.

 

Fast unbemerkt hat sich Woody Allen neben mich gesetzt. Meine Frage, ob er auch einen Bourbon möchte, beantwortet er mit einem Groucho Marx Zitat: „Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere“. Ich muss lächeln und bestelle ihm ein Glass Rotwein und mache ihn mit Eastwood bekannt. Die beiden haben sich noch nie gesehen und es besteht keine große Hoffnung, dass aus diesem Abend noch ein spannender wird. Eastwood ist sehr zurückhaltend und schüchtern. Allen ist viel zu albern und aufgedreht. Ich bin überfordert und suche das Klo auf. Beim Pinkeln fällt mir ein weiteres Groucho Marx Zitat ein: „ Außer Hunden sind Bücher die besten Freunde des Menschen, in Hunden dagegen ist es zum Lesen zu dunkel... Ich beschließe dieses Zitat zu verwenden um dem Gespräch der beiden Künstler eine neue Richtung zu geben. Als ich zurück komme ist das aber nicht mehr notwendig. Allen und Eastwood sind ins Gespräch vertieft. Kaum wahrgenommen setzte ich mich daneben und höre zu:

 

Eastwood: „…ich weiß nicht, ob mit 70 Jahren noch Filme mache. Wie soll das aussehen? Dirty Harry zwölfter Teil?“

Allen: „Kino ist doch kein Fernsehen. Ich glaube nicht, dass man im Jahre 2000 noch ins Kino geht.“ Theater wird nicht sterben, dass Kino schon“

 

Das Gespräch führt zu keiner neuen Erkenntnis. Beide Männer werden zu nehmend betrunkener. Geistesblitze hat keiner von beiden. Politische Themen werden vermieden, intellektuell gibt es keinen gemeinsamen Nenner.

 

Der Barkeeper legt „Things Ain’t What They Used to be“ von Oscar Peterson’s Album „Night Train“ auf. Kurzes Schweigen, dann Allen und Eastwood gleichzeitig: “Oscar Peterson ist ein Gigant”. Wieder Schweigen, ein kurzer gegenseitiger Blick ins Gesicht, ein Lächeln, Zustimmung. Eine gemeinsame Ebene ist gefunden: Die Jazzmusik! Das Gespräch vertieft sich, die Sätze werden kürzer, da beiden Schauspieler fast einen halbe Stunde gegenseitige –fast monoton– ihre Lieblingsjazzplatten aufzählen. Auch ich werde gefragt und erzähle von Herbie Hancock, Chick Corea und Steely Dan. Die Interpreten werden von beiden nicht wahrgenommen, da es noch kaum Expertisen gibt. Ich erinnere mich, wir befinden uns im Jahr 1972. Ich bestelle zwei weitere Biere, einen Rotwein und natürlich zwei kleine Jacks.

 

Als ich zurückkomme, sehen mich beide an. Allen fragt mich, wer ich eigentlich bin. Ich versuche zu erklären, dass ich ein kleiner, unbedeutender Journalist bin, der Tagebuch schreibt. Eastwood fragt nach woher ich komme. Ich antworte: Cologne, Germany!

 

Das Gesprächsthema entwickelt sich in Richtung Europa. Allen erzählt von seinem Plan, einige europäische Filme zu drehen. Eastwood bestätigt häufiger, dass er sich weiterhin gerne mit amerikanischen Themen beschäftigen möchte.

 

Nach ungezählte weiteren Gläsern Bourbon, frage ich beide was sie von mir wissen möchten, wenn ich aus der Zukunft käme. Ich leite die Geschichte mit der ureigensten Fragestellung des deutschen Märchens ein: „Stellt Euch vor, ich komme tatsächlich aus der Zukunft, aus dem Jahre 2009 und ihr dürft mir eine Frage stellen, welche wäre das?“. Eastwood antwortet relativ spontan: „Bin ich mit 79 noch Schauspieler und Regisseur?“. Allen lacht und wird wieder albern. Wie eigentlich immer, wenn er unsicher ist. Er blickt über seine viel zu große Brille auf die verbleibenden Gäste. Dann trinkt er den Rest seines Weines in einem Zug, sammelt sich und posaunt es heraus: „Bin ich im Jahr 2009 ein bedeutender Filmemacher?“

 

Ich zünde mir eine Zigarette an, nutze die Zeit für einen schlauen Blick und koste die Zeit aus. Im Hintergrund sehe ich Chevy Chase und muss an einen kurzen Ausschnitt in den „Specials“ auf der DVD „Kurzer Prozess“ denken. Man sieht den Premierenabend in New York. Unter anderem ist auch Chase dort. Er sagt zu dem Reporter: „Ich bin nicht da, mein Name ist Mr. White“. Dann umarmt er einen wildfremden Mann und sagt: „…und das ist meine Frau“. Ich muss lächeln. Eastwood und Allen sehen mich verstört, aber erwartungsvoll an. Ich beginne meinen Monolog:

 

„Freunde, stellt Euch vor: Im Jahr 2009 ist es üblich Filme in seinem Wohnzimmer zu sehen. Die Technikrevolution hat eine sensationelle Entwicklung hinter sich. Die Qualität der Fernseher ist besser als die im Kino, Fernseher hängen zum Teil an der Wand, flach wie Bilderrahmen. Natürlich gehen die Menschen noch ins Kino. Verpasste Filme werden aber zu hause gesehen. Bei mir ist es so, dass ich Filme liebe. Es ist für mich die größtmögliche Entspannung vom Alltag.“ Ich beschreibe die gesellschaftlichen- und wirtschaftlichen Probleme des Jahres 2009, vom Autorenstreik in Hollywood. Stelle Bezüge zur Filmwirtschaft dar und umschreibe die Problematik des Filmdiebstahls per illegalen Downloads. Keiner fragt nach. Das Interesse ist groß. Glaubwürdig hängen beide an meinen Lippen, hoffnungsvoll in der Erwartungshaltung auf die gestellten Fragen. „Die meisten Filme im Jahr 2009 sind Durchschnitt!“, quittiere ich. „Meistens bin ich unzufrieden, aber es gibt einige Filmemacher die mich permanent begeistern“. Ich nenne die Namen Tim Burton, die Coen Brothers, außerdem erzähle ich von den Fernsehserien „Sopranos“, „Lost“, „Prison Break“. Das Interesse lässt nach, dass rezeptive Verständnisse den Geschichten aus der Zukunft zu folgen, die Abstraktion überfordert selbst Eastwood und Allen. Ich merke es und komme auf den Punkt! Ich erzähle von den beiden kürzlich gesehen Filmen der beiden. „Grand Torino ist mein Lieblingsfilm des Jahres“, sage ich zu Eastwood. Zu Woody Allen sage ich, dass ich seine letzten Filme „Match point“, „Scoop – Der Knüller“ und „Cassandras Traum“ wirklich, wirklich grandios, unterhaltsam und intelligent fand. Ich untermauere diese Aussage mit einem Zitat meiner Frau: „Allen ist in der Lage uns allen permanent zu zeigen, was wir für Idioten sind!“. Woody muss lachen. Das erste Mal an diesem Abend von Herzen. Ich erzähle ihm weiterhin von seinem neusten Film „Vicky Cristina Barcelona“. Einer wunderbaren, geistreich-witzigen Liebestragödie mit einen mehr als fantastischen Besetzung. Ich fange an von Scarlett Johansson zu schwärmen. Von ihrer unaufdringlichen, natürlichen Schönheit. Außerdem von Javier Bardem, den ich seit diesen Film zu meinen Lieblings-Smarten-Schauspielern zähle. Und von der unglaublichen Leistung der Penelope Cruz, die für die Rolle der Maria Elena zurecht den Oscar erhalten hat. Ich erzähle ihm davon, dass ich so sehr davon fasziniert bin, dass die Menschen in diesen Filmen zwar alle reichlich beschränkt sind, aber ständig von schönen Dingen umgeben sind. Von gutem Essen, sehr gutem Wein, schöner Kunst, toller Landschaft und idyllischen Atomsphären. Berichte weiterhin darüber, dass ich genau das von meinem Leben erwarte. Ständig von schönen Sachen umgeben zu sein. Dann gerate ich ins Schwärmen wegen den schönen Kameraaufnahmen im sonnigen Barcelona und der Idee einen ganzen Sommer an einem anderen Ort zu verbringen. Ich blicke kurz nach Links. Eastwood ist weg, kurz fang ich an noch mehr zu schwitzen. Dann merke ich seinen Atemzug in meinem Nacken. Er setzt sich wieder. Hat nur 3 kleine Jacks geholt. Und 3 Bier. Zwischenzeitlich trinken wir alle das gleiche. Ein kurze Gesprächspause. Ich versuche eine Verbindung herzustellen. Allen sieht nun glücklich aus. Zwischendurch sagt er Dinge, wie „…ich lebe also noch“ und „…dann habe ich es doch geschafft“. Gerne hätte ich bestätigt. Aber Eastwood zündet sich eine Zigarette an. Bevor er das tut, klopft er sein Zippo auf den Tisch. Nicht zu laut, aber markant. Ich weiß, was er erwartet!

 

„…mit 79 Jahren drehst Du die besten Film der Welt!“. Du hast Dich vor Deinem letzten Film aus dem Jahre 2008 entschieden, nicht mehr vor die Kamera zu treten“. Ich räuspere mich, „in der letzten Sequenzen als Schauspieler bist Du tot. Du liegst in einem Sarg, ausstaffiert mit der amerikanischen Flagge. Zuvor bist Du den verdienten Heldentod gestorben. Du hast es geschafft Dein Leben als Schauspieler würdevoll zu beenden und Dir einen der besten Abgänge der Unterhaltungsindustrie überhaupt geschaffen!“ Dazu hast dazu einen sagenhaft Song geschrieben. Ich fange an zu singen: „These streets Are old , They shine, With the things, I've known,And breaks,Through  The trees, Their sparkling, Your world Is nothing more, Than all The tiny things, You've left Behind”. Ich erzähle ihm vom Abspann des Filmes. Davon wie sein Co-Held den Ford Torino am Lake Michigan lang steuert. Habe kurz Tränen in den Augen, wegen meinen Erinnerungen an diesen großen See, der eigentlich ein Meer ist und berichte ihm davon, wie sehr ich davon beeindruckt bin, dass er eines seiner künstlerischen Leitthemen, die Rache, in diesem Alterswerk „Grand Torino“ Erkenntnis- und Bekenntnisreich umsetzt. Das er einen Film gemacht hat, der unter-priviligierten und priviligierten Menschen die Wahrheit zeigt und mit einer unfassbaren Leichtigkeit aufzeigt, wozu starke Filme in der Lage sind.

 

Ich habe es nicht bemerkt aber zwischenzeitlich sitzen nicht nur Eastwood und Allen an unserem Tisch. Erwartungsvoll sind einige andere mir bekannten Künstler, Schauspieler und Musiker an unseren Tisch gekommen. Auch Chase und Belushi hören mir zu. Ich werde müde und traurig, da ich gerade in Johns Gesicht sehen muss. Ich entschließe mich aufs Klo zu gehen. Ich muss mich übergeben. Danach setzte ich mich auf den Boden und atme durch. Ich denke, was muss eigentlich noch alles passieren, damit die Leute Dir zu hören. Ich schließe die Augen, schlafe ein und träume. Ich bin zurück im echten Leben.

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