Grapefruit Moon

von Alan Lomax und Rick Deckard  -  27. April 2009, 18:59  -  #Populäre Musik

Wow! Ich habe lange mit mir gehadert: Warum habe ich mich nicht früher diesem Musiker gewidmet! Was für eine verschwendete Lebenszeit. Nun gut,'sag niemals nie' und 'besser zu spät als gar nicht'. Ich mag solche trivialen Formulierungen nicht, aber sie treffen ins schwarze. Begeisterung pur. Es gibt diese merkwürdigen Tage, an denen sich das Päckchen öffnet, welches man lange irgendwo in einer Schublade verstaut hatte und vor lauter Unwissenheit und Voreingenommenheit tunlichst nicht öffnen wollte. Bis eines Tages diese berühmte Neugier an einem nagt, man vorsichtig die Schublade öffnet, das Paket aufmacht und einen Gold anstrahlt. Ja wirklich! Es passte einfach alles zusammen: Ich hatte mir in einer benachbarten Mall 'Bushmills' und 'Jack Daniels' besorgt, die Abendsonne ging unter. Den 'Bushmills' liess ich erstmal stehen und goss mir einen doppelten Jack Daniels ein. Dann ging ich auf Entdeckungstour und stiess auf dieses Cover... . Hmm. Wer mich kennt weiss, dass meine Motivation auch eine solche ist von dem Cover auf die Musik zu schliessen, da ich Musik manchmal (!) als Ganzes sehe und mir eine Einheit darunter vorstelle. Irgendjemand muss sich dabei etwas gedacht haben: Später Abend ganz offensichtlich in New York. Im Hintergrund ein beleuchtetes Treppenhaus, darunter in Grossbuchstaben das Wort 'Eat'. Daneben eine Miniaturausgabe des Empire State Building auf einem Diner. Ganz rechts ein Auto? Im Diner ein paar Menschen an der Theke am trinken, einige am essen. Ich liebe diese Grossstadt-Romantik. Was also verbirgt sich wohl dahinter? Curiosity killed sicherlich the cat, but saved Deckard again.

Was für ein Album, was für wunderbare, grossartige Songs!!! Welch eine Mischung aus Blues, Jazz, PoP und Croonertum! Ich war begeistert und seitdem läuft die Festplatte heiss. Fantastisch! Die Geschichten die erzählt werden, die Leidenschaft mit der sie gesungen werden, die Intensität die dahinter steckt, die Hingabe mit der der Sänger um die Aufmerksamkeit buhlt!!! Ich musste tief tief durchatmen, denn hier war meine gesamte Musik-Historie auf einen Schlag versammelt. Nie hätte ich diese Melodien, nie diese Instrumentierung, niemals diese Emotionen hinter solchen Songs vermutet. Gänsehaut pur. Dazu musste ich noch ein paar Jack Daniels mehr trinken, auch wenn ich hier das Klischeè voll bediene, aber es ging verdammt noch mal nicht anders. Dieser Mann sang aus meinem Herzen.

Die einsame Gitarre in 'Blue Valentines' das wunderbar stimmige Piano in 'Burma Shave', der walking bass in 'Diamonds On My Windshield'. Extrem variantenreiche Stücke. Mal singt er, mal erzählt er, mal spricht er, mal liegt Sanftmut in seiner Stimme, mal Witz, mal pure Melancholie, mal ist es der Gestus eines Chronisten und Beobachters seiner Umgebung. Als ob es nicht genug wäre und meine Sinne sowieso schon benebelt genug waren besingt dieser 'lonely man' auch noch den Samstag Abend! Er besingt die Geister und dann wiederum das Herz dieses Wochentages fast in Springsteen'schem Timbre lediglich begleitet von einem Klavier und dann wieder von einer Gitarre. Ich hätte weinen können vor Freude - besser geht es nicht. Gänse auf der Haut, Gänse unter der Haut. 

Das ist Poesie. Das ist Lyrik. Das ist Kultur. Das ist Musik. Das ist Leidenschaft. Das ist eine der uramerikanischsten Formen der Kunst.

Lomax hat das in seinem Steely Dan Beitrag treffend formuliert bzw. hergeleitet: Es ist eine Form der Kultur.

Es gibt so viele fantastische Songs auf diesem 'Album', dass ich später gar nicht wusste welchen ich wieder zuerst hören sollte: 'Grapefruit Moon'... . Wie kann man in der Lage sein so etwas schönes zu schreiben? Was muss ein Mensch in seinem Leben durchmachen um so etwas zu komponieren und zu singen? Fragen, die ich nie werde beantworten können. Plötzlich spielt eine Geige, ein Orchester und repetitiv dieses Klavier mit den zum Ende hin kaskadenartig abfallenden Akkorden. Was für ein Song! Tief durchatmen Deckard, tief durchatmen, schenk Dir noch einen ein. 
'I never talk to Strangers': Yeah! Ist das diese berühmte Stimme von der immer geschrieben wurde? Ein Duett, ein Saxophon, eine fordernde weibliche Stimme. Herrlich diese Streicher! 'Potter's Field': man hört ein ganz klein wenig Bernstein und Gerswhin am Anfang, bis diese Stimme einen gefangen nimmt. Leonard kommt dann auch später mit 'Somewhere': Sehr überspitzt gesungen, klingt schon wie eine Parodie gepaart mit etwas Zynismus.
Dann kommt die Überraschung des Albums schlecht hin: 'Tom Traubert's Blues - Bilder flossen an mir vorbei ... .

Wenn mich Musik auf eine Reise mitnehmen kann, auf einen Trip (nicht im Drogen geschwängerten Sinne), dann hat sie bei mir gewonnen und mich erobert, weil sie es schafft nicht nur für sich zu stehen, sondern zu einem Vehikel zu werden. Ganz grosse Kunst.

Später las ich, dass es sich hierbei um eine Zusammenstellung verschiedener Songs handelte, eine Art Werksretrospektive bei dem Asylum Label, die nicht nur einhellig positiv aufgenommen wurden, was mir aber
 egal war.

Viel zu lange habe ich in Abstinenz einer solchen Musik und dieses Künstlers gelebt, als dass ich dem Bedeutung beimessen würde.

Diesen Diner werde ich in meinem Leben immer wieder besuchen um einen Mann zu hören der es geschafft hat mich so zu bewegen, wie es nur wenige vor ihm vermocht haben:

TOM WAITS.

Danke für das warten Tom!

Ein wie immer begeisterungsfähiger, euphorischer, pathetischer und benebelter

R.D.
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