Nicholas Ofczareks Glanzleistung in DER PASS (SKY)

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  22. Oktober 2022, 12:02  -  #serien, #Fernsehen

Nicholas Ofczareks Glanzleistung in DER PASS (SKY)

"Es gibt koa richtigen Weg! Der eenzig richtige Weg ist der am Oarsch vorbei!"

Nicholas Ofczarek als Inspektor Gedeon Winter.

 

Nichts an diesem Charakter ist sympathisch. Er ist korrupt, abgefuckt, nimmt Drogen und trotzdem (!) schafft er es, uns zu überzeugen und auf seine Reise mitzunehmen. Er erreicht sogar noch viel mehr, was im "Lomax-Deckard'schen Universum" nahezu unmöglich ist, von Null auf Hundert: Kult-Status.

 

Kult? So ein unnahbarer, zwielichtiger, verdorbener Charakter? Was an ihm ist nachahmens-, geschweige denn bewundernswert?

 

Der Versuch einer Annäherung.

 

Ich schrieb es bereits an anderer Stelle an diesem Blog: Es sind nicht die "Normalos", die braven und "guten" Menschen, die interessant sind, es sind die Neurotiker, die Rebellen, die Anti-Establishment Zeitgenossen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nicht, dass wir deren Denken und Handeln als allgemein "gut" befänden, jedoch fasziniert uns der Kosmos, in dem sie leben, ihr Mut und ihre Fähigkeit eigene Werte und Normen aufzustellen und nach Ihnen zu leben, egal, was andere davon halten. Diese Standhaftigkeit ist es, die Charaktere wie Gedeon Winter zum schillernden Charakter machen.

 

Solche widersprüchlichen Charaktere zu verkörpern - so denke ich mir - ist schauspielerisch schwer und es ist der grandiosen Schauspielkunst von Nicholas Ofcazrek zu verdanken, dass ein Charakter wie Gedeon Winter nicht nur fasziniert, sondern, auf ewig in Erinnerung bleiben wird.

Nicholas Ofczareks Glanzleistung in DER PASS (SKY)

DER PASS (Staffel 1, 2018) ist eine der besten Serien der vergangenen Jahre und zeigt, dass es möglich ist, auch hier zu Lande mit dem entsprechenden Elan und Mut Serien, Filme zu erschaffen, die internationalen Standards mühelos Stand halten können.

 

Besonders hervorstechend ist die atemberaubende Kameraführung von Philip Peschlow, die gewaltige Bergpanoramen ebenso bedrohlich einzufangen weiss, wie dunkle, kaum beleuchtete Innenräume. Nach dieser Serie verspürt man wenig Lust im Winter durch die Berge zu wandern.

 

Ein weiterer Pluspunkt ist die sehr gute und vor allem äusserst effizient eingesetzte Musik (eher Sound) von Jakob Shea. Zusammen mit den Bildern von Peschlow entfaltet sie eine bedrohliche Wirkung und einen Sog, eine Faszination, der man sich nicht entziehen möchte.

 

Aber alle Technik der Welt, alle Dramaturgie, alle guten Drehbücher sind nichts Wert, wenn es keine Schauspieler gibt, die die Geschichte mit Leben füllen können und am dieser Stelle kommt Ofczarek ins Spiel.

Nicholas Ofczareks Glanzleistung in DER PASS (SKY)

Der berühmte britische Schauspieler Sir Laurence Olivier sagte einmal, befragt zum Method Acting, er nähere sich lieber den Charakteren von außen, über den Gang und andere körperliche Eigenheiten und taste sich so an das Wesen des von ihm zu verkörpernden Menschen heran. Sein Erfolg gibt ihm recht.

 

Das, was ich nachfolgend schreibe, ist mir etwas peinlich, aber "GAJ", ein berühmter Freund von mir, sagte einmal in den 90er Jahren, es sei auch wichtig zu den peinlichen Momenten um Leben zu stehen.

 

Als ich die Serie DER PASS beendet hatte, stand ich auf und erwischte mich dabei, wie ich, wie Ofczarek aka Winter, mit dem selben Gang in die Küche ging. Wenn das passiert, dann ist das eingetreten, was ich oben schrieb: Die höchste Form der Anerkennung wurde erreicht - Kultstatus!

 

Ich erinnere mich an meine Jugend, und an dieser Stelle bitte ich ehrlich zu sein, wer nicht?, in der ich nach Beendigung eine Films im Kino den Helden nachahmte, sei es Clint Eastwood, Bruce Willis, Peter O' Toole oder Mickey Rourke.

 

Menschen mit Dämonen, die sie beherrschen und quälen, sind ein weiteres Faszinosum. Nicholas Ofczarek schafft es mit seinem höchst konzentrierten und beherrschten Spiel diese so schwere Gratwanderung zwischen "Loslassen" und "Vernunft" vor allem physisch zu transportieren.

 

Bereits die Eröffnung zu Beginn der ersten Folge, in der er mit Sonnenbrille schlafend in einem Auto die Berge hochfährt, lassen erahnen, dass dunkles bevorsteht. Die erste Begegnung mit seiner deutschen Kollegin Ellie Sticker (ebenfalls vorzüglich gespielt von Julia Jentsch) macht ihn nicht gerade sympathisch, lässt ihn wie einen gedanklich faulen Zeitgenossen erscheinen.

 

Je weiter die Serie voranschreitet, desto mehr öffnet sich die Seele von Gedeon Winter und an diesem Punkt trennen sich gute von sehr guten und exzellenten Mimen: Nicholas Ofczarek schafft es Mitgefühl in uns zu erwecken! Irgendetwas, was nicht näher in der Serie erörtert wird, quält unseren Helden, ja Helden!, und diese Qual, diese Zerrissenheit verkörpert Ofczarek mit überragender schauspielerischer Qualität!

 

Der Grund, warum solche (widersprüchlichen) Charaktere es schaffen, uns auf Ihre Seite zu ziehen, ist der, dass Schauspieler wie Nicholas Ofczarek es vermögen, uns mit Ihnen leiden zu lassen. Das gelingt aber nur mit Ausnahmetalent und skills, über die der Österreicher verfügt.

 

Um nicht Spoilern zu wollen: Eine Szene mit Ihm in einer Kneipe geht in die persönliche Geschichte ein! In dieser intensiven Szene ist er so gut, dass man mit ihm singen möchte, ihn bewundert, aber auch zeitgleich bemitleidet und um ihn weinen möchte! Grandios!

 

Warum sind solche Charaktere "Helden"?

 

Weil Sie Mut haben und sich trauen Dinge nicht nur zu sagen, sondern auch zu tun.

 

Scheinbar - und hier werden Parallelen erkennbar zu Matthew Mccounagheys sensationeller Leistung in TRUE DETECTIVE - sind solche Menschen getrieben auf der Suche nach der Wahrheit. Gedeon Winter lässt sich von nichts und niemanden beirren und folgt seiner (richtigen) Intuition. Diese Unnachgiebigkeit gepaart mit Standhaftigkeit und vor allem Mut machen Winter zum Helden. Selbst dem Innenminister gegenüber kennt er keine Manschetten. Massgeblich ist dabei, dass die Jagd nach dem Serienkiller für ihn nicht zum überlebensgroßen moralischen Kampf wird, sondern der Killer für ihn nur eins ist:

 

"A Oarschloch!"

 

Weltklasse die Szene, in der er seinem Widersacher nach einem Anschlag nachstellt und trotz seiner Körperfülle jagt: Kult!

 

Warum sind solche Charaktere Helden?

 

Weil sie keine Angst haben!

 

Sam Peckinpah hatte es bereits in seinem Meisterwerk THE WILD BUNCH thematisiert: Die Todessehnsucht. Gedeon Winter - die Schlussszene zwischen Ellie Stocker und Gedeon Winter gehört zu den berührendsten der Fernseh- und Filmgeschichte! - folgt seinem eigenen moralischen Kompass und er zeigt, dass die Definition von "gut" jedermanns eigene ist.

 

Nur wenige Figuren schaffen es in der Fernseh- und Filmkultur in Erinnerung zu bleiben: Winterjacke mit Fell, offener Hals, heraushängendes Hemd, dunkle Sonnenbrille, Schmerbauch, Zigaretten, Bier, Schnaps. Erstklassige Frisur. Versteckter Humor. Unvergessen.

 

"Wenn's in Indien bei einem Zugunglück 139 Menschen sterben, dann es des zu abstrakt, aber wenn a Madel im Schwimmbad ertrinkt, dann kommens hoch, die ganz großen Emotionen."

 

Vom Pass,

 

Rick Deckard

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