Alfred Biolek - Nachruf

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  23. Juli 2021, 10:29  -  #Vergessene Helden, #Essay, #Fernsehen, #Feuilleton, #Klassiker, #Kommunikation

Bild: picture-alliance/dpa/Henning Kaiser

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Wieder einer weniger! Es macht mich insbesondere bei den großen Allroundern, Show- und Talkmaster der älteren deutschen Fernsehgeschichte immer sehr traurig! Denn mit dem Tod dieser Legenden, völlig unabhängig von subjektiven Eindrücken, stirbt auch immer etwas von einem selbst. Alfred Biolek war in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren immer da. Wie ein liebes Familienmitglied, tauchte er regelmäßig im Wohnzimmer meiner Eltern, später auch im Eigenen auf und war ein gern gesehener Gast und Verwandter der guten Zeit.

Wir Kinder und Erwachsenen dieser guten, alten Fernsehzeit verstehen inzwischen, dass Biolek ein Pionier war. Diese Aussage kann nun doppeldeutig verstanden werden. Einerseits Erfinder von Talkformaten und Kochshows und Vater der Rudi Carell Show "Am laufenden Band", anderseits aber auch Intellektueller Visionär, der aufgrund seiner Bildung und Haltung bereits in den sechziger Jahren verstanden hat, dass der Kampf gegen das Kleinbürgertum nur funktioniert, wenn die Spießer nicht für solche gehalten werden, sondern mit neuen Denkmöglichkeiten und Optionen konfrontiert werden.

Anders ist es nicht zu erklären, dass er z. B. Hermann van Veen zu Beginn der siebziger Jahre im deutschen Mainstream etablierte und mit Monty Pythons Flying Circus, das damals wohl radikalste Format im deutschen Fernsehen platzierte. 

Heute wird so etwas Radikalisierung aus der Mitte genannt, aber in Wirklichkeit hat der ewig charmante und hochintelligente Alfred Biolek gar keinen Anspruch gehabt, den Mainstream zu radikalisieren, sondern eben zu unterhalten. Und zwar nicht mit Heimatmelodien und Schlagersternen, sondern mit einer guten Mischung, so banal sich das auch anhört.

Für mich als ungefähr 10-jähriger war es damals "Bio's Bahnhof". Eine Show die ich geliebt hatte und die ein wöchentliches Ereignis im Kreis meiner politisch sehr zerstreuten Familie war. Denn wir haben das alle in Eintracht gesehen. Die Eintracht kam in dem Fall durch die Ungeheuerlichkeit zustande, dass dort die Musik meiner älteren Geschwister, mit der Musik meiner Eltern, zusammen in einer Show gezeigt wurde. Dieses Spektrum war zu der Zeit einzigartig und international vielleicht mit der Johnny Carson Show vergleichbar.

Unvergesslich der exaltierte Auftritt von Kate Bush (unbedingt zu ende gucken!) und natürlich der erste von Sammy Davis, Jr. in Deutschland aller Zeiten. Biolek war zu der Zeit ein Kurator, ein kreativer Entdecker und Visionär. Ohne jemals eitel, arrogant zu sein oder anzuecken. Obwohl sicherlich viele Biedermänner und -frauen zu der Zeit, gerne etwas mehr negatives über ihn gesagt hätten. Scheinbar haben sich nur wenige getraut. Und so ist auch die Geschichte mit RTL und Rosa von Praunheim aus heutiger Sicht vielleicht nicht mehr erwähnenswert, aber eben passend zu dieser Zeit und der medialen Entwicklung.

 

Mitte der neunziger Jahre habe ich Alfred Biolek fast täglich getroffen. Er lebte in der Kölner Nordstadt und ging häufig im Theodor-Heuss-Park spazieren, in dem ich meine Mittagspausen verbrachte oder auf dem Weg zur Arbeit war. Nach dem wir uns das zweite oder dritte mal begegnet waren, grüßte ich ihn eines Tages mutig mit "Guten Tag Herr Biolek". Von da an grüßten wir uns gegenseitig, häufig. Das war ein schönes Erlebnis und fühlte sich an als wenn wir alte Bekannte waren. 

Ich fand die Idee, Kunst und Kultur zu entdecken und diese zu fördern oder aus dem Underground in den Mainstream zu hieven schon immer bemerkenswert. Trotz Blog und Radiosendung ist die Response gering. Emotional denke ich natürlich häufig, dass der Mainstream einfach keine freien Empfangskanäle mehr hat. Faktisch muss ich natürlich zugestehen, dass die Macht des Massenmediums TV mit damaligen Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich, auch einfach solche Momente schaffen konnte.

Und so traurig ist dann auch die Erkenntnis in Zeiten der Digitalisierung und der Sozialen Medien. Vielleicht sind einige unserer Entdeckungen wichtiger und nachhaltiger als die eines Alfred Biolek, aber zu der Zeit und unter diesen anderen Bedingungen, war das eben auch ein anderes Kaliber. Die Kämpfe, die Aggressoren, die Neider, das Establishment kann damals nur jemand wie Alfred Biolek bekämpft haben, um sein Interesse, seine Leidenschaft und diese Künstler durchzusetzen. Er war ein Krieger für die gute Kultur. Und so werde ich Alfred Biolek in Erinnerung behalten: Freundlich grüßend und immer mit dem richtigen Verve und der Bedeutung von Chutzpe, der sozialen Unerschrockenheit geschuldet ist.

Vom Ebertplatz, Richtung Theodor-Heuss-Park spazierend

Alan Lomax

 

 

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