Kris Kristofferson – Essen Lichtburg 13. Juni 2018 und Essay
Anmerkung des Autors: Der erste Teil ist ein persönliches Essay und zeitgleiche Erklärung über das Phänomen „Beeindruckt sein von der Menschwerdung von Helden, die man sein Leben lang auf der Leinwand bewundert hat und die auf einmal leibhaftig vor einem stehen“.
Der zweite Teil dann beschreibt das Konzert vom 13. Juni 2018. Leser die sich vor persönlichen Eindrücken scheuen, sollten also direkt beim zweiten Teil s.u. anfangen…“
Teil 1
Ich liebe das amerikanische Kino! Die Hinwendung zu dieser Kultur ist für mich zu gleich nachhaltig und historisch. Außerdem stellt das amerikanische Kino aller Epochen für mich noch immer eine Abwendung vom gegenwärtigen Geschehen da. Man kann da sicherlich auch von einer Flucht sprechen. Nach der Vorliebe für das Wunderbare und Traumhafte, beginnt irgendwann auch das Interesse an dem Wissen und der Analyse dieser Kunstform. Neben der Leidenschaft entwickelt sich dann eben auch ein unvermeidliches Spezialwissen, was einen persönlich in dieser Gesellschaft leider oftmals zum Sonderling abstempelt. Was nicht schlimm ist, aber den Erklärungsaufwand, weshalb man nun an diesem Abend in Essen, bei dem Auftritt von KRIS KRISTOFFERSON, erstmal eine Stunde mit Gänsehaut und offenen Mund in der großen Lichtburg sitzt, bevor man sich wieder einigermaßen gefangen hat, erhöht.
Denn natürlich ist im Fall von KRISTOFFERSON nicht das Thema Countrymusik, welche hier heute Abend für mich im Mittelpunkt steht. Für mich ist es die Unglaublichkeit: BILLY THE KID (Pat Garrett & Billy The Kid), PACO (Bring me the Head of Alfredo Garcia), MARTIN “RUBBER DUCK” PENWALD (Convoy) von Sam Peckinpah / DAVID (Alice Doesn’t Live Here Anymore) von Martin Scorsese und JAMES AVERILL (Heavens Gate) von Michael Cimino; …in einer Person zu sehen. Die Filmrollen die KRISTOFFERSON in diesen Filmen (und noch vielen hier nicht benannten) übernommen und dargestellt hat, sind für mich von so einer großen Monumentalität, dass es einer Reise mit einer Zeitmaschine gleich kommt, die ich nutzen würde, um an die Sets meiner Lieblingsregisseure SAM PACKINPAH, MICHAEL CIMINO und MARTIN SCORSESE zu reisen.
Die Möglichkeit diese Präsenz, diese Kultfigur und Leitfigur des amerikanischen Kinos einmal zu beobachten und persönlich zu erleben, ist überwältigend.
Leider ist es ja häufig heute so, dass es für viele Menschen schwer zu begreifen und überhaupt nicht nachvollziehbar ist, welche Kraft und Sogwirkung die o.g. Filme gehabt haben. Eine Würdigung findet selten statt und somit ist das meine Motivation, diesen Blog weiter zu betreiben und davon zu berichten, wie es sein kann, wenn man z. B. immer wieder fast eingeschüchtert und demütig von seinem Lieblingsfilm HEAVENs GATE berichtet und mit einem Schlag ins Gesicht feststellt, dass so ein unfassbares Kunstwerk in absolute Vergessenheit geraten ist und heutzutage Nachts um 02:15 Uhr auf TELE 5 den Schlaf der gnadenlosen Ignoranz fristet.
Ich will ja auch gar nicht in Frage stellen, dass das Empfinden eines jeden Menschen unterschiedlich ist. Und ich somit auch keine Kultur- und Gesellschaftskritik aus diesem Ereignis KRISTOFFERSON machen will, sondern nur kurz und kleinlaut aufmerken muss, dass es für mich die Erfüllung ist, eine lebende Figur zu sehen, die an einer der schönsten Filmsequenzen der Filmgeschichte teilgenommen hat. Nämlich an der legendären Rollschuhsequenz in HEAVENS GATE, in der KRISTOFFERSON mit ISABELL HUPPERT in einem Festzelt in der kargen Grasssteppe zu der Musik einer Fidel tanzt. Diese Sequenz ist von Kameramann Vilmis Zsigmond in einen so unfassbaren Sepia-Ton eingefärbt und von Regisseur MICHAEL CIMINO so unglaublich nahegehend inszeniert, dass mir jegliche Sinne entgleiten.
Ähnlich wie CIMINO, war auch Peckinpah ein Meister der Charakterzeichnungen. So gestandene Typen wie KRISTOFFERSON es nun mal von Natur aus sind, wirken mit allen Hintergründen und Geschichten ihres Lebens, dann natürlich in diesen Filmen noch mal deutlicher nach. Ich denke da nur an die Anfangssequenz von PAT GARRETT und BILLY THE KID, in der JAMES COBURN und KRIS KRISTOFFERSON aufeinander treffen. Das ist kein Zusammentreffen zweier Hollywoodstars, sondern das tatsächliche Zusammentreffen zweier Westernlegenden. Und so war es auch in Peckinpah’s künstlerischem Sinne, denn fast alle seine Filme sind keine sog. Spielfilme, sondern bespielen eine überwältigende Echtheit und werfen einen existentialistischen Blick auf Amerika.
Und vielleicht ist das zusammengefasste Motiv dieses Abends im Einklang mit meiner Liebe zum Film, zum Mythos Western, zu Amerika und zur Musik aus diesem Land, auch am besten mit dem Hauptmotiv der Helden aus den Peckinpah Filmen zusammenzufassen: Fast immer verpassen sie ihr Leben, auch wenn sie einen Sinn oder ein Ziel gehabt haben. Alle wollen den amerikanischen Traum leben und eigentlich auch gesellschaftlich funktionieren. Irgendwann aber erkennen sie alle, dass ihnen die Gesellschaft, die Politik oder der Unfrieden der Menschen im Wege steht und wehren sich. Diese Sozialisierung ist natürlich moralisch fragwürdig aus heutiger Sicht und daher auch für viele Menschen als Kunst und Unterhaltung schwer nachzuvollziehen, aber eben auch der friedliche filmische Versuch gesellschaftliche Verhältnisse mit Mitteln der Kunst von vorhandenen Verhältnissen abzuwenden. Eine Reaktion. Reaktionär! Ein abwertendes Wort! Leider! …und dann aber auch eine schöne Überleitung, um nach diesem umfassenden Essay, endlich, zu KRIS KRISTOFFERSON zu kommen. Der neben seinem unglaublichen Mythos als Schauspieler in ziemlich reaktionären Filmen, auch so etwas wie ein reaktionärer Countrystar ist. Aber vielleicht ist die Diametrik von reaktionär und alternativ hier schwer anzusetzen. Somit wähle ich auch dann auch das Wort alternativ.
Denn KRISTOFFERSON’s Einfluss auf dieses Genre ist musikhistorisch wichtig und relevant. Der Ursprung dafür ist schnell erklärt. BOB DYLAN, JOHNNY CASH und KRISTOFFERSON hatten alle HANK WILLIAMS als Vorbild. Alle drei brachten zweifelsohne ein neues Songwriting in die Countrymusik, die gesellschaftskritisch war und Texte über Versager, Ausgestoßene und Versager behandelte. Alle Drei haben letztendlich auch dafür gesorgt, dass die Countrymusik aus der sog. NASHVILLE SOUND FALLE befreit wurde.
Teil 2
KRISTOFFERSONs Setlist an diesem Abend ist zeitlos und umfasst ca. 30 Songs. Natürlich sind seine Klassiker „Sunday Mornin‘ Comin Down“, „Meand Bobby McGee“ und „Jesus was a Capricon“ dabei gewesen. Das gute Trio, welches die Legende begleitet, spielt Geige, Schlagzeug, Keyboards. Das Setting ist traditionell und countryesk minimalistisch.
Kris Kristofferson, in schwarz gekleidet, sieht sympathisch zerknautscht und würdevoll aus. Sein Alter und sein Leben sieht und merkt man ihm an. Die Akkorde auf der Gitarre greift er schlecht und unsauber, sein Gesang ist spürbar krächzend, was aber nicht wichtig ist. Denn mit seinen minimalistischen Songstrukturen, seiner Haltung und seinen Botschaften wirkt er tatsächlich wie aus einer anderen Welt kommend.
Die Zeit dieser Musik, dieses Mannes und dieser Haltung ist halt leider vorbei. Kristofferson verkörpert den aufrichtigen Mann, der zum Frühstück auch gerne mal ein zweites Bier zum Nachtisch nimmt und auf der permanenten Suche nach dem inneren Frieden ist.
Diese angenommene Verzweiflung lässt ihn aber scheinbar kalt und wirkt auf das Publikum dennoch zufrieden und dankbar. Das Publikum in der ausverkauften Lichtburg spiegelt das zurück. Ehrfürchtig, aber wohlig eingelummelt wird der 2/4 Takt gnadenlos angenommen, irgendwie respektvoll Abstand gehalten und doch an das Lebenswerk des Mannes und sein bewegendes Leben zurückübertragen, so dass ein Konsens entsteht, der für alle ok ist!
Die Zeiten in denen Kristofferson alleine mit akustischer Gitarre und Mundharmonika ans Mikrophone getreten ist, sind vorbei. Dylan hat einmal gesagt, dass keiner Kristofferson singt, wie Kristofferson und wahrscheinlich gilt das auch für seine Drogen- und Suff-Vergangenheit. Auch das ist egal, die Faszination bleibt permanent erhalten. Auch nach der 15-Minuten Pause bleibt die Spannung erhalten und das Publikum bleibt still konzentriert und Songwissend, applaudierend nach den ersten Textzeilen.
Zusammengefasst war das ein nostalgischer warmer und sehr schöner Abend mit einem Musiker und einer Hollywoodlegende an deren Authentizität wahrscheinlich 99 % der Weltbevölkerung arbeiten, diese aber nie erreichen werden.
Es gilt aber auch KRISTOFFERSON schon jetzt wieder zu entdecken und sich ihn zu bewahren. Das Album THE CEDAR CREEK SESSIONS bietet sich dafür bestens an. 2017 wurde es als bestes AMERICANA-ALBUM für den Grammy nominiert und zeigt noch einmal an, dass dieser Mann ein grandioser Songschreiber ist und weiterhin in einem Atemzug mit JOHNNY CASH, WAYLON JENNINGS und WILLIE NELSON (HIGHWAYMAN) genannt werden muss.
Aus Bronsville
Alan Lomax