Mord im Orientexpress - Kenneth Branagh

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  6. Januar 2018, 13:29  -  #Filme, #Fernsehen

Mord im Orientexpress - Kenneth Branagh

Diese kurze Filmkritik, könnte man eigentlich auch eigentlich direkt, in den Artikel http://www.lomax-deckard.de/2018/01/das-kino-wird-zur-virtuellen-realitat-wie-das-internet-und-die-technik-die-unterhaltung-verandert.html einbetten, den Rick Deckard vor kurzer Zeit hier gepostet hat. Und man könnte das Remake als Textur für den besten der Originalen Streifen von 1974 (Sydney Lumet) nehmen, um die beiden Streifen dann zum Überstülpen einer gesamten Diskussion nutzen.

Denn zunächst muss man das doch das positive darstellen: Rick Deckards Überlegungen sind schroff und hören sich ultimativ an. Sowas muss man erst mal immer verdauen. Vor allem als feinfühliger Mensch, der ich nun mal bin. Was gleichsam auch bedeutet, dass ich natürlich ein sogenannter Renaissance-Mensch bin, der dem Fortschritt zwar nicht im Wege stehen will, aber der Vergangenheit eben auch bestimmt pseudo-romantischen Momenten zugeneigt ist. 

Somit könnte man mir unterstellen, dass ich den nun schon wieder verfilmten Streifen MORD IM ORIENTEXPRESS von Kenneth Branagh (2017), ehr ablehnen würde, schon alleine, weil die Patina der Lumet Version und natürlich die wunderbare Darstellung des Hercule Poirot von Albert Finney so meisterhaft ist, wie der Detektiv selbst.

Nun ist Kenneth Branagh aber auch ein ziemlich schlauer Zeitgenosse, der sich natürlich der Vorlage bewusst ist und auch ganz bestimmt, das gute alte Kino so liebt, wie Rick Deckard, der ja nun aus totaler Enttäuschung und Frustration einen vorläufigen (!?) Schlussstrich gezogen hat.

Zunächst einmal drehte K.B. den Streifen in Super Panavision 70. Also dem Breitwandformat, in dem fast alle großen Hollywoodfilme überhaupt gedreht worden sind.

Und schon ist man mitten drin im Dilemma! Lumet vs. Branagh…Branagh vs. Finney…siebziger Jahre vs. 2017…Antizipieren der Zuschauer zu unterschiedlichen Zeit etc….Tolle Kinosäle vs. Nacho-Fressenden-Tempelr-Horden! Nun! …es ist Samstag, ich habe Zeit, lassen wir uns darauf ein:

Lumets Fassung ist toll überhaupt keine Frage!. Der Plot ist weitestgehend bekannt und kann nicht geändert werden. Das Sujet im geschlossenen Teil der Berge bzw. des Zuges auch nicht. Wie man mit Rückblenden umgeht und aus welcher Perspektive man die Geschichte erzählt ist sicherlich wichtig für eine Beurteilung. Und da kann ich nur sagen, dass dieser Punkt an Branagh geht. Trotz der tollen Erzählung von Lumet, machte sich Branagh in seiner Version Gdanken um eine Vertiefung der Figur des Belgiers Poirots und nimmt ihm seine Ironie und stattet ihn dafür mit Shakespearschen Grundgedanken der menschlichen Verfassung aus und liefert obendrauf noch tolle Bilder. Der Mittelteil beider Filme ist übrigens gleich langweilig. Was aber ehr auch an der ständig über allen Dingen stehenden Agatha Christie liegt, die ja wahrscheinlich nicht angreifbar ist. 

Branagh ist zweifelsohne ein guter Schauspieler und zudem Theaterkenner. Finney punktet hier aber durch Eleganz, seinem besseren Bart, besseren Bewegungen und bekommt zudem Punkt aufgrund der Dinge, die Deckard in seinem o. g. Artikel schreibt. Kleinlaut: Er hat ja recht…

Als methodischen Ausgleich für die Gegenüberstellung der Jahrzehnte, könnte man das Ensemble beider Filme nehmen. Und somit sind wir wieder beim Schauspieler Faktor. Rocken wir es runter um es einfacher zumachen, könnte man auch Michael York und Vanessa Redgrave nehmen und genauso wahllos in den ebenso überfrachtenden Cast von 2017 reingreifen: Judi Dench und Willem Dafoe. Alle vier grandios in den Mord im ….Filmen aber auch ansonsten, was deren Vitae und Handwerk angeht. Ein Unentschieden! Ganz klar. Hier kann man niemanden etwas vorwerfen.

Das Antizipieren der Zuschauer in unterschiedlichen zeitlichen Epochen! Eine interessante Frage, die ich natürlich, als 1970zig geborener nicht beantworten kann, aber auch nicht brauche, den ich teile Deckards, Ansicht, des Gold- und Kieselsteinvergleichs nicht und glaube schon gar nicht, dass die Menschen früher ein besseres und leidenschaftlicheres Kulturwissen hatten, als die Menschen die heute Filme sehen. In unserer Aufführung waren an einem Freitag um 17:00 Uhr über 400 Leute im Kino. Und die sahen nicht alle so aus, als wenn sie nicht wüssten wer Peck, Clift oder eben Johnny Depp ist! Und um auch gleich zum Kinosaal zu kommen. Das Ressidenzkino mit Lederliegesesseln und Getränkeservice im Vorprogramm ist einfach großartig. Von der Technik einmal ganz abgesehen.

K. Branaghs Film fängt mit einem tollen Intro in Jerusalem und Istanbul an! Er verliert sich dann etwas im Mittelteil, bekommt aber wieder eine ungeheure Stärke zum Schluß, nicht zu letzt weil der Nordirische Regisseur und Schauspieler sein ganzes Theater- und Wissen über Dramatik in dieses Ende setzt, welches Lumet lange nicht so gut hinbekommen hat. Denn der Beginn seines 1974 gedrehten Filmes ist ehr lasch, aber z. B. was die Stilistik des gesamten Filmes und insbesondere die Charakterzeichnung der einzelnen Figuren angeht, grandios.

Bleiben wir also britisch, belgisch, kolonialistisch und sportlich und geben dem cineastischen Treiben ein Unentschieden. Welches dem Spaß den beide Filme machen, am fairsten erscheinen lässt und was gleichzeitig beweist, dass es nicht immer ein schwarz/weiß, eine Ende/ein Anfang geben muss. Und auch zeigt, dass es durchaus Mitten und sogenannte Grauzonen gibt. Insbesondere in der Filmkunst und Unterhaltung. 

Somit ist die allgemeine Entrüstung von Rick Deckard nachvollziehbar, aber eben auch nicht überzeugend, was aber die Gegenwart, wenn man sich ihr etwas mehr öffnet, aber ganz bestimmt die Zukunft beweisen wird und beide Filme als Empfehlung freigegeben, mal wieder einen guten „alten“ Film zu sehen, mit der Magie des „guten, alten Kinos“ und eben einer zeitgenössische Version, die sehr unterhaltsam ist und der man sogar cineastischen Tiefgang unterstellen kann, wenn man sich auf Themen wie Schauspielerführung oder Shakespear Dramen einlässt. Alles geht, nichts muss, hat mal einer gesagt.

Aus einer Kneipe in Stratford-upon-Avon
William Lomax

 

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