Jahresrückblick 2011: Popmusik und andere Schubladen

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  9. Dezember 2011, 19:47  -  #Populäre Musik

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Sapalot, ich befinde mich immer noch im Garten und Rick Deckard hat es in seinem letztjährigen Jahresrückblick: Popmusik richtig beschrieben. Und ehrlich, bei der ganzen Schönheit und Vielfalt der Flora, bleibt es mühsam eine Struktur in das Dickicht zu bekommen. 

http://www.lomax-deckard.de/article-jahresruckblick-2010-popmusik-64124618.html

Aber ich lerne hinzu und versuche zu verstehen. Insbesondere zwei Zitate bewegen mich diesbezüglich seit Tagen: von Deckard 1.) ...man sollte den analytischen Blick nicht von Bitterkeit eintrüben lassen und von Joachim Roedelius 2.) Warum denn so kompliziert ? Ist doch alles ganz einfach ! Jedenfalls fuer jemanden wie mich, der das Glueck hat, sich NICHT  mit dem "Gedankentheater" um die Geschichte und das Wie jeglicher Musik, beschaeftigen  zu müssen, sondern  der "getrieben" von seinen Wünschen,  Talenten,  Visionen verwirklichen darf, was in ihm nach Ausdruck verlangt und wie, ob alleine mit Tönen, musikalischen Gebilden, oder ( wie bei mir auch ) mit Worten, Texten, mit Poesie oder Werken der bildenden Kunst. 

http://www.lomax-deckard.de/article-fuck-art-let-s-dance-erster-versuch-jahresruckblick-der-lieblingsmusik-2011-89855094-comments.html#comment93179015 

Eine kleine Orientierung für mich und etwas Halt was meine multiple musikalische Persönlichkeit angeht. An beiden Sätzen werde ich mich versuche zu orientieren, auch wenn das nicht sofort erkennbar sein wird. Denn ein Vorwurf und ein Ansporn bleibt nach wie vor auch 2011: von Peter Hein 1.) Scheiße nix Neues von Serienstar Ewing 2.) It was a very good Year. 

Eine Gleichung mit Widerspruch, mit der ich leben kann! 

Das Problem mit Rückblicken ist die Vielzahl von kleinen schönen musikalischen Momenten die intim bleiben und großen schönen Sachen die man nicht richtig gehört hat oder noch viel schlimmer, wieder vergessen hat. 

Ich bleibe bei meinem Vorgehen der TOP 5 lange und kurze. Zuviel Text langweilt und hinterher ist immer noch nicht alles gesagt. So eine Einschränkung macht Sinn, weil man sich auf den musikalisch konzentrierten Hosenboden setzen muss. Schließlich ist das dann ein unwiederbringliches Fazit zu dem man stehen sollte. Und das gefällt mir gerade, auch aus Sicht des Gärtners. 

Vor den Charts trotz allem noch ein paar Worte zu übergreifenden musikalischen Ereignissen: 

An dem Versuch die Welt von Clutchy Hopkins final zu entdecken bin ich kläglich gescheitert. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Traum nicht aufrecht, erhalten wird. Die beginnende Erkundung des gesamten Universums war aufregend, gehaltvoll und hat mir gezeigt wie unwichtig, wichtig ein Gesicht zur Musik ist und wie grandios Kommunikation funktionieren kann. 

Sprache ist insbesondere bei deutschen musikalischen Künstlern ein entscheidender Moment: Neue Platte von Thees Uhlmann, Nils Frevert, Superpunk, Andreas Dorau, die Retrospektive der wunderbaren Erdmöbel, das Konzert von FSK und Kristof Schreuf in Düsseldorf und viele Gedanken zu dem Talent von Bernd Begemann haben mich das ganze Jahr begleitet. 

Ebenso begleitet haben mich alte Helden. Insbesondere zu nennen ist Ben Folds der mir mit seiner Werkausgabe The Best Imitation of Myself so viel vergessene Schönheit zurückgegeben hat, Steely Dan die mich tagtäglich begleiten und final, vielleicht überraschend die Pogues. Die Idee „Body of an American“ zweimal in der besten aller dies jährigen Serien „The Wire“ einzusetzen hat ein inneres Gefühlschaos von nicht enden wollenden Auswüchsen ausgelöst. 

Gefühlschaos auch beim Jazz. Da war das unvergessliche Konzert von Ornette Colemann in Moers, ein phantastisches Corea, Clarke & White Album, die unglaubliche Neuentdeckung des Tingvall Trios, initiiert von Rick Deckard und die Entdeckung der neuen Lieblingsplatte The Creator has a Master Plan von Pharoah Sanders. Allerdings auch immer viel Bitterkeit, die ich insbesondere hier abstellen möchte um wieder mehr Konzentration auf das bewusste Zuhören zu legen. 

Der Tod von Gil Scott-Heron hat mich persönlich ins Mark getroffen, ebenso natürlich der unnötige Schritt von Amy Winehouse. Alle nicht von dieser Welt. Und da sind leider so viele mehr. 

Außenseiter wie Public Enemy, Cake, Weezer, Seun Kuti, Bill Conti, John Grant, Arthur Rusell, Björk, Hindi Zahra, The Dorf, The High Llamas, Brent Cash, Wilco, The Budos Band oder Mariage Blanc, dann sicherlich Noel Gallagher, die vernachlässigte Filmmusik und so vielen anderen habe ich nachhaltig zu wenig Zeit geschenkt, würde es aber gerne nachholen. Posaune und Flügelhorn.... 

Aus gesamt kontextueller Sicht ist die (Wieder-)entdeckung von Joao Gilberto durch das wohl beste musikalische Buch des Jahres „Hobalala – Auf der Suche nach Joao Gilberto“ als das zu nennen, was ich aus diesem Jahr für immer mit ins Grab, auf eine einsame Insel oder an welchen Gott verdammten Ort auch immer, mitnehmen würde. 

Die Zeit Konzerte zu besuchen war in diesem Jahr, aus beruflichen Gründen, sehr eingeschränkt und dürftig. Daran muss gearbeitet werden. So würde ein Ausstehender wohl auch das Konzert des Jahres –Andreas Dorau im Kölner Stadtgarten- als dürftige Wahl bezeichnen. Für mich aber ist es die Zusammenfassung eines perfekten Abends. Und dazu tragen nun einmal auch Menschen bei, die einen begleiten und so einen Abend unvergesslich machen. Drängelnd fordert das TSOOL Konzert aus dem April nach seiner Berechtigung. Zu recht. 

2011 wird zu dem in die Geschichte eingehen weil es medial-musikalische eine drastische Umwälzung gab.  Facebook ist in mein Leben getreten und somit auch der persönliche Kontakt und Austausch zu Musikern, der viel interessanter ist, als das Sender/Empfängerprinzip einer Musikzeitschrift. Das Fernsehen ist zurückgehrt. ZDF Kultur bietet einem auf einmal den intensiven Blick auf die Festivallandschaft, strahlt Konzerte aus und hat mit den „Konspirativen Küchenkonzerten“ ein Format geschaffen, welches ich mir immer gewünscht habe. 

Zudem ist es uns mit diesem blog gelungen noch mehr Leser zu finden um offensichtlich, zumindest kurzweilig ein kleiner Meinungsführer zu sein. Darauf bin ich sehr stolz, mal ganz abgesehen davon, dass ich hier einen Plattform für mein „Gedankentheater“ gefunden habe. 

Vor den Charts bleibt somit der Ausblick auf 2012! Endlich wieder Haldern! Karten sind bereits geordert und ich muss es eigentlich nicht explizit sagen, ich habe es dieses Jahr vermisst. Die passive Beschäftigung mit der Musik wird weiterhin Spaß machen. Aktiv bin ich 2011 gescheitert. Aber darauf werde ich meinen Fokus setzen wollen, nicht zu letzt, weil durch das eigene Musizieren, soviel Klarheit gegenüber nie verstandenen Noten entsteht, dass einem Schwindelig wird. Und lieber Deckard ist es nicht so, dass auch ein schöner wildwuchender Garten ein Konzept, Pflege, Harmonie,  Zeit und handwerkliches Wissen benötigt? 

TOP 5 –kurze 

1,) Kill For A Dream – Beady Eye

Dieser Song vereint Einfachheit, Schönheit und Wahrheit. Bei den tausend Durchläufen, habe ich immer wieder den einen Gedanken: „So was kann heute kaum noch jemand schreiben“. Außerdem muss ich immer wieder an den unfassbaren Liam beim Konzert in Köln denken, der den Song den Japanern gewidmet hat! Sicherlich die schlimmste und langfristig nachdenklichste menschliche Katastrophe an die ich mich erinnern kann! So ein nicht zu verstehendes Ereignis benötigt einen Soundtrack... 

2.) Walk – Foo Fighters

Wir alle haben Familien. Frauen, Kinder....! Sie hören mit und bei allen Aktivitäten des Jahres bildet sich dann irgendwann so etwas wie ein Superhit des Jahres. Abgesehen davon, dass ich Dave Grohl für sein Talent bewundere, ist Walk für mich die Magna Mater des 2011er Radio und Herzens tauglichen Mainstream Hits. Und noch mal abgesehen, von all’ meinen offensichtlich unnötigen Entschuldigungen, ist der Mittelteil, ein Manifest an die Wut, Ehrlichkeit, Leidenschaft und Authentizität. 

3.) Shell Games – Bright Eyes

Der Song ist natürlich perfekt und trifft alle Erwartungen die man alternative Musik so hat. Allerdings ist er auch mit ca. 10 weiteren Hits austauschbar. Ich habe mich trotz allem für Shell Games entschieden, weil es der einzige nachweisbare Song 2011 ist, dessen Text ich auswendig kann und somit immer mitsingen werde. 

4.) Didn’t I – Darondo

Abgesehen davon, dass Didn’t I nach der itunes Widergabeliste der am häufigst gespielte Song 2011 ist, steht er für so vieles was ich liebe: Erstmal ist da die Serie Breaking Bad und insbesondere Walter White, der die Nummer in -„auch“ immer- voller Verzweiflung spielt. Didn’t I ist ein Song von William Pulliam aus den 70zigern.  Die folgende Sequenz trifft es im Kernt: Der spontane Ausbruch aus der Bürgerlichkeit. Doch sehen Sie selbst folgende Sequenz, die mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert:

 

Außerdem steht diese soulige Nummer auch für Gil, Amy, Betty und natürlich für Curtis Mayfield, sowie dem ganzen Kosmos Ubiquity Records. Den die Menschheit heutzutage gut gebrauchen könnte, ich meine Curtis!.

5.) Thees Uhlmann – Paris im Herbst

Hiermit habe ich es mir am schwersten gemacht. Das Rattenrennen hat letztendlich Thees Uhlmann gewonnen. Obwohl ich die Erdmöbel als ganzheitliche Gewinner eigentlich bevorzugt hätte. Ich will noch mal kurz erklären warum Paris im Herbst ein wirklich außerordentlich wichtiger und mitreißender Song ist: Im Mittelteil hat er einen erstaunlich, kraftvollen Moment, der einem bei intensivem Zuhören immer nur an eins denken lässt: Noch mal! 

TOP 5 – lange 

Prolog 

Die Bewertung des liebsten Albums des Jahres unterliegt anderen Anstrengungen als die profane Zusammenstellung der „kurzen“. Nachhaltigkeit als Wort etwas abgegriffen, inhaltlich aber korrekt, ist ein Kriterium. Zusammenhalt, Konzept zwei  Attribute. Komplettierung ein weiteres. Aber insbesondere durchgängiges immer wieder hören....   

1.) Destroyer - Kaputt

http://www.lomax-deckard.de/article-destroyer-das-famose-album-kaputt-66669009.html 

2. und 3.) J. Mascis und The Feelies – Several Shades of Why und Here Before

http://www.lomax-deckard.de/article-zwei-unvorstellbar-schone-schallplatten-the-feelies-und-j-mascis-73856915.html 

4.) 13 & God – Own Your Ghost

http://www.lomax-deckard.de/article-13-god-own-your-ghost-vielleicht-ein-meilenstein-73335903.html 

5.) Rival Consoles – Kid Velo

http://www.lomax-deckard.de/article-rival-consoles-spektakulares-gekloppel-80842727.html 

Schließen möchte ich mit einer Zeile von Helge Schneider, über die mal schön jeder selbst nachdenken soll: „Baby, Baby Dein ewiges Nein geht mir auf den Sack, Du Sau.“ 

Alan Lomax

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