Rival Consoles – Spektakuläres Geklöppel
Heute schreibe ich in diesen blog, weil ich eine wirklich spektakuläre Platte vorstellen möchte. Das neuste Album „Kid Velo“, von Ryan Lee West aka. Rival Consoles ist auf dem nicht minder spektakulären Label Erased Tapes erschienen.
Nun gibt es verschiedene Problematiken, die mit kompletten Alben aus dem Electrobereich und auch mit der gleichzeitigen Livedarstellung zusammenhängen.
Das Universum der elektronischen Musik ist unendlich. Schwierig daher auch eine postmortale Zusammenfassung zuerstellen. Insbesondere weil die eigene Interpretation der Zuhörerschaft extreme Spreizungen verursacht. Die eine Gruppe nimmt elektronische Musik als tanzbar wahr, eine Andere sieht einen postrockenden progressiven Ansatz, wieder eine Andere ist das alles egal und dann gibt es noch die Fraktion, die sich auf atmosphärischere Krautrockbands und –künstler festlegt.
Entscheidend bei diesen einzelnen Gruppen der Wahrnehmer, ist dann sicherlich auch noch der Anspruch der Segmentation. So empfindet die tanzbare Gruppe DJs und Housemusik als ultimative elektronische Musik, wobei eine andere aus (vielleicht) Köln kommende Hörerschaft sicherlich noch segementiertere Bands, auch als tanzbar, aber auch kopflastig für sich ein nimmt. Andere Befürworter, verstehen dann vielleicht Stockhausen als elektronisch, Befürworter weniger komplexer Atmosphären (meinetwegen) aus Düsseldorf, sicherlich Kraftwerk, aber eben wahrscheinlich auch als elektronischer. Die postrockende Hörerschaft hat wiederum eigene Helden und zeitgemäße Interessierte haben sogar neure Konsensbands wie Digitalism oder ältere Gruppierungen wie Massive Attack, für sich entdeckt. Klangfreunde mit 100.000 EUR Anlagen zwischen der Teddybärsammlung legen sicherlich auch mal eine Wendy Carlos oder Mike Oldfield Scheibe auf und haben Tränen in den Augen. Genau wie einige Leser, die es nicht ertragen können die Namen Wendy Carlos und Mike Oldfield in einem Satz zu lesen.
Die Unendlichkeit besteht also nicht nur im Verstehen und der Selbstdefinition, sondern auch in den verschiedenen Genres: Ambient, EBM, 2 Step, House (Dream-,Deep-, Funk-, Hard-, Minimal), Trance, Drum ‚n’ Bass, Techno, Big Beat, Dubstep. Oh mein Gott, wer soll das alles verstehen, einordnen können?
Gut, dass es dann ab und zu Meilensteine gibt. Oh, nein, schon wieder dieses Wort! Abgegriffen, klar, aber diesmal, sinnvoll eingesetzt. Denn ein Meilenstein im künstlerischen Zusammenhang, ist eben die Zusammenfassung von vielen Einflüssen, um eine Art Ultimativum zuerzeugen. Also nach meiner Interpretation das Letzte, z. B. einer Dekade darzustellen. Ebenso wie die hier besprochene Platte.
Wenn man sich also die segmentierte elektronische Musik der letzten 40 Jahre (?) ansieht, wird es Zeit, dass eine Zusammenfassung, eine zeitgemäße Justierung stattfindet.
Und an der Stelle kommen wir zum Geschmack bzw. zur eigenen akustischen Wahrnehmung, die aus meiner Sicht bei der elektronischen Musik etwas mit Klang- und Soundwahrnehmung zu tun. Im Gegensatz zur akustischen, analogen Musik, bei der es in erster Linie um die Wahrnehmung einer Melodie geht. Erst später entscheidet jedes einzelne Ohr, jedes einzelnen Gehirn, ob es gefällt oder nicht. Die Klangfarbe, das Spurpanorama, spielt erstmal keine Rolle. In der Dimension elektronische Musik schon.
Ich beschäftige mich seit einigen Jahren selbst mit dem Programmieren von Drumbeats und der Auslotung von synthetischen Sounds. Wenn man einmal die komplexen Möglichkeiten der unterschiedlichen Zusammenmischungen von Wellen, Sinusklängen und –schwingungen oder Schaltungen verstanden hat, eröffnet sich ein unfassbares Universum.
Derzeit versuche ich mich an einem Drumbeat für meine eigene Musik. Gestern habe ich Mrs. Lomax den Track vorgespielt. Sie nickte ihn ab, was als gutes Zeichen zu bewerten ist. Aber besonders interessant war die Frage: „Warum hast Du das so gemacht und nicht anders?“. Damit hat sie unbewusst, die ganze Dramatik der Komplexität dieses Genres zusammengefasst. Es gibt unendliche Möglichkeiten. Insbesondere wenn man anfängt sich mit konfigurierbarer Musik zu beschäftigen.
Kürzlich habe ich ein Konzert der bereits erwähnten Band Digitalism gesehen. Die Band ist mit vielen Monophonen und Polyphonen Synthesizern ausgestattet. Unterlegt die Sounds aber mit einfachen, tanzbaren Drumbeats. Das ist sehr effizient. Das Publikum ist ausgerastet. Das Problem, aber ist, dass alte Synthesizer für Live-Einsätze gar nicht geeignet sind, da sie sehr umständlich zu bedienen sind. Insofern ist vieles der Darbietung von Digitalism Show. Ein Synthesizer Kabarett, wenn man so will. Clever, weil die Zuhörer, dass alles sowieso nicht interessiert und weil sich –ganz ehrlich- mit diesem ganzen elektronischen Gerätschaften kaum jemand auskennt.
Wäre ich Jugendlicher würde ich mir einen Drumcomputer zu legen, ein wichtiges Gesicht aufziehen, ein paar zeitgemäße Klamotten aus dem Schrank holen, den Computer anwerfen und auftreten. Mehr braucht es nicht, um eine Menge zum Tanzen zu bringen.
Hier und jetzt entschlüssele ich also, den Mythos des DJs und der Konsens ElektroBand. Nur schlau gucken und wild tanzen reicht mir aber nicht mehr, ihr pickligen Jungs.
Aber zum Glück gibt es auch Bands und Musiker, die sich auf komplexere Aufgaben konzentrieren und dem Genre das zurück geben was es verdient: Nämlich Aufmerksamkeit!
Abstrakte elektronische Musik hat schon immer den Vorteil gehabt, dass sie in die Schublade Kunst gesteckt wurde, ohne, dass die tatsächliche Kunst, dahinter hinterfragt wurde. Denken wir nur einmal an Mouse on Mars, die ab sofort mit dem Projekt „Paeanumnion“ zum Geburtstag der Kölner Philharmonie zur Hochkultur gezählt werden dürfen. Rival Consoles wurden z. B. vom Londoner Tate Museum beauftragt, Kalgwelten, für die Museumsräume zu schaffen.
Aber wer will schon beurteilen, ob das nun eine tiefgehende komplexe Komposition ist oder ob es abstrakter Klang bleibt und damit automatisch den Schlüssel zur Kunst besitzt.
Serienstar Ewing berichtete kürzlich von einem interessanten Konzert des ebenso interessanten Musikers James Blake. Blake hat eine grandiose elektrische Platte gemacht, die in den Zwischenräumen viel Platz für Harmonien lässt, soll heißen, es gibt da eine kompositorische Basis. Ewing bestätigte das mit seinen Liveeindrücken und sprach von einzigartigen Momenten. Zeigemässe elektronische Musik kann also auch durchaus Balladesk sein. Franz Stengel hat bei amazon einen sehr interessanten Vergleich zu Scott Walker hergeleitet.
Rival Consoles, aber, ist anders. Ob besser oder schlechter, muss jeder für sich selbst beurteilen. Für mich ist es so, dass die Klangfarben der Synthesizer perfekt zu der Erwartungshaltung meiner Ohren passen. Im Prinzip sind es genau die Klangfarben, die Panoramen und Sinuswellen, die Breaks und die Dramaturgie die ich mir für meine eigene Musik vorstelle.
Ich kann es kaum mit Worten beschreiben, was in meinem Kopf passiert, wenn ich diesen fetten, Klänge höre, diese knarrenden Lines und die angenehm zurückhaltenden Beats, die vielleicht minimalistisch wirken, aber trotzdem dynamisch an die Prozesse angepasst sind.
Für viele Menschen wird diese Platte nichts sein. Für einige wird sie Oberflächlich als langweilig wahrgenommen werden, für mich ist sie nicht nur Geklöppel, sonder einen Meilenstein der strukturierten und konstruierten elektronischen Musik.
Alan Lomax
P.S.: Various Erased Tapes Artists werden Freitagnacht um 00:45 Uhr im Spiegelzelt zu Haldern auftreten. Sicherlich eines DER Festivalhighlights. Es gibt keinen Grund sich die Mitglieder Òlafur Arnalds, Rival Consoles, Nils Frahm oder Peter Broderick entgehen zu lassen. Was für ein glorreiches und zeitgemässes Booking. Bravo Herr Reichmann, um auf das Thema noch mal zurückzukommen, aber wie gesagt es gibt keine Wahrheit!