Tingvall Trio - Vägen

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  20. September 2011, 19:42  -  #Jazz

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Das Trio ist im Jazz eine fast magische Konstellation - es genügen drei Musiker um die gesamte Bandbreite dieser Musikrichtung zu porträtieren. Das Zusammenspiel von Klavier, Bass und Schlagzeug ist auch in der Lage das gesamte Spektrum an (menschlichen) Emotionen auszudrücken. Eine einzigartige Zusammenkunft.

 

Wir blicken in den Rückspiegel eines Autos und sehen Frische, Ruhe, eine Palette an Stimmungen und Farben, Weitläufigkeit und Ruhe, aber auch eine in sich ruhende Dynamik. Der Blick geht zurück, ist geprägt von Sentiment und Erinnerung, aber auch von Abschied und Aufbruchsstimmung zugleich.

 

So ist auch die Musik auf dem neuen Album 'Vägen' des Tingvall Trios. Eine Verbindung aus unterschiedlichen Klangfarben, sehr melodisch und phasenweise romantisch, ruhig und entspannend, aber auch eruptiv und sehr emotional, zart zusammengehalten von einem Hauch an Melancholie.

 

'Vägen' ist ein absolut grossartiges Album geworden und bietet Jazz, der in höchstem Maße unterhaltend ist und v.a. enorm schnell eingängig. Es gibt kein Stück auf dem Album, bei dem man sich die Mühe machen muss es sich durch mehrmaliges Hören zu erschliessen. Wenn das einem Komponisten gelingt, dann ist das für mich grosse Kunst, denn in jeder Einfachheit liegt auch ein grosses Maß an Leidenschaft, Können und Talent. Genau diese Eigenschaften besitzt meines Erachtens Martin Tingvall, der schwedische Pianist und Leader des Trios.

 

Was mich ungemein beeindruckt hat ist v.a. seine kompositorische Stärke. Das Album ist ein wahrer Fundus an Melodien, kleinen und grossen, bezaubernden und dämpfenden. Viele Menschen, auch die, die Jazz hören sehen nicht immer eine Bedeutung in der Melodie, für mich ist sie aber ein essentieller Bestandteil jedweder Musik. Ohne Melodie keine Harmonie, keine Rhythmik, keine Dynamik.

 

Tingvall erzählt mit seinen Melodien Geschichten, immer wieder kam mir beim Hören des Albums der Gedanke an Lyrik. Das Trio betreibt nicht nur Konversation untereinander, sondern auch mit dem Hörer und diese Bindung ist es, die einen, hat man einmal angefangen dieses Album zu hören, nicht mehr loslässt. Wie geht es weiter, was kommt als nächstes? 

 

Das liegt nicht nur an der erzählerischen Kraft der Musik, sondern auch an der Abwechslung. Nie kommt beim Hören Monotonie auf, im Gegenteil, man ist gefangen und gebannt. Eine grosse Eigenschaft von 'Vägen' ist, dass die Musik insgesamt sehr stark darin ist Assoziationen zu wecken, stets und ständig gräbt sie unterschwellig im Bewusstsein des Hörers. Das hat phasenweise hypnotischen Charakter.

 

Der Sound auf 'Vägen' ist fantastisch, was umso mehr die spielerische Kraft des Trios in den Vordergrund drängt. Der kubanische Bassist Omar Rodriguez Calvo und der deutsche Schlagzeuger Jürgen Spiegel bilden eine perfekte Rhythmusgruppe und beiden beim spielen zuzuhören ist v.a. eines: grosser Spass. Immer wieder musste ich beim hören schmunzeln, nicht weil die Musik etwa humorvoll wäre, sondern weil man den beiden als auch Tingvall anhört, mit wie viel Liebe zur Musik sie spielen. Ich muss zugeben, dass meine Ohren noch nicht so weit geschult sind lateinamerikanische Einflüsse in Calvos Spiel herauszuhören, umso mehr aber faszinierte mich das Schlagzeug von Spiegel. Unfassbar, mit welcher Leichtigkeit und auch Hingabe, sowie Gespür für die Dynamik dieser Mensch sein Instrument spielt.

 

Die Stücke die temporeich und explosiv sind ('Sevilla', 'Tuc-Tuc Man', 'Shejk Schröder') sind kraftvoll aber auch leichtfüssig zugleich und tragen eines in sich, was für den Jazz von unumstösslicher Bedeutung ist: Swing. Der Fuss wippt automatisch mit.

 

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Die grossen Augenblicke aber sind die Stücke, die verhaltener, ruhiger, stimmungsvoller sind ('Högtid', 'Den Ensamme Mannen', 'Pa Väg' und 'Vaggvisa/ Morgon'). Hier zeigt sich das Talent von Tingvall besonders: Musik von grosser Ausdrucksstärke, mit enorm viel Gefühl und Schönheit. Romantisch, impressionistisch, zehrend, dehnend und zerrend. 'Vaggvisa/ Moron' ist hierbei ein absoluter Höhepunkt. Das Stück erinnert an ein Kinderlied mit seiner einfachen Melodie, der Bass ist hier nicht nur dienlich, sondern eigenständig spielend: schlicht meisterhaft!

 

'Vägen' schafft etwas, was selten ist: den mühelosen Spagat zwischen Mainstream und künstlerischem Anspruch. Vielleicht ein Grund dafür, warum es so erfolgreich ist? Mainstream meine ich keineswegs negativ konnotiert, sondern in seiner Gänze einfach die vorherrschende Strömung erkennend.

 

Es ist anschaulicher, fassbarer und unkomplizierter Jazz, der auch denen sofort gefallen dürfte, die mit dieser Musik nicht vertraut sind.

 

Das Album, um den Herbst einzuläuten.

 

Ich hoffe, dass diese Musiker länger zusammenbleiben und weiterhin die Magie verströmen werden, wozu nur ein Trio in der Lage ist. Von menschlichen Emotionen versteht es sehr viel.

 

Rick Deckard

 

link zu YouTube: Tingvall Trio 'Live at Elbjazz 2011' (in HD)

 

link zur Homepage des Tingvall Trio

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