The Unwinding Hours

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  10. April 2010, 09:37  -  #Populäre Musik

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Wer würde nicht gerne vor so einem Panorama Schach spielen wollen? Ein wunderbares Bild einer interessanten Band. 

Wenn man noch vor Beginn der regulären Arbeitszeit morgens eine CD geschenkt bekommt und dann auch noch mit einem wunderschönen Artwork, dann ist der Tag gerettet! Man freut sich den ganzen Tag auf die Musik. Gestern war ich jedoch zu müde und nach monatelanger Abstinenz zur Popmusik war ich sehr begierig zu hören, was sich auf dem kleinen Silberling befand. Mir sagte weder der Titel, noch die Band etwas - denkbar günstige Voraussetzungen um Musik zu hören oder? Ich habe es immer wieder festgestellt: die euphorischsten Musikerlebnisse hat man, wenn man frei von jeglichem Vorurteil, Wissen und Befangenheit an die Sache herangeht. So wie auch in diesem Fall.

Ein Volltreffer, in jeglicher Hinsicht!

Bereits nach den ersten Takten spürte ich, dass ich mir die ganze CD in einem anhören würde. Die Sonne kroch langsam heraus, die Morgenstimmung war bei einem heissen Kaffee mehr als perfekt und die Band lieferte den Soundtrack dazu. Erst nachdem ich alle Songs gehört hatte recherchierte ich und fand heraus, dass die beiden Herren vormals als 'Aereogramme' unterwegs waren. Interessant, denn die ganze Zeit während ich die Songs hörte versuchte ich mir auszumalen, wie der Sänger wohl aussieht und was für Typen das seien und dann das Bild oben! Da sieht man, wie vorgefestigt Meinungen sind! Vielleicht aber auch nur bei mir, ich weiss es nicht! Man tendiert immer wieder zum Schubladendenken, auch wenn man es partout nicht will!

Was mir bei der Musik ausgesprochen gut gefallen hat war der Sound, die Sound-Collagen, die mich entfernt auch an Wilco erinnerten. Diese Band hat musikalisch etwas zu erzählen und es scheint ein Konzept dahinter zu stehen, so zumindest mein erster Eindruck. In allen Stücken entwickelt die Musik einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Dieser Reiz liegt darin begründet, dass in vielen Stücken ein steter Wechsel stattfindet, der nicht immer schlüssig ist oder in irgendeiner Form musikalisch erklärend an einen heran getragen wird. Feinste Stimmungen werden jäh unterbrochen von brachialem Sound, der aber nie nur als Selbstzweck laut und dumpf klingt, sondern sich immer wieder in den Kontext einbettet. Genau diese "Methodik" faszinierte mich immer wieder auch bei Wilco. Es sind streckenweise sogar kleine Arrangements mit Streichern zu entdecken die faszinieren. Der Sound wird erzeugt durch akustische und elektrische Gitarren. Synthesizer, Schlagzeug und einen Gesang der zwar in hohen Tonlagen erklingt, aber immer kurz vor dem Falsett aufhört.

Das Album beginnt mit 'Knut', einem klassischen 'Wall of Sound' mit durchgehend frenetisch schnellen Gitarren-Akkorden, einem akzentuierten Schlagzeug und einer Melodie vom Synthesizer - eine episch-gewaltige Eröffnung. Klingt auch ein wenig psychedelisch, wobei ich nicht weiss, ob diese Bezeichnung richtig ist?

'Tightrope' ist bestimmt durch eine akustische Gitarre und mehrstimmigen Gesang, sowie schöne Harmonien.


'Little One' ist einer der ersten Höhepunkte, bei dem das Schlagzeug initial dominiert und eine wunderbare Gitarre hinzukommt. Der Song verströmt eine tolle und leicht melancholische Stimmung bedingt auch durch eine schöne Melodie, gesampelte (?) Streicher, mehrstimmigen Background Vocals.


'There are worse things than being alone' beginnt sehr langsam mit einer Geige im Hintergrund, fast wie ein Lullaby. Rhythmusinstrumente sind nicht zu hören, die Stimme reicht fast in Falsett-Höhen, sehr schmeichelnd, eine kleine Melodie von Synthesizer spielt unaufdringlich im Hintergrund, bis langsam durch die Hintertür gewaltige Gitarrenriffs sich einschleichen und bewusst die Grundstimmung gegen Ende zerstören. Sehr interessante Komposition und ein weiterer Höhepunkt auf dem Album!


'Solstice' präsentiert eine akustische Gitarre in einer eher folkig-optimistischen Stimmung mit einem "perlenden" Piano im Hintergrund: Ein Song zum tiefen durchatmen, wunderbar leise und schlicht schön!


'Peaceful liquid shell' beginnt gar nicht friedlich, eher bedrohlich mit dunklen tiefen Klängen, unterstützt von Gesang. Hartes Schlagzeug und Gitarren setzen ein, im Hintergrund hört man eine Abfolge von hohen und variierenden Tönen vom Synthesizer/ Piano, heftige Gitarrenakkorde kommen und gehen wieder. Dieser Wechsel aus Ruhe und Lärm und eine Mischung von beiden klingt sehr reizvoll. Live sind diese Sounds bestimmt eine Wucht!


'Child' eröffnet mit leicht disharmonischen Klängen, repetitivem Beat zum Gesang, ab 2 min dann "erlösende" Akkorde und Harmonien, die den Song gediegen tragen.


'Traces' macht dem Titel alle Ehre: Sehr leise, sehr langsam. Wieder einmal sehr zurückgenommene Gesangsmomente, schöne minimalistische Klangkollagen, kleine unaufdringliche Miniaturen. Sehr angenehm zum hören.


'Annie Jane' ist ein Song, bei dem man immer wieder diese meditativen Stimmungen geniesst. Wie Traces ein Höhepunkt und genauso grossartig wie die vorhergehenden Songs, herrlich anmutige Lieder. Dieser Song steigert sich immer weiter und endet geschickt immer wieder vor einer 'Hymne'. Gewollter Schachzug?


'The Final Hour' beginnt auch wieder fast meditativ mit Gitarre und Gesang. Ab 2:34 min dann plötzlich ohne Vorwarnung einsetzende Gitarrenakkorde mit brachialem Schlagzeug und diametral entgegengesetzt zum Beginn.

 

Ich glaube nach diesem Durchgang heute morgen fast, dass ich der Rockmusik innerlich mehr zugetan bin, als den Bonbon-süssen und schnell sich auflösenden Pop-Perlen. Zumindest bieten sich in dieser Sparte der populären Musik scheinbar viel interessantere Möglichkeiten, wie diese Band aus Schottland eindrucksvoll bewiesen hat.

 

Danke A. für diese grossartige CD!

 

Rick Deckard

 

 

 

 

 



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